News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Demokratiequalität in Österreich  
  Volksbegehren sind ein Gradmesser für das Interesse der Bevölkerung, sich am politischen System aktiv zu beteiligen. Sind sie aber auch ein Maßstab für die Qualität von Demokratie? Und wie lässt sich "Demokratiequalität" überhaupt messen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich ein neuer politikwissenschaftlicher Sammelband unter dem Titel "Demokratiequalität in Österreich", den die Herausgeber David Campbell und Christian Schaller in einem Gastbeitrag für science.ORF.at vorstellen.  
Wie lässt sich die Qualität von Demokratie messen?
Von David F.J. Campbell und Christian Schaller

In der wissenschaftlichen Literatur gibt es zahlreiche unterschiedliche Versuche, Vorstellungen von Demokratie und daraus abgeleitete Kriterien von Demokratiequalität zu definieren.

Das Konzept eines "Do-it-yourself-Audit" will eine Hilfestellung dafür bieten, Demokratie und Demokratiequalität eigenständig und selbständig zu überprüfen. "Wer" soll dies machen können? Dazu lassen sich verschiedene Standpunkte mit unterschiedlich weiten AdressatInnenkreisen vertreten.

Dieser kann EntscheidungsträgerInnen und ExpertInnen (dem konventionellen Begriff der "Elite") bis hin zu allen WählerInnen und letztlich die "Basis", alle Mitglieder der Gesellschaft, umfassen. Umgekehrt können Interessierte ("wer" auch immer jetzt die AdressatInnen sein sollen) diese Kriterien benützen und Demokratie sowie Demokratiequalität testen.
Demokratie auf verschiedenen Ebenen
Das Verfahren des "Do-it-yourself-Audit" besteht darin, dass Kriterien - etwa in Frageform - für Demokratie und Demokratiequalität entwickelt und zur Diskussion gestellt werden, die Interessierte benützen.

Solch ein Bewertungsversuch kann auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Die höchste Ebene ist die "politische Systemebene" oder die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit: Es geht hier um die Bewertung von Demokratie und Demokratiequalität im Allgemeinen, nach allgemeinen Grundprinzipien und daraus abgeleiteten Kriterien.
Möglichkeiten der Partizipation
Andererseits können natürlich Demokratie und Demokratiequalität von dieser höchsten Ebene "heruntergebrochen" und spezifiziert werden: beispielsweise für bestimmte Politikfelder, Politikbereiche oder auch konkrete Fragestellungen - etwa das Ausmaß tatsächlicher Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung oder die Geltung politischer Grundrechte.
Komplexe Bewertung
Das Prozedere der konkreten Bewertung ist natürlich komplex. Es muss die Wahl getroffen werden, welche Kriterien heranzuziehen sind. Auf Basis verschiedener Kriterien können wir zu verschiedenen Bewertungsergebnissen gelangen. Und interaktiv können solche Bewertungsversuche auch zu der Entscheidung führen, neue Kriterien zu entwickeln.
Evaluation
Insgesamt lässt sich solch ein Prozedere auch als Versuch definieren, Demokratie und Demokratiequalität zu evaluieren. Im Sinne der praktischen Verwendung sind diese Kriterien als ein "Werkzeugkasten" zu verstehen, der konkrete und fallabhängige Qualitätsbewertungen zulässt.
...
Kriterien für Demokratiequalität
Die Kriterien für Demokratie und Demokratiequalität lassen sich in folgende fünf Gruppen kategorisieren:
1. Allgemeine Ausgangsfragen
2. Grundrechte und Zivilgesellschaft
3. Partizipation
4. Kontrolle und Responsivität
5. Zielkonflikte und Demokratie-"Paradoxa"
...
"Dynamischer Kriterienzyklus"
Diese fünf Kriteriengruppen können wir uns im Sinne eines dynamischen Kriterienzyklus auch "aneinander" gereiht vorstellen. Zu den einzelnen Kriteriengruppen möchten wir folgende Erläuterungen und exemplarische Fragen anführen:
1. Demokratiequalität und ihre allgemeinen Ausgangsfragen
Vor dem Versuch der Bewertung von Demokratiequalität muss die grundsätzliche Frage nach den Kriterien eines "demokratischen" Systems gestellt werden. Denn ohne solche Kriterien fehlen Referenzmaße für Demokratie und Demokratiequalität.

