News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Von Schau-Spiel und Spiel-Theorie  
  "Spielchen" spielen Menschen mit anderen Menschen öfters. Das Theater - genauer gesagt das Schau-Spiel - schärft das Auge für solche zwischenmenschlichen Muster, es seziert die Mechanismen, die Menschen leiten.  
Eine andere Möglichkeit seinen Blick dafür zu schärfen, ist die mathematische Spiel-Theorie, die "mögliches" Verhalten und dessen "mögliche" Folgen wissenschaftlich untersucht.

Zusammengetan haben sich jetzt Technische Universität und Akademietheater in Wien. "Auf dem Land" heißt das Theaterstück mit dem etwas anderen Blickwinkel. Am 4. April ist Premiere.
Ungleiche Mitspieler
Gemeinsam, sozusagen als Koproduktion zwischen Kunst und Wissenschaft, wurde das Stück erarbeitet. Der Dramaturg Hans Mrak bezog den Spieltheoretiker Alexander Mehlmann mit ein, umgekehrt "revanchierte" sich der Mathematiker mit spieltheoretischen Analysen.

Beigefügt sind diese in abgespeckter Version auch dem Programmheft. Aber nicht in mathematischen Formeln gefasst, sondern in Alltagssprache übersetzt.
...
Das Theaterstück "Auf dem Land"
"Auf dem Land" leben Richard und Corinne. Sie haben der Stadt, die sie verrückt macht, den Rücken gekehrt. Nicht hinter sich gelassen haben sie aber die Mechanismen ihrer Beziehung, die immer wiederkehrenden Abläufe - wie sie miteinander umgehen. Sie gehen sich eigentlich nur mehr auf die Nerven.

Als eines Tages eine junge Frau ins Spiel kommt, nimmt die Tragödie zwischen den drei Personen ihren Lauf. Im seinem Stück zeigt der englische Autor Martin Crimp wie Menschen agieren, reagieren und interagieren.
->   Akademietheater
...
Spiel-Theorie
Anders als im Theaterstück wird das "Spiel" bei der mathematischen Analyse nicht einfach beschrieben, beobachtet und durch genaues hinsehen entlarvt, sondern in strenge Spiel-Regeln gepackt, um die Zusammenhänge klarer zu sehen.

Crimps Stück eignet sich ganz besonders dafür, da nicht Handlungsabläufe sondern Kommunikationsmuster textbestimmend sind.
->   TU Wien: Mathematik als Schwester der Musen
"Was wäre wenn?"
Im Spiel muss man sich zwischen verschiedenen Handlungs-Möglichkeiten entscheiden. Das Ergebnis: Gewinnen, Verlieren oder Patt. Die Frage ist: Welche ist die beste Strategie? Soll man sich kooperativ oder destruktiv verhalten?

In der Spieltheorie wird das untersucht. Wichtig sind dafür Regeln, Taktiken und die Überlegung "Was wäre wenn?". Das heißt: "Was würde ich in der nächsten Runde tun, wenn mich mein Gegner so behandelt wie ich es tue?" Im Falle von "Auf dem Land" wird das alte Kinderspiel "Schere Stein Papier" dafür verwendet.
Das Theaterprogramm (fast) als Formelsammlung
Crimp hat die einzelnen Szenen unter bestimmte "Überschriften" gesetzt, eben: Schere, Stein oder Papier. Genau wie bei dem Kinderspiel handeln die Personen nach einem bestimmten Muster.
...
Schere - Stein - Papier
Bei dem Spiel zeigen zwei Spieler gleichzeitig eines der drei Symbole Schere, Stein oder Papier. Eines schlägt das andere: Die Schere schneidet das Papier, das Papier umhüllt den Stein und der Stein schleift die Schere. Jedes Symbol hat also die gleichen Gewinnchancen.

