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Kooperative Nager: Geruch bestimmt Sozialverhalten  
  Kalifornische Erdhörnchen können ihren Verwandtschaftsgrad an ihrem Körpergeruch herausfinden, wie eine amerikanische Psychologin berichtet. Zusätzlich verhalten sich die Nager nur gegenüber nahe Verwandten kooperativ. Damit wurde ein Effekt nachgewiesen, der bisher als evolutionstheoretische Spekulation galt.  
Die in der neuesten Ausgabe von "Proceedings: Biological Sciences" publizierten Forschungsergebnisse der Psychologin Jill Mateo von der Cornell University, USA, schreiben Erdhörnchen der Spezies "Spermophilus beldingi" die Fähigkeit zur geruchlichen Verwandtenerkennung zu. Dies funktioniert so genau, dass die Autorin sie als "pelzige Gas-Chromatografen" bezeichnet.
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->   Proceedings: Biological Sciences
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Darwins Prinzip der natürlichen Selektion
Die Grundaussage von Darwins 1859 erschienenem Hauptwerk "The Origin of Species" könnte folgendermaßen zusammengefasst werden: Die natürlich Selektion bevorzugt immer jene Organismen, deren körperliche Ausstattung einen hohen Reproduktionserfolg garantiert.

Damit hat die biologische Evolution eine klare Richtung: Die Fitness der existierenden Lebewesen sollte, langfristig betrachtet, immer zunehmen. Verhaltensweisen oder körperliche Eigenschaften, die die individuelle Fitness reduzieren, sollten hingegen von der Selektion benachteiligt werden.
->   "The Origin of Species", in der Originalversion von 1859
->   Charles Darwin, Biografie
Das Rätsel des altruistischen Verhaltens
Nach diesem Modell sollte es also ausschließlich Organismen geben, die gemäß dem eigenen Nutzen (d.h. egoistisch) handeln. Das Gegenteil, also gemeinnütziges (d.h. altruistisches) Verhalten, sollte nicht auftreten. Offensichtlich ist diese Voraussage falsch, da Altruismus im Tierreich weit verbreitet ist.

Erst im Jahr 1964 konnte der britische Biologe William D. Hamilton dieses scheinbare Paradoxon aufklären. Sein Konzept der Sippenselektion (kin-selection) erklärte, dass Hilfe gegenüber nahe Verwandten evolutionär stabil sein kann, weil in die evolutionstheoretischen Berechnungen des Fortpflanzungserfolges auch jene Gene miteinbezogen werden müssen, die jedes Individuum mit seinen Familienmitgliedern gemeinsam hat.
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Sippenselektion
Die Sippen- oder Verwandtenselektion beruht auf der Annahme, dass durch die Unterstützung von Verwandten gemeinsame Genkomplexe eher an nachkommende Generationen weitergegeben werden können als über eigenen Nachwuchs. Somit entsteht ein Selektionsvorteil, da die Gesamtfitness (inclusive fitness) gefördert wird.

Das Ausmaß an altruistischem Verhalten sollte sich demnach nach dem Grad der Verwandtschaft richten. Der eigentliche Grund wäre somit ein indirekt eigennütziges oder egoistisches Verhalten.
Es gilt also: Je näher verwandt zwei Individuen sind, um so wahrscheinlicher sind sie Träger eines gemeinsamen Gens, um so ungünstiger wäre Konkurrenz zwischen ihnen (was ihren Fortpflanzungserfolg verringern würde).

Ein besonders beliebtes Beispiel dafür sind die Arbeiterinnen in einem Ameisenbau. Sie verzichten völlig auf ihre eigene Fortpflanzung und arbeiten für ihre Geschwister, weil sie mit ihnen 75% der Gene gemeinsam haben. Bekämen sie selbst Kinder, so hätten sie (aufgrund einer genetischen Eigentümlichkeit von Hautflüglern) mit diesen nur 50% der Gene gemeinsam.
->   Exzerpte aus Hamiltons bahnbrechender Arbeit aus dem Jahr 1964
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Das egoistische Gen
Diese Gen-zentrierte Sicht der Selektion wurde vom britischen Soziobiologen Richard Dawkins mit dem Buch "Das egoistische Gen" einer breiten Leserschaft zugänglich gemacht. Demzufolge sind Lebewesen Transportbehälter für Gene, die alles unternehmen, um ihre eigene Reproduktion zu optimieren.

In bezug auf die Sippenselektion spekulierte Dawkins: "Theoretisch ist es möglich, dass ein Gen auftritt, welches ein äußerlich sichtbares Kennzeichen, beispielsweise eine helle Haut oder einen grünen Bart oder irgend etwas Auffälliges, hervorriefe und darüber hinaus eine Tendenz, zu anderen Trägern dieses auffälligen Merkmals besonders freundlich zu sein."

Diese Überlegung bedeutete gewissermaßen eine evolutionäre Fleißaufgabe, da das Prinzip der Verwandtenselektion auch funktioniert, wenn Individuen keine bewusste Kenntnis ihrer Verwandtschaftsverhältnisse haben.
->   Mehr über Richard Dawkins
Olfaktorischer Grünebart-Effekt der Erdhörnchen
Dawkins nannte seine Spekulation "Grünebart-Effekt" und deutete damit an, dass sie weder notwendig, noch besonders ernst zu nehmen sei.

Die von Jill Mateo veröffentlichten Daten über das Geruchsvermögen der kalifornischen Erdhörnchen scheinen die Dawkins'schen Spekulationen nun zu belegen. Zum einen sind die Tiere in der Lage, ihre engsten Familienmitglieder anhand deren Körper-Bouquets zu erkennen. "Es ist, als ob diese Nager mit ihrer Nase genetische Fingerabdrücke lesen und Stammbäume erstellen könnten", bemerkt Studienautorin Mateo.

Zum anderen stufen die Nager ihre sozialen Hilfeleistungen genau nach diesen Informationen ab. Die kooperative Verteidigung gegen einen Fressfeind zeigen nur Mütter, Schwestern und Töchter. "Vetternwirtschaft" gibt es nicht. "Tanten, Cousinen oder Nichten werden zwar erkannt, aber wie Fremde behandelt", so Mateo.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Homepage von Jill Mateo
->   Mehr zum Thema "Evolution" auf science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010