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Gefährdete Spezies bloß gewöhnliche Rindart?  
  Unerforschte Gebiete und sagenumwobene Wundertiere veranlassen Wissenschaftler nicht selten zu übertriebenen Spekulationen über neue Arten. Dabei kann es schon vorkommen, dass raffinierte Fälschungen zu spektakulären Funden stilisiert werden und umgekehrt. Besonders umstritten ist der Fall des "Pseudonovibos spiralis", der für die einen als gefährdete Spezies und für die anderen als gewöhnliche Rinderart gilt.  
Originale oder raffinierte Fälschungen?
Gibt es ihn nun oder nicht? Den "Pseudonovibos spiralis", ein Huftier mit Hörnern wie Lianen, das im vietnamesischen Zentralgebirge und Kambodschas Nordosten beheimatet sein soll und seit dem Jahr 2000 auf der Roten Liste bedrohter Tiere des UN-Umweltprogramms (UNEP) zu finden ist.
->   Die Rote Liste der bedrohten Arten
Funde nach DNA-Analyse umstritten
Jüngst durchgeführte DNA-Analysen entfachen erneut eine Debatte um das umstrittene Tier beziehungsweise über dessen gebogene Hörner, wie das Wissenschaftsjournal "Nature" in seiner aktuellen Ausgabe berichtet.
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Der Artikel: " Cryptozoology: Locking horns" ist erschienen in "Nature" Bd. 415, S. 956 (28. Feb 2002)
->   Der Artikel in Nature (kostenpflichtig)
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1994 erstmals entdeckt
Der Streit begann 1994, als Wissenschaftler aus Dresden Hörner einer unbekannten Ochsenart entdeckten. Bislang konnten nur der Schädel und die charakteristischen Hörner des Tieres ausgemacht werden.
Pseudonovibos, ein enger Verwandter von ...
Aufgrund widersprüchlicher Resultate der damals vorgenommenen DNA-Analysen schien der Pseudonovibos eher mit Schafen und Ziegen denn mit Ochsen verwandt zu sein.

Vor einem Jahr gelangten jedoch russische Wissenschaftler - nachdem sie eine andere Probe und DNA-Sequenz untersucht hatten - zu dem Schluss, dass es sich dabei um eine Büffelart handeln müsse.
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21 Funde registriert
Mittlerweile beläuft sich die Zahl der Funde auf 21 Stück. Nach wie vor gibt es bloß Schädelknochen und Hörner. Viele der Exemplare entpuppten sich als raffinierte Fälschungen. Ein lebendiges Exemplar konnte bislang nicht entdeckt werden.
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Neue Spezies oder bloß ein Jux?
Alexandre Hassanin von der Pierre und Marie Curie Universität in Paris liefert nun, nach Abschluss seiner DNA-Analyse, eine einfache Erklärung: Pseudonovibos hat es niemals gegeben.
Hörner mit Schnitzspuren
Hassanin zufolge weisen viele der spiraligen Hörner eindeutige Schnitzspuren auf. Auch stehe zweifelsfrei fest, dass diese per Hand verbogen wurden. Schließlich sei die DNA-Sequenz mit jener des gewöhnlichen Rindes identisch.
Fälschungen existieren, aber ...
Die Vertreter der These von der neuen Spezies sehen das selbstverständlich anders. "Wahr ist, dass Fälschungen existieren", kommentiert Robert Timm von der University of Kansas die neuen Ergebnisse. Es müsse jedoch differenziert werden.

Laut Timm befinden sich zwei Paar Pseudonovibos Hörner in Kansas, die zweifelsohne echt sind. Sie wurden 1929 von amerikanischen Jägern in Vietnam gefunden, also Jahrzehnte bevor das Dresdner Team die charakteristische Form der Hörner beschrieb und veröffentlichte.
Echte Hörner in Kansas
"Es besteht meines Erachtens kein Zweifel darüber, dass die Hörner von echten Tieren abstammen", so der Wissenschaftler. Untersuchungen mittels Röntgenstrahlen ergaben, dass die Einkerbungen in den Hörnern, wie auch deren geschwungene Form authentisch seien.

Die Auseinandersetzung könnte demnächst beigelegt werden, da die Hörner von Kansas nun auch anderen Wissenschaftlern zur Untersuchung freigegeben werden sollen.
Realität oder bloß Mythos?
Für Richard Melville, der über vierzig Jahre lang Kambodscha und seine koloniale Vergangenheit erforschte, ist der Fall eindeutig, er spricht von "quälenden Vermutungen".

Für ihn steht außer Frage, dass die bisherigen Funde allesamt hergestellt wurden. Die spezifische Form der Hörner ist für ihn in Kambodschas Mythenwelt begründet.

Die Lianenhörner gelten in Kambodscha als Wundermittel gegen Schlangenbisse. Den Überlieferungen zufolge habe sich das Tier von Schlangen ernährt, was ihm den Namen "khting sipuoh", der Schlangen essende wilde Ochse, einbrachte.
Kulturelle Ignoranz der Wissenschaftler
Melville wirft nun den Vertretern der These von der Existenz des Pseudonovibos kulturelle Ignoranz vor: "Wissenschaftler sind darin geschult, die Fakten zu betrachten und nicht Mythen oder Tricks."
Kriminalistisches Gespür notwendig
Und tatsächlich sind die Wissenschaftler bei der Suche nach neuen, unentdeckten Tierarten oft auf Indizien angewiesen. Die Methoden der Kryptozoologie sind mit jenen der Kriminalistik durchaus vergleichbar.

Wo Indizien übereinstimmen, verdichtet sich der Verdacht, dass man auf der richtigen Spur ist. Allerdings sind viele der Indizien tückisch. Die Grenzen zwischen Überlieferungen und tatsächlich Begebenheiten sind oft fließend.
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Grenzwissenschaft Kryptozoologie
Der Begriff der Kryptozoologie, "Studium der versteckten Tiere" wurde von dem belgischen Zoologen Bernard Heuvelmans geprägt, nachdem er 1955 mit der Veröffentlichung seines Buches "On The Track Of The Unknown Animals" für Aufsehen gesorgt hatte.
->   Kryptozoologie: Am Rand der Wissenschaft
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Trotzt Umstrittenheit, überzeugende Resultate
Die junge Forschungsdisziplin gilt daher nicht zuletzt aufgrund ihrer zweifelhaften Forschungsmethoden und der oft abstrusen Theorien als Pseudo- beziehungsweise Grenzwissenschaft.

Dennoch beweisen zahlreiche Funde auch großer Tierarten allein in den letzten 20 Jahren, dass Neuentdeckungen nach wie vor möglich sind.
"Große" Entdeckungen und Wiederfunde besonders spektakulärer Tierarten im zwanzigsten Jahrhundert:
->   Die Jahrhundertliste (Geo)
 
 
 
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01.01.2010