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Ethno-Genetik zwischen Hoffnung und Missbrauch  
  Genom-Forscher haben kürzlich erklärt, in Hinkunft vermehrt die genetischen Differenzen verschiedener Ethnien zu durchleuchten. Man verspricht sich davon spezifische medizinische Hilfe etwa für Entwicklungsländer. Kritiker warnen indes, dass solche Daten auch missbraucht werden könnten.  
Beim soeben in Shanghai stattfindenden siebten internationalen Human Genome-Meeting (HGM) wurde von Genetikern die Absicht bekundet, das zukünftige Augenmerk auf die Entwicklung von medizinischen Behandlungsmethoden für Länder der dritten Welt zu legen. Insbesondere die genetischen Ursachen von Krankheiten, die im asiatischen Raum verbreitetet sind, rückten ins Zentrum des Interesses, so die Wissenschaftler.
->   Zum HGM 2002 in Shanghai
Vorerst einfache Erkrankungen untersuchen
Zunächst möchten sich die Forscher auf so genannte monogene Erbkkrankheiten konzentrieren. Später will man auch Erkrankungen mit komplexeren Ursachen, wie etwa Diabetes und Krebs im Detail erforschen.
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Monogene Erbkrankheiten
Als monogene Krankheiten bezeichnet man jene, die von nur einem Gen (bzw. einer dort liegenden genetischen Veränderung) ausgelöst werden. Typische Beispiele dafür sind Stoffwechselkrankheiten, wie etwa Phenyketonurie oder zystische Fibrose. Allerdings sind mehr als 99 Prozent aller Krankheiten polygen beeinflusst (d.h. von mehreren Genen abhängig) und/oder stark umweltabhängig.
->   Mehr zu monogenen Erbkrankheiten
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Frühe und moderne Ethno-Genetik
Schon lange vor der endgültigen Sequenzierung des Humangenoms im Jahr 2001 wusste man, dass Krankheitsdispositionen in gewissen Erdteilen gehäuft auftreten.

So ist etwa die erbliche Alkoholintoleranz vor allem im asiatischen Raum verbreitet, während sie in Europa äußerst selten vorkommt. Andere Beispiele sind die im afrikanisch-karibischen Raum verbreitete Sichelzellenanämie sowie die auf Cypern gehäufte Thalassämie, beides Defekte, die die sauerstofftragenden Blutzellen betreffen.

Neuere Forschungen zeigen, dass gewisse molekulare Marker, so genannte Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs) geeignet sind, feinste genetische Unterschiede zwischen Individuen zu identifizieren.
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Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs)
SNPs, im genetischen Laborjargon auch "Snips" genannt", sind die einfachsten genetischen Polymorphismen, die möglich sind. Sie beruhen auf dem Austausch einzelner Nukleotidbasen, den kleinsten Bausteinen unseres Erbgutes.

Neuere Forschungen zeigen, dass über 90 Prozent der Gene SNPs tragen. Im Jahr 2001 konnte die "SNP Map Working Group" bereits 60.000 in Genen liegende Polymorphismen ("coding SNPs") identifizieren.
->   Mehr zu SNPs
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Medizinische Implikationen
Dies ist deswegen medizinisch bedeutsam, weil herausgefunden werden konnte, dass subtile Unterschiede am so genannten APOE-Gen mit der Alzheimer-Krankheit assoziert sind. Ähnliche Ergebnisse wurden auch an dem Gen für den Zellrezeptor CCR5 erzielt, der mit möglichen Resistenzen gegen HIV in Verbindung gebracht wird.

Andere medizinische Anwendungen der SNP-Variationen behandelt die Disziplin "Pharmakogenomics", die sich unter anderem für die individuelle Aufnahmegeschwindigkeit von Arzneimitteln interessiert.
Forschungsberichte am HGM 2002
Auf dem HG-Meeting in Shanghai wurde von Forschern der Chinese University of Hong Kong nun eine Untersuchung vorgestellt, die SNPs in 36 Genen, die mit kardiovaskulären Erkrankungen assoziert sind, analysierte. Drei Untersuchungsgruppen aus Frankreich, Spanien und China wurden verglichen.

Es zeigte sich, dass die genetischen Unterschiede mit der geographischen Distanz zusammenhingen und damit das angekündigte hehre Ziel medizinischer Entwicklungshilfe im Bereich des Möglichen wäre.
->   Zum Abstract der Untersuchung
Horrorvision Ethno-Waffen
In einem anderen Zusammenhang wurde allerdings davor gewarnt, dass das Wissen um subtile inter-ethnische Genom-Unterschiede auch für ganz perfide Vorhaben missbraucht werden könnte. Carina Dennis, Autorin des Wissenschafts-Magazins "Nature", warnte im vergangenen Jahr davor, dass humangenetisches Wissen theoretisch in die Konstruktion neuer Biowaffen einfließen könnte.

Eine besondere Horrorvision ist in diesem Zusammenhang der Gedanke, dass die eruierten genetischen Differenzen es möglich machen könnten, Menschen nach ihrer ethnischen Herkunft gezielt zu schädigen. Paul Ewald, Experte für die Evolution von Krankheiten vom Amherst College in Massachusetts, beurteilt solche Szenarien als "noch unrealistisch".
->   Zum Artikel in "Nature" (kostenpflichtig)
Gefährlicher "Spin-off"
Dass auch völlig unbedenkliche Forschungsrichtungen zu riskantem Know-how führen können, zeigen allerdings die letztes Jahr im "Journal of Virology" veröffentlichten Ergebnisse Australischer Wissenschaftler vom Pest Animal Control Cooperative Research Centre in Canberra.

Sie hatten im Zuge immunologischer Untersuchungen den für Mäuse gefährlichen Ectromelia-Virus derart modifiziert, dass dieser seine Virulenz um ein Vielfaches erhöhen konnte.
Erst später merkten sie, dass ähnliche Methoden auch die Gefährlichkeit menschlicher Viren erhöhen könnten.

Angesichts solchen "Spin-offs" sind die Hinweise von Carina Dennis auf den möglichen Missbrauch von genetischem Wissen allemal angebracht.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Zum Artikel im "Journal of Virology"
 
 
 
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01.01.2010