Exemplarische Fragen: Sind Freiheit und Gleichheit Kriterien für Demokratiequalität? Inwiefern lassen sich Freiheit und zugleich Gleichheit in einer demokratischen Gesellschaft realisieren?
2. Demokratiequalität bezogen auf Grundrechte und Zivilgesellschaft
In der Diskussion gewinnt immer mehr das Argument an Bedeutung, dass Grundrechte entscheidend dafür sind, dass eine Demokratie nicht nur nach "formalen" Kriterien demokratisch ist.

Ohne Grundrechte kann eine Demokratie nicht (oder nur sehr eingeschränkt) bestehen. Exemplarische Fragen: In welchem Ausmaß stehen politische Grundrechte allen Mitgliedern der Gesellschaft zur Verfügung? Und wie lassen sich politische Grundrechte für alle Mitglieder der Gesellschaft garantieren?
3. Demokratiequalität und Partizipation
Auf Basis politischer Grundrechte bezeichnet Partizipation die tatsächlichen Möglichkeiten der Einflussnahme der Bevölkerung auf politische Entscheidungsprozesse.

Exemplarische Frage: Wie kann diese Partizipation für alle Mitglieder der Gesellschaft tatsächlich abgesichert werden?
4. Demokratiequalität bezogen auf Kontrolle und Responsivität
Die praktische Kontrolle von politischen EntscheidungsträgerInnen (wie zum Beispiel der Regierung) durch die Bevölkerung oder die parlamentarischen Oppositionsparteien ist für Demokratie und Demokratiequalität von großer Bedeutung.

Eine Möglichkeit der Kontrolle von Politik besteht darin, dass ein politisches System auch "politischen Wechsel" zulässt, da bereits diesem Wechselspiel von Regierung und Opposition eine Kontrollqualität zukommt. Exemplarische Frage: Erleichtert oder erschwert das Wahlsystem einen politischen Regierungswechsel?

Neben der Kontrolle gewinnt das Kriterium der politischen Responsivität an Bedeutung. Exemplarische Frage: Inwieweit greifen die politischen EntscheidungsträgerInnen jene Themen auf, die der Bevölkerung wichtig sind?
5. Demokratiequalität bezogen auf Zielkonflikte und Demokratie-"Paradoxa
"Nach" den allgemeinen Ausgangsfragen und während des Durchlaufens der anschließenden drei Kriteriengruppen (Grundrechte und Zivilgesellschaft, Partizipation, Kontrolle und Responsivität) stößt die Überprüfung von Demokratie und Demokratiequalität auf Zielkonflikte und Demokratie-"Paradoxa".

Verschiedene Qualitätskriterien von Demokratie können sich in einem Spannungsverhältnis befinden. Exemplarische Frage: Inwiefern stehen Freiheit und Gleichheit in einem demokratischen System in einem Widerspruch zueinander?

Ferner gibt es Zielkonflikte zwischen "Input" und "Output" von Demokratie. Exemplarische Frage: Wie bewältigen politische Systeme mögliche Spannungen zwischen Input als politischer Partizipation und Output als effizientem Regieren und Problemlösen?
...
Buchtipp
David F.J. Campbell / Christian Schaller (Hrsg.) (2002)
Demokratiequalität in Österreich. Zustand und Entwicklungsperspektiven. Opladen: Leske + Budrich (ISBN 3-8100-3372-3).
->   Mehr über das Buch
...
Gastbeitrag
David Campbell und Christian Schaller sind Sprecher von AGORA, der Sektion Demokratieforschung der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft.

Kontakt:
David Campbell: david.campbell@netway.at
Christian Schaller: swsrs@aon.at
->   Österreichische Gesellschaft für Politikwissenschaft
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010