News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Gendefekt als Ursache für Alkoholkrankheit?  
  Stressempfindliche Menschen können, wenn sie erhöhtem Stress ausgesetzt sind, alkoholkrank werden. Im Rahmen einer Studie wurde jetzt festgestellt, dass auch Mäuse, die an einem gestörten natürlichen Stresssystem leiden, bei psychischer Belastung mehr Alkohol trinken als normale Mäuse. Dies deutet auf einen genetischen Zusammenhang hin, der auch bei der stressbedingten Form des Alkoholismus von Menschen Bedeutung haben könnte.  
Neben normalen Mäusen wurden auch solche untersucht die an einem genetischen Defekt leiden. Bei diesen mutierten Mäusen funktioniert der so genannte CRH1-Rezeptor nicht - dieser erfüllt eine wesentliche Funktion bei der Stressverarbeitung im Gehirn.
Unter Stressbedingungen reagierten diese Tiere mit verstärktem Alkoholkonsum.
Mechanismus bestimmter Alkoholkrankheiten entdeckt?
Auch bei Menschen spielt die genetische Disposition eine wichtige Rolle für die Entwicklung und die Ausprägung der Alkoholkrankheit.

Daher glauben die Wissenschaftler rund um Rainer Spanagel vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie, einen neurobiologischen Mechanismus gefunden zu haben, der auch bei ganz bestimmten Arten von menschlichem Alkoholismus eine wesentliche Rolle spielt, wie die Wissenschaftler im Fachjournal 'science' berichten.
...
Der Artikel in 'science': Enhanced and Delayed Stress-Induced Alcohol Drinking in Mice Lacking Functional CRH1 Receptors
( Bd. 296, S. 931/kostenpflichtig).
->   Der Artikel in 'science'
...
Stress und seine Folgen im Chemiehaushalt des Gehirns
Wird der Organismus einer Stress-Situation ausgeliefert - das gilt für Maus und Mensch gleichermaßen -, setzt er vermehrt ein Eiweißmolekül frei, das so genannte Corticotropin freisetzende Hormon, kurz CRH.

Dieses Molekül steuert nicht nur die hormonelle Stress-Antwort, sondern koordiniert ebenfalls eine ganze Reihe von Verhaltensweisen, die geeignet sind, die Stress-Situation zu bewältigen. Im Gehirn bindet CRH in verschiedenen Regionen, die für emotionales Verhalten, wie z.B. Angst, relevant sind.
Zentrum der Stressverarbeitung gestört
Zu den Rezeptoren, die das Hormonsignal aufnehmen, gehört der Corticotropin-Releasing Hormone Rezeptor Typ 1.

Die gentechnisch veränderten Mäuse (Knockout-Mäuse) besitzen einen Defekt in genau jenem Gen, das die Bauanleitung für den CRH Rezeptor Typ 1 trägt.
...
Alkoholismus und Umweltfaktoren
Die Entwicklung von Alkoholismus lässt sich sowohl auf genetische Faktoren als auch auf Umweltfaktoren zurückführen. Ein besonders wichtiger Umweltfaktor ist der Stress - und zwar nicht nur in Bezug auf Alkoholmissbrauch, sondern auch bei anderen psychiatrischen Erkrankungen wie z. B. Angststörungen, Depression und posttraumatischen Stress-Erkrankungen.
...
Alkoholkonsum um das Dreifache gestiegen
In den Untersuchungen tranken die Mäuse, bei denen die zentrale Regulation der Stress-Antwort gentechnisch gestört war, zunächst die gleiche Menge Alkohol wie die genetisch intakten Tiere aus der Kontrollgruppe.

Dies änderte sich bei den normalen Mäusen auch nicht nachdem sie drei Tage nacheinander durch eine fremde Maus und den Zwang, schwimmen zu müssen, unter Stress gesetzt waren.

Bei den mutierten Tieren stieg nach drei Wochen dagegen die tägliche Alkohol-Dosis um das Dreifache.
...
Trinkgewohnheiten von Mäusen
Beide Mäusegruppen bekamen Wasser und verschiedene Alkoholkonzentrationen und bevorzugten nach der Eingewöhnung achtprozentigen Alkohol. Die Knockout-Mäuse reagierten, auf Stress, im Gegensatz zur Kontrollgruppe über fünf Monate hinweg mit einer kontinuierlich verstärkten Aufnahme von Alkohol.
...
Intaktes Stress-System minimiert Suchtrisiko
Offensichtlich ist ein intaktes zentrales Stress-System erforderlich, um das Risiko zum Alkoholismus, das nach längerer Stress-Erfahrung entsteht, erfolgreich zu reduzieren bzw. auszuschließen.

Bei etwa 20 Prozent von ehemaligen Alkoholikern führt starker Stress leicht zu einem Rückfall. "Wenn Variationen im CRH-1-Gen dafür verantwortlich sind, so könnte ein genetischer Test dieses Risiko zeigen", meint Spanagel.

Derzeit läuft eine entsprechende Studie mit 524 Patienten.
Mehr als ein Rezeptor am Alkoholkonsum beteiligt?
Parallele Untersuchungen ergaben, dass ein weiterer Rezeptor im Gehirn, an den vornehmlich Glutamat bindet, der sogenannte NR2B-Rezeptor, in bestimmten Hirnregionen der gentechnisch veränderten Mäuse erhöht ist. Dieser Rezeptor reagiert auf Alkohol.

Die Wissenschaftler vermuten daher, dass die Erhöhung des Glutamatrezeptors in den Knockout-Mäusen zur Stress-induzierten Steigerung des Alkoholkonsums in diesen Tieren beiträgt.
->   Max-Planck-Institut für Psychatrie
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010