News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Drosophila: Kleine Geschichte der Laborzoologie  
  Die Fruchtfliege Drosophila ist der Superstar unter den so genannten Modellorganismen der Lebenswissenschaften. Grundlegende Erkenntnisse der Genetik und Entwicklungsbiologie wurden an ihr gewonnen. Der Weg zum heutigen Kenntnisstand war jedoch durch eine Reihe von Zufälligkeiten gekennzeichnet.  
Die Fruchtfliege Drosophila melanogaster wurde erstmals Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben. Man vermutet, dass sie ursprünglich aus den Tropen stammt und über Bananenimporte nach Europa und in die USA eingeführt wurde.
Profane Ursprünge
Der amerikanische Genetiker Thomas Hunt Morgan (1866-1945) war der erste, der die Fruchtfliege als Modellorganismus in die Biologie einführte. Zuvor hatte er an Ratten und Mäuse geforscht, konnte aber wegen der langen Generationszeit und der hohen Kosten dieser Tiere die Vererbungsmechanismen nicht genauer untersuchen.

Morgan erfuhr erstmals 1907 von Drosophila, begann jedoch erst im Jahre 1909 damit zu arbeiten. Die Fruchtfliege, die heute zu den genetisch am besten untersuchten Organismen gehört, bot sich damals aus durchaus profanen Gründen als ideales Untersuchungsobjekt an.

Sie war klein, einfach und billig zu züchten und reproduzierte sich ganzjährig mit einer Generationsdauer von nur 12 Tagen. Zudem hatte sie eine hohe Zahl an Nachkommen (ca. 1.000 Eier pro Weibchen) bei einfacher Unterscheidbarkeit der Geschlechter.
Morgan und der Begriff der Mutation
Zusammen mit seinen Schülern Alfred H. Sturtevant, Calvin B. Bridges und H.J. Muller begann Morgan in seinem so genannten "fly room" an der Columbia University Drosophila melanogaster (und andere Arten dieser Gattung) systematisch zu züchten. In einer der Kulturen trat nach einiger Zeit eine Form auf, die - im Gegensatz zu den sonst rotäugigen Wildformen - weiße Augen trug.

Morgan konnte zeigen, dass sich die der Weißäugigkeit zugrunde liegende Erbänderung - gemäß den Mendelschen Vererbungsregeln - als rezessives Merkmal vererbte. Er wandte auf diese Erbänderung den Begriff der "Mutation" an, der zuvor vom holländischen Botaniker Hugo de Vries geprägt worden war.

Dies erwies sich zwar, im Sinne der ursprünglichen Intention von de Vries, als Fehlinterpretation. In weiterer Folge setzte sich aber der Morgansche Mutationsbegriff durch, da de Vries mit seiner Wortschöpfung in Wirklichkeit eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Phänomene beschrieben hatte.
...
De Vries' Mutationstheorie
Hugo de Vries (1848-1935) nahm an, dass die Fortschritte der Evolution durch einzelne große, plötzlich auftretende Veränderungen bewirkt würden, die er Mutationen nannte.

Dies betrachtete er als Alternative zur Darwinschen Selektionstheorie. Er stützte seine Theorie auf Beobachtungen an der Nachkerze, Oenothera lamarckiana, die in seinem Garten verschiedene Mutationen hervorbrachte. De Vries betrachtete die Mutanten als neue Pflanzenspezies, ihr eigentliches Wesen wurde erst viel später erkannt.

Einige dieser Mutanten zeigten Abweichungen in der Chromosomenzahl, andere waren homozygot für rezessive Gene, die bei den Eltern heterozygot gewesen waren. Nur eine ganz geringe Zahl von Mutationen ging auf mutative Veränderungen (im Morganschen Sinne) in den Genen der Versuchspflanzen zurück.
->   Mehr zu Hugo de Vries
...
Der Weg zur Chromosomentheorie
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten die Biologen T. Boveri und W. Sutton unabhängig voneinander die Hypothese aufgestellt, dass die Erbinformation auf den Chromosomen im Zellkern lokalisiert sei.

Erst viel später konnte mit den Methoden der molekularen Genetik gezeigt werden, dass die Erbinformation einerseits in DNA-Molekülen codiert ist und Chromosomen andererseits als Hauptkomponente DNA enthalten.

