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Was den Menschen zum Menschen macht  
  Die Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen liegen nicht in erster Linie in den Genen. Denn das Erbgut der beiden Arten gleicht sich zu 98,7 Prozent. Vielmehr sind starke Unterschiede in der Expression der Gene im Gehirn der beiden für die unterschiedliche Entwicklung verantwortlich, wie Wissenschaftler nun berichten. Warum der Mensch im Gehirn - im Gegensatz zum Schimpansen - einen größeren Teil seines Erbgutes in Proteine umsetzt, ist ungeklärt. Denn in anderen Körperbereichen wie Leber oder Leukozyten konnten solche Unterschiede nicht festgestellt werden.  
Obwohl sich das genetische Material von Mensch und Schimpanse sehr ähnelt, sind beide doch körperlich und geistig recht verschieden. Wie das Wissenschaftlerteam rund um Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig jetzt herausfand, liegt der Unterschied in der Expression, also im Ablesen der Gene.

Wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "Science" berichten, hat sich der Unterschied beim Ablesen der Gene in einem vergleichsweise kurzen Evolutionszeitraum entwickelt.

Dabei sind viele Erbanlagen des Menschen verdoppelt, etliche gelöscht worden und wiederum andere unter den Einfluss neuer Kontrollmechanismen geraten. Meinungsverschiedenheiten gibt es allerdings, wann die unterschiedliche Entwicklung begonnen hat.
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Intra- and Interspecific Variation in Primate Gene Expression Patterns
Der Artikel in "Science" (Bd. 296, S. 340/ kostenpflichtig): Intra- and Interspecific Variation in Primate Gene Expression Patterns
->   Science
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Proteine, Gene und Details der Studie
Gene sind die Bauanleitung für Proteine, die fast alle Vorgänge im Körper bestimmen. Unter Genexpression versteht man das Ablesen und Übersetzten der genetischen Information. Dabei wird nach der Information des Gens ein Protein gebildet.

Die Wissenschaftler hatten für ihre Studie die Proteinausstattung des Menschen mit jener von Schimpansen, Orang-Utans, Makaken und mehreren Mäusearten verglichen. Dabei stellte sich heraus, dass der Mensch vor allem im Hirn einen größeren Teil seiner Erbanlagen tatsächlich in Proteine umsetzt. Das Erbgut des Menschen ist diesen Angaben zufolge in vielerlei Hinsicht aktiver.
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Beschleunigte, evolutionsbedingte Veränderungen
Die Daten deuten darauf hin, dass beim Menschen die Veränderung der Genexpression in seinem Gehirn viel schneller stattfand und er mindestens fünf Mal mehr Expressionsunterschiede als der Schimpanse angesammelt und sich so von seinem engsten Artverwandten distanziert hat.

"Eine genauere Kenntnis dieser Unterschiede könnte Wissenschaftlern außerdem dabei helfen, die genetischen Grundlagen für medizinische Merkmale wie die Anfälligkeit für Aids, Malaria und die Alzheimersche Krankheit besser zu verstehen", meint Pääbo.
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Wie Gen-Expression gemessen wird
Pääbo und seine Mitarbeiter untersuchten diese Unterschiede mit Hilfe von Gen-Chips, die winzige Tupfer menschlicher DNA trugen und dabei etwa 18.000 Gene repräsentierten. Die Chip-DNA interagierte mit gereinigtem Gen-Material, das dem Gehirn und der Leber von Menschen, Schimpansen und Makaken entnommen worden war, und ermöglichte es den Forschern, den Grad der Genexpression in den einzelnen Spezies zu messen.
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Gleichheiten und Unterschiede
Obwohl manche Menschen bezüglich ihres Gesamtexpressionsmusters enger mit Schimpansen als mit anderen Menschen verwandt zu sein scheinen, ergeben sich laut Studie artenspezifisch typische Schemata.

So ähnelt der Grad der Genexpression in Blut- und Lebergewebe beim Menschen eher dem des Schimpansen als des Makaken. Bei der Genexpression im Gehirngewebe sind sich jedoch Schimpansen und Makaken weitaus näher.

Die Unterschiede in der Genexpression gegenüber dem Muster des Makaken scheinen sich beim Menschen und Schimpansen ungefähr mit derselben Geschwindigkeit vollzogen zu haben. Das trifft sich - auf Grund der engen evolutionären Verwandtschaft zwischen Mensch und Schimpanse - mit den Erwartungen der Experten.
Eine Besonderheit der Evolution
Um festzustellen, ob derartige Unterschiede wie zwischen Menschen und Schimpansen häufig unter Lebewesen mit enger Artverwandtschaft auftreten, analysierten die Forscher auch die Gen- und Proteinexpression in zwei Mausarten, die sich genetisch so ähneln wie Mensch und Schimpanse.

Sie fanden bei den Mäusen geringere Unterschiede im Expressionsgrad, was darauf hindeutet, dass die Diskrepanz zwischen Menschen und Schimpansen eine Besonderheit in der Evolution darstellt.
Wodurch wurde diese Besonderheit hervorgerufen?
"Doch wenn diese Veränderungen in der Evolution bedeutend waren, welche spezifischen Gene oder Proteine waren daran beteiligt?", lautet die nächste Frage.

Pääbo meint, dass die Forscher noch nicht wissen, ob die verstärkte Expression im menschlichen Gehirn generell bei einer Vielzahl von Genen erfolgt, oder ob der große Unterschied zwischen Menschen und Schimpansen auf Veränderungen bei einigen wenigen Genen oder Genfamilien zurückzuführen ist.

Die Wissenschaftler sammeln deshalb weitere Daten, um festzustellen, ob sich bestimmte Gene "im Verlauf der jüngsten Evolution des Menschen in einer besonders übereinstimmenden und tief greifenden Weise verändert haben", stellt Pääbo fest.

Vergleiche zwischen dem menschlichen Genom und einem vollständigen Schimpansengenom könnten helfen, diese Frage zu beantworten. Leider gibt es das vollständig entschlüsselte Schimpansengenom noch nicht, aber das ist sicher nur eine Frage der Zeit.
->   Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig
 
 
 
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01.01.2010