News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Wer darf hinein ins Who-is-Who?  
  Seit jeher stehen die Verfasser wissenschaftlicher Enzyklopädien vor einer entscheidenden Frage: Wer darf hinein in das Standardwerk und wer bleibt draußen? Das Beispiel einer Enzyklopädie aus dem Bereich Sozialwissenschaften zeichnet den Weg nach, wie es zur Bildung eines Kanons kommt.  
26-bändiges Kompendium
Die Qual der Wahl hatte der Soziologe Karl Ulrich Meyer, als er für die 2001 erschienene epochale Enzyklopädie der Sozial- und Verhaltenswissenschaften die 150 renommiertesten Wissenschaftler seit Beginn des 18. Jahrhunderts aufspürte.

Die International Encyclopedia of the Social and Behavioral Sciences, herausgegeben vom Soziologen Neil J. Smelser und dem Psychologen Paul B. Baltes im Elsevier-Verlag, ist ein 26 Bände umfassendes Kompendium, das in 4.500 Artikeln und 147 Biografien einen weitgespannten Bogen über die diversen Teildisziplinen und ihre prägendsten Vertreter präsentiert.
Eine intellektuelle Herausforderung sondergleichen
Karl Ulrich Meyer, Herausgeber für den Bereich Biografien, war dafür verantwortlich, wer in den elitären Kanon der herausragendsten Persönlichkeiten im Feld der Sozialwissenschaften aufgenommen wurde. Ein mühevoller und langwieriger Ausleseprozess der Besten von den Guten.

Zu Entstehungsbeginn 1997 beschlossen die Herausgeber ein "Memorandum of Agreement Regarding Biographical Entries", in dem die Richtlinien für die Aufnahme von Forschern in den biografischen Teil festgelegt wurden.
Drei Auswahlkriterien: ...
In gemeinsamen Gesprächen der Herausgeber mit Karl Meyer wurden diese Selektionskriterien neu überdacht, spezifiziert und erweitert. Auf folgende Auslesekriterien hat man sich geeinigt: prägnante Beiträge, hoher Impact-Faktor und Interdisziplinarität.
... prägnante Beiträge ...
Der Themenbereich "Biografien" sollte nicht mehr als 150 bereits verstorbene Persönlichkeiten umfassen, wobei jeder Beitrag in einem kurzen, analytischen Essay bestehen sollte, der sich mit den wissenschaftlichen Leistungen als auch mit dem Umfeld, in dem Person und Werk eingebettet waren, beschäftigt.
... hoher Impact-Faktor ...
Die auserlesenen Personen sollten sich durch einen hohen, heute noch gültigen wissenschaftlichen Impact auszeichnen, der daran gemessen wird, inwieweit die Werke der betreffenden Person in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung noch als Quelle herangezogen werden, und wie die Bedeutung der jeweiligen Person in Rankings von derzeitigen Sozialwissenschaftlern eingestuft wird.
... und Interdisziplinarität
Ihr großer Stellenwert im Wissenschaftsfeld sollte sich nicht nur auf einen Hauptgedanken oder auf einen wissenschaftlichen Beitrag stützen. Wissenschaftler, die in mehreren Disziplinen oder Teildisziplinen besonderes geleistet haben, wurden bevorzugt.
Breit gestreutes Spektrum
Das volle Spektrum der Sozial- und Verhaltenswissenschaften abdecken zu können, erhöhte ebenfalls die Chance, sich einen Platz unter den Top Sozialwissenschaftlern zu erkämpfen.

Es wurde Wert darauf gelegt, alle Staaten und Regionen der Welt als auch weibliche Wissenschaftlerinnen auf faire Weise zu berücksichtigen.
Drei-Phasen-Programm
Das Auswahlverfahren unterteilte sich in drei Phasen: Ausgestattet mit diesen Aufnahmeauflagen machte sich Meyer zuerst in der eigenen Bibliothek, in verschiedenen Handbüchern und Monographien über die Geschichte der unterschiedlichen Disziplinen, in Bernard Pivot's "La Bibliotheque Ideale" (Paris: Albin Michel 1988) und in der "International Encyclopedia for the Social Sciences" auf die Suche. Zusätzlich befragte er Kollegen auf Kongressen.

Auf diese Weise erhielt Meyer eine Ausgangsliste von 450 Namen, die es zu reduzieren galt.
Auflistung und Reihung
In einem zweiten Schritt forderte er die 35 Teilgebietsherausgeber der Enzyklopädie auf, die ihres Ermessens nach fünf bis zehn bedeutendsten Wissenschaftler in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich aufzulisten und zu reihen. Fachberater und informelle Ratgeber wurden um Vorschläge gebeten.
Zitierungshäufigkeit
Zusammen mit Marianne Müller-Brettel analysierte Meyer zuguterletzt die Zitierungshäufigkeit der aufgelisteten Personen in der Zeitspanne von 1973 bis 1996, sodass als Resumee der aufwendigen Recherchearbeiten eine 150 Personen umfassende Liste der "creme de la creme" der Sozialwissenschaftler präsentiert werden konnte.
...
Luhmann wurde noch aufgenommen
Der während des Publikationsvorganges verstorbene Niklas Luhmann wurde noch in den Biografieteil aufgenommen.
...
Drei Persönlichkeiten fehlen
Drei auf der Liste aufscheinende Wissenschaftler, nämlich Lasswell, Dobzhansky und Braudel fehlen, da die Bearbeiter ihrer Biografien ihre Aufträge nicht erfüllten und aus Zeitmangel kein Ersatz gefunden werden konnte.
Frauen in krasser Minderheit
Die Personenauswahl zeigt deutlich, dass Frauen in der Geschichte der Wissenschaft viel zu lange eine untergeordnete bis gar keine Rolle gespielt haben und daher trotz großer Bemühungen von Seiten Karl Meyers in den Rankings kaum aufscheinen, was wiederum die verschwindende Zahl von Wissenschaftlerinnen (acht von 150) im Biografieteil erklärt.
->   The International Encyclopedia of the Social and Behavioral Sciences
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010