Vor dieser endgültigen Bestätigung der Chromosomenhypothese konnte aber Thomas Morgan mit seinen Mitarbeitern einige wichtige Hinweise liefern, welche die Boveri-Suttonsche Theorie unterstützten.
Erste Genkarten
Morgan konnte zeigen, dass sich einige Merkmale der Fruchtfliege (z.B. Stummelflügeligkeit und schwarze Körperfarbe) der Mendelschen Regel der freien Kombinierbarkeit widersetzten. Er zog daraus den richtigen Schluss, dass die Gene dieser Merkmale eine genetische Kopplungsgruppe bilden - und daher auf dem selben Chromosom lokalisiert sein müssten.

Die Theorie der Kopplungsgruppen ermöglichte 1911 die Erstellung erster genetischer Chromosomenkarten, auf denen die Reihenfolge bestimmter Gene abzulesen war - obwohl deren molekulare Natur erst viel später aufgeklärt wurde.

Ein weiterer glücklicher Umstand macht Drosophila dann zum hauptsächlichen Untersuchungsobjekt der Zellgenetik. In den Kernen der Speicheldrüsenzellen von Drosophila-Larven befinden sich Verbände ungewöhnlich großer Chromosomen, die ein färbbares Querscheibenmuster enthalten, das mit einem normalen Lichtmikroskop studierbar ist.

Dies führte zur Entwicklung so genannter physikalischer Chromosomenkarten. Im Jahr 1933 erhielt Morgan für seine Entdeckungen den Nobelpreis für Physiologie und Medizin.
...
Chromosomenkarten
Eine Chromosomenkarte ist eine grafische Darstellung eines Chromosoms, in der die Gene mit ihren relativen Abständen voneinander in linearer Folge eingetragen sind. Sind die Gene in ihren (in Morgan-Einheiten ausgedrückten) durch Crossing-over bedingten Austauschwerten entsprechenden Abständen wiedergegeben, spricht man von genetischen Chromosomenkarten. Bei physikalischen Chromosomenkarten beruht die Angabe der Lage der Gene auf dem Chromosom auf Befunden aufgrund der Bänderungstechniken.
->   Mehr zu Thomas Morgan
...
Embryonalentwicklung der Fruchtfliege
Ein weiteres Beispiel für wissenschaftshistorische Meilensteine, die am Untersuchungsobjekt Drosophila gewonnen wurden, ist die Aufklärung der embryonalen Musterbildung. Die Biologen Christiane Nüsslein-Volhard und Eric Wieschaus untersuchten in den 1970er Jahren die Embryonalentwicklung an der Fruchtfliege.

Für solche Studien ist von großem Vorteil, dass der Drosophila-Embryo in einem frühen Stadium seiner Entwicklung noch keine getrennten Zellen ausbildet. Dies erwies sich als ideale Bedingung, um die in der folgenden Entwicklung einsetzende Segmentierung zu untersuchen.
Segmentierungsgene
Nüsslein-Volhard und Wieschaus konnten in einer im Jahr 1980 in der Zeitschrift "Nature" erschienen Arbeit zeigen, dass die Embryonalentwicklung der Fruchtfliege maßgeblich von der Aktivität dreier Klassen so genannter Segmentierungsgene abhängig ist.

Damit widerlegten sie die bis dahin gängige Ansicht, wonach die Einzelheiten des Körperbauplans bereits durch mütterliche Gene (so genannte maternale Determinanten) festgelegt seien.

Interessanterweise wurden auch hier - wie im Fall von Thomas Morgan - zunächst rein morphologische Beobachtungen verallgemeinert, deren genetische Interpretation erst später im Detail mit molekularbiologischen Methoden bestätigt werden konnte. Nüsslein-Volhard und Wieschaus bekamen im Jahr 1995 für ihre Entdeckung den Nobelpreis für Medizin.
...
Musterbildungsgene
Musterbildungsgene sind Gene, welche die Ausbildung des Körper-Musters während der Embryonalentwicklung steuern. Bei der Unterteilung der Körperlängs-Achse des Drosophila-Embryos in einzelne Segmente sind mehrere Klassen von Musterbildungsgenen beteiligt. Eine Klasse bilden die so genannten zygotischen Segmentierungsgene, die wiederum in drei Unterklassen zu teilen sind: 1. die gap-Gene (z.B. hunchback, knirps, Krüppel), 2. die Paarregel-Gene (z.B. fushi tarazu) und 3. die Segmentpolaritäts-Gene (z.B. engrailed).
->   Mehr zu Christiane Nüsslein-Volhard
...
Robert Czepel, science.ORF.at
Mehr Artikel rund um die Fruchtfliege in science.ORF.at:
->   Fruchtfliege: Topfit selbst bei extremen Flugmanövern
->   Elektrischer Reiz für Erinnerung notwendig
->   Dem Geheimnis des Riechens auf der Spur
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010