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Die Hälfte aller Amokläufer sind Nachahmungstäter  
  Das Phänomen ist von Selbstmorden bekannt: Besonders spektakuläre, von den Medien dramatisierte Beispiele können andere suizidgefährdete Menschen zur Nachahmung anregen. Wie eine deutsch-amerikanische Studie belegt, wird auch die Hälfte aller Amokläufe - von den Psychologen oft als "erweiterte Selbsttötung" bezeichnet - von Nachahmungstätern begangen.  
Durch Medienberichte angeregt
"Amokläufe, die Furore machen, lösen Nachahmereffekte aus", fasst die "ÄrzteZeitung" vom Dienstag das Ergebnis einer noch unveröffentlichten Untersuchung zusammen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass solche Gewalttäter durch Medienberichte zu ihren Taten angeregt werden.

Die Studie soll in der Zeitschrift "Suizidprophylaxe" erscheinen, die von der deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) herausgegeben wird.
->   DGS
143 Amokläufe untersucht
Forscher aus Würzburg, Mannheim, Michigan und New-Jersey haben 143 Amokläufe in aller Welt von 1993 bis 2001 statistisch untersucht. Dabei stellen sie fest, dass sich die Taten nicht gleichmäßig übers Jahr verteilen, sondern in Wellen auftreten.
44 Prozent spätestens zehn Tage nach letzter Tat
44 Prozent der Amokläufe passierten innerhalb von zehn Tagen nach einer in den Medien berichteten derartigen Tat. Auch Täter, Opfer und Ausführung ähnelten sich deutlich.
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Täterprofil: 35 Jahre, Waffenkontakt, männlich
An den 143 untersuchten Taten hatten sich 144 Männer und eine Frau beteiligt. Das Durchschnittsalter lag bei 35 Jahren, die Anzahl der Opfer betrug im Mittel drei Personen. Ein erheblicher Teil der Täter hatte beruflichen Kontakt zu Waffen: 28 Prozent waren Soldaten, sieben Prozent Polizisten, viele weitere Waffennarren.
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Ähnlichkeiten mit Selbstmorden
Die Wissenschaftler gelangen deshalb zu dem Schluss, dass Amoktaten überdurchschnittlich häufig imitiert werden. Damit ähneln sie Selbstmorden, die u.a. deshalb verglichen werden können, da etwa die Hälfte der Täter dem eigenen Verbrechen zum Opfer fällt.

Psychologen führen die Imitation von Ort, Motiv und Methode des Selbstmordes oder der Tat selbst auf den so genannten "Werther-Effekt" zurück.
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Der Werther-Effekt
Der Werther-Effekt geht auf den Brief-Roman "Die Leiden des jungen Werther" von Johann Wolfgang Goethe aus dem Jahre 1774 zurück, der eine regelrechte Suizid-Epidemie unter seinen Zeitgenossen auslöste.

Der amerikanische Soziologe David Phillips prägte den Begriff "Werther-Effekt". Er studierte 1965 den Zusammenhang von Selbstmorden prominenter Personen und der allgemeinen Suizidrate. Das Ergebnis: Bei 26 der insgesamt 33 untersuchten Suizide zeigte sich der Werther-Effekt - und der war umso stärker, je prominenter der Selbstmörder war. Am größten war er bei Marilyn Monroe. Je mehr die Medien über den Selbstmord berichtet hatten, umso stärker stieg die Zahl der Suizide.
->   Mehr über den Werther-Effekt
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Berichterstattung fördert Imitationen
"Eine Aufsehen erregende und detaillierte Berichterstattung in den Medien fördert solche Imitationen und sollte unterbleiben", fordert einer der Mitautoren, Armin Schmidtke von der Abteilung für Klinische Psychologie der Universität Würzburg.

Es könne fatale Folgen haben, wenn - wie in Erfurt - Kamerateams den Weg nachfilmen, den der Attentäter gegangen ist. Ende April hatte dort ein 19-jähriger Gymnasiast im Erfurter Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen und sich selbst erschossen.
->   Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Uni Würzburg
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Auch Erfurt-Attentäter war Nachahmer
Auch der Erfurter Amokschütze Robert Steinhäuser war nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Focus" vom 4. Mai ein Nachahmungstäter. Die Polizei entdeckte demzufolge auf der Festplatte seines Computers eine Dokumentation des Schulmassakers von Littleton/Colorado. Beim Amoklauf von zwei Schülern am 20. April 1999 starben dort 15 Menschen.
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"Welle derartiger Ereignisse"?
Schon kurz nach der Bluttat in Erfurt äußerten Amokforscher die Befürchtung, dass dadurch potenzielle Täter animiert werden könnten. Diese Bedrohung sei leider "nicht unerheblich", meinte damals der ärztliche Direktor des Fachkrankenhauses im thüringischen Mühlhausen, Lothar Adler.

Armin Schmidtke bestätigte, "andere könnten sich Steinhäuser zum Vorbild nehmen": "Wir müssen befürchten, dass Deutschland eine Welle derartiger Ereignisse erlebt."
->   Ärztezeitung
 
 
 
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01.01.2010