Während dies bei Kindern verwendet wird, um zu entscheiden, wer etwas ungeliebtes machen muss, interessieren sich Wissenschaftler dafür, mit welcher Strategie man am besten abschneidet. Es wird also nicht jedes Spiel für sich, sondern eine ganze Reihe von Durchgängen betrachtet. Die Spieler haben dabei ein Gedächtnis, das heißt sie können sich erinnern, wie der Gegner bisher gespielt hat, und darauf reagieren.
->   Schere-Stein-Papier spielen:
...
Machen Sie ihr Spiel
Schere schlägt Papier, Papier schlägt Stein, Stein schlägt Schere, Schere schlägt Papier und so weiter und so fort. Gefangen in einem ewigen Kreislauf, befinden sich auch die Darsteller in Crimps Stück, Gefangene der eigenen Wahrnehmung und der eigenen Handlungsweisen.
Kritik
Ein Kritiker hat es so beschrieben: "Zwischen Corinne und Richard herrscht Spannung wie in einer zugespitzten weltpolitischen Situation. Sie sind behext von der eigenen Rhetorik, wie man es nur von Juristen kennt. Bevor einer spricht, wiederholt er den letzten Satz des anderen. Man zitiert das Protokoll."

Situationen sind also vergleichbar, auch wenn die Auswirkungen verschieden sind, die Spielregeln sind oft sehr ähnlich, seien es private Verhältnisse, die große Weltpolitik oder Verhandlungen in der Wirtschaft.
->   Kritik einer früheren Aufführung aus "Die Zeit"
Muster nicht veränderbar
Genau wie das Schau-Spiel kann auch die Spiel-Theorie die Regeln und Muster nicht verändern. Aber genau wie das Theater können sie genau unter die Lupe genommen werden.

Die Theorie kann Aussagen treffen welche Stategie für die Mitspieler - unter bestimmten Voraussetzungen - die Beste ist, und für alle Beteiligten am Meisten bringt.
->   Game Theory
Spiel-Theorie im Licht-Spiel -Theater
Genau dieses so genannte Gleichgewicht - wenn kein Spieler zu einer Änderung seiner Vorgehensweise motiviert ist, weil jede Änderung seine Position nur verschlechtern könnte, hat ein berühmter Spieltheoretiker definiert: John Nash.

Darstellende Kunst und Wissenschaft haben sich auch in seinem Namen für einen flüchtigen Moment die Hände gereicht. Dieses Jahr wurde der Mathematiker Nash zum "Movie-Star". Seine Lebensgeschichte wurde in "A Beautiful Mind" verfilmt und immerhin mit dem Oscar für den besten Film bedacht.
->   History of Game Theory
Liebe Wirtschaftswissenschaften
Aber die millionenschwere Filmindustrie ist - zumindest im Moment - nur ein kurzer Flirt der Spieltheorie. Die große Liebe scheinen die Wirtschaftswissenschaften zu sein. Gerade hier hat die Spieltheorie große Bedeutung.

Viele - heute wichtige - Wirtschafttheorien basieren auf den "Was wäre wenn" Überlegungen. Auch John Nash holte sich den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. So wie sich so mancher Mathematiker, für die ja kein Nobelpreis vergeben wird, seinen Preis hier quasi auf dem "Schleichweg" geholt hat.
Ähnlichkeiten zwischen Schauspiel und Spieltheorie
Was nützt aber so eine trockene Analyse im Falle der schönen Kunst, das Zerteilen von menschlichem Verhalten in kleine Häppchen, das filetieren jeder einzelnen Aktion.

Vielleicht nur um für sich die Frage zu klären: Verhält sich jemand wirklich irrational oder verfolgt er einen gewissen Zweck? Das alte "Was wäre wenn?" wird nicht rückbezogen verwendet, sondern in die Zukunft gewandt.
Das Ziel
Und wie so oft scheint auch hier der Weg das Ziel zu sein, denn genau wie bei dem Theaterbesuch werden auch hier keine Lösungen angeboten.

Ändern kann man das Verhalten des anderen nicht, und auch die eigene Vorgangsweise folgt - vor allem im Zwischenmenschlichen - oft gar seltsamen "Spiel-Regeln". Aber allein die Auseinandersetzung lohnt. Schere - Stein - Papier, was zeige ich im nächsten Spiel? Und: Was zeigen die anderen?

Niki Popper, ORF-Wissenschaft
Mehr dazu in kultur.ORF.at:
->   "Auf dem Land": Britischer Beziehungs-Krimi
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010