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Hirn verleitet besonders Verlierer zum Risiko  
  Blitzschnelle, unbewusste Vorgänge im Gehirn verführen Spieler zu immer höheren Risiken, wie Psychologen der US-Universität von Michigan in Ann Arbor jetzt nachgewiesen haben. Sie untersuchten die Hirne von Probanden, während diese in einer simulierten Spielsituation Entscheidungen treffen mussten - und dabei ein höheres Risiko eingingen, wenn sie direkt zuvor verloren hatten.  
Demnach braucht das Hirn nur eine viertel Sekunde, um ein Ergebnis am Spieltisch als Gewinn oder Verlust einzuordnen - wenige Sekunden später folgt die Wahl des nächsten Zuges.

Das ist nach einem Verlust automatisch fast immer die Entscheidung für ein höheres Risiko, schreiben die Psychologen William Gehring und Adrian Willoughby von der University of Michigan im Fachmagazin "Science" vom Freitag.
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Rapid Processing of Monetary Gains
Der Artikel "The Medial Frontal Cortex and the Rapid Processing of Monetary Gains and Losses" ist erschienen in "Science", Bd. 295, Nr. 5563, S. 2279-2282 vom 22. März 2002.
->   Science
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"Unbewusste" Reaktion
"Nach einem Verlust denkt das Gehirn, dass jetzt ein Gewinn fällig ist. Das führt dazu, dass wir nach einer schnellen Entscheidung, die sich als falsch herausstellt, zu einem größeren Risiko bereit sind, als wenn die erste Wahl richtig gewesen wäre", erläutert Gehring.

Das Hirn wäge die Ergebnisse ab und reagiere, "noch bevor wir uns überhaupt bewusst werden, was wir tun", sagte der Psychologe weiter. Das bedeute, dass das menschliche Gehirn in vielen Situationen übereilte Schlüsse ziehe und zu irrationalen Entscheidungen verleite.
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Das Gehirn: Reaktionsschnelles Schaltzentrum
Das Gehirn stellt eine Art übergeordnetes Schaltzentrum unseres Körpers dar: Die sich dort findenden Milliarden von Nervenzellen sind über Nervenfasern miteinander verbunden, zudem leiten Nervenbahnen zu allen anderen Teilen unseres Nervensystem. So erhält das Gehirn "Meldungen" und kann entsprechende Reaktionen veranlassen.

Nerven sind komplizierte und komplexe Gebilde, die aus einer Kette von Nervenzellen (Neuronen) mit langen Ästen (Dendriten) bestehen. Die einzelnen Äste übermitteln dabei die "Botschaften" mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100m/s - eine "Meldung" an das Gehirn und eine darauf folgende "Reaktion" liegen also häufig nur Bruchteile auseinander.
->   Mehr Informationen zum Gehirn
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Elektrische Hirnströme zeigen Risikobereitschaft

William Gehring mit einem der Versuchsteilnehmer
Für ihre Studie untersuchten Gehring und Willoughby elektrische Hirnströme, die als "event-related brain potentials" oder ERPs (Reaktionsvermögen des Hirns auf bestimmte Ereignisse) bekannt sind.

Sie maßen die Hirnströme ihrer Studienteilnehmer über Elektroden, während diese sich am Computer zwischen zwei Nummern bzw. einer Kombination beider Zahlen entscheiden mussten, die einen mäßigen oder hohen Einsatz beim Spiel repräsentierten.

Nur eine Sekunde nach der ersten Wahl signalisierte den Spielern eine Farbe, ob sie gewonnen oder verloren hatten. Unmittelbar danach mussten sie den nächsten Einsatz bestimmen. Insgesamt gab es 768 blitzschnelle Entscheidungen zu treffen.
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Der genaue Blick ins Hirn: Medizinische High-tech-Diagnose
In der Medizin allgemein, vor allem aber in der Gehirnforschung haben in den vergangenen Jahren bildgebende High-tech-Diagnoseverfahren wie die Computertomographie oder die Positronenemissionstomographie an Bedeutung gewonnen.

Ein Beispiel: Wie werden Witze im menschlichen Gehirn verarbeitet? Mittels Gehirn-Scans konnten Wissenschaftler zeigen, dass Wortspiele und andere Formen von Humor in verschiedenen Regionen des Gehirns entschlüsselt werden. Zwar werden die verschiedenen Arten von Humor demnach in unterschiedlichenTeilen des Gehirns entschlüsselt. Doch bedarf es einer zentralen Leitung im Gehirn, damit man einen Witz tatsächlich versteht und seinen Spaß damit hat.
->   Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
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Emotionale Entscheidung
Die Analyse der ERPs ergab schließlich ein charakteristisches Muster von Hirnströmen, die von der Mitte der vorderen Hirnrinde ausging und nach etwa 265 Millisekunden den Höhepunkt erreichte, wie die beiden Forscher in "Science" berichten.

Es zeigte sich, dass ein Teil des frontalen Kortex im Gehirn - der "medial frontal cortex", kurz MFC - während der Spiel-Entscheidungen besonders aktiv ist: Der MFC gehört zum limibischen System, das für die Emotionen verantwortlich ist.
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Von Hasen und Menschen
Der Psychologe Don Tucker von der University of Oregon hält die Ergebnisse der Studie für äußerst interessant, die Verbindung des MFC zu "wirtschaftlichen Entscheidungen" sei allerdings nur ein Teil des Schaltkreises, zitiert ihn "Nature scienceupdate". Er verweist jedoch auf Tierstudien, die sich ebenfalls mit dem MFC befasst haben. Demnach ist diese Gehirnregion etwa bei Hasen aktiv, wenn unerwartete Ereignisse eine Verhaltensänderung nötig machen. Das irrationale Verhalten der Spieler dagegen deute an, dass das menschliche Gehirn nicht perfekt an das moderne Leben angepasst sei, so Tucker. "Hasen treffen in den meisten Fällen die richtige Entscheidung. Menschen in Las Vegas wohl nicht."
->   Nature scienceupdate: Loss hits you between the eyes
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Verlust erzeugt Risiko
Außerdem zeigte sich, dass die Entscheidungen für den jeweils nächsten Einsatz von vorausgegangen Ergebnissen beeinflusst wurden. Nach einem Verlust setzten die Teilnehmer weitaus häufiger einen hohen Einsatz und zeigten mehr Aktivität in dem für die Entscheidung verantwortlichen Teil der vorderen Hirnrinde.
Sensible Verlierer
Studienautor Gehring vermutet, dass der MFC generell empfindlich gegenüber "schlechten Ereignissen" wie dem Verlieren beim Spielen reagiert. So weisen etwa Menschen, die an zwanghaftem Verhalten leiden, einen hyperaktiven MFC auf, wie er berichtet.

Bei solchen Erkrankungen meldet das Gehirn permanent eine Art "negatives Ereignis", das durch Handlungen wie etwa das ständige Händewaschen korrigiert werden muss. Im Gegensatz dazu weisen Menschen mit antisozialen Tendenzen einen unteraktiven MFC auf, was sie offenbar weniger empfänglich für Bestrafungen macht.
 
 
 
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01.01.2010