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Wiederentdeckung von Günther Anders gefordert  
  "Wir leben in einer radikal neuen und akut vom Untergang bedrohten Welt" - so Günther Anders in einem Zitat, das die Umrisse seines Schaffens zeichnet. Der Philosoph und Schriftsteller, Schüler Martin Heideggers, Technikkritiker und radikale Antifaschist wäre am 12. Juli dieses Jahres 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass findet in Wien ein internationales Symposion statt, eine neu erschienene Biografie spricht sich für die "Wiederentdeckung" Anders'scher Positionen aus.  
In seinem Buch "Günther Anders. Philosophieren im Zeitalter der technologischen Revolutionen" votiert der Wiener Philosophie-Professor und science.ORF.at-Host Konrad Paul Liessmann für diese Wiederanwendung. Er hält auch den Einführungsvortrag im Günther Anders-Symposion, das am Donnerstag in Wien beginnt.
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Das Symposion
"Urlaub vom Nichts - zum 100. Geburtstag und zehnten Todestag des österreichischen Philosophen Günther Anders", veranstaltet vom Günther Anders Forum in Wien.

Zeit: Donnerstag, 27. Juni und Freitag, 28. Juni - jeweils ab 15.00 Uhr; Ort: ORF Funkhaus, Studio 3, Argentinierstr. 30a, 1040 Wien

Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit den Wiener Vorlesungen, der Wissenschaftsabteilung der ORF-Radios, dem Institut für Philosophie der Universität Wien und dem C. H. Beck-Verlag organisiert.

Der Eintritt ist frei, Anmeldung erforderlich: Tel. (01) 501 01 18180, Fax (01) 501 01 18126 oder per E-Mail.
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Auschwitz, Atombombe und Vietnam
Immer am Tagesgeschehen ausgerichtet, waren Zivilisations- und Technikkritik, radikaler Antifaschismus und Antitotalitarismus sowie absolute Kompromisslosigkeit, die bis tief in persönliche Gegnerschaft und Aversion reichen konnte, Grundmotive der vielfach anekdotisch-aphoristisch oder in Glosse und Feuilleton vorgetragenen Anders'schen Gedanken.

In seinen inhaltlichen Zentralanliegen - Auschwitz, Atombombe, Vietnam, Menschenbild - überholt wirkend, bleibt Anders in Habitus und Stoßrichtung angesichts mehr als je zuvor ausufernder Markt- und Machbarkeitshybris unerhört "zeitgeistig". So kann Liessmann denn auch eingangs konstatieren: "Wenn irgendwo seit Jahrzehnten nachzulesen ist, wie es um uns bestellt ist, dann bei Günther Anders."
Fernsehen: Ontologische Zweideutigkeit
In einem Bereich reicht Anders Zeitkritik, wie Liessmann herausstellt, unverkürzt mitten ins heutige Geschehen: In seiner Analyse der modernen Medien und ihrer Wirkung, vornehmlich des Fernsehens.

Das Fernsehen schaffe eine "ontologische Zweideutigkeit", eine Scheinwelt zwischen Bild und Wirklichkeit, weil es weder echte Realität noch echtes Abbild sei, mit dementsprechenden Wirkungen auf die Wahrnehmung und Reaktion seiner Konsumenten, fasst Liessmann die Anders'sche Einsicht zusammen.
Stets aktuell: Die Antiquiertheit des Menschen
Auch das Fernsehen gehört zu jener Welt der Technologien und "Geräte", die, so eine Leitidee Anders'schen Denkens, den Menschen überholt und hoffnungslos "hinter sich gelassen" habe. Die vom Menschen geschaffene Welt verurteile in ihrer Hybris den Menschen als Gattung zur "Antiquiertheit", gefährde seine Humanität, ja treibe ihn ständig am Rand des Untergangs um.

Angesichts der heute um sich greifenden euphorischen Akklamation aller "Hochtechnologien" bis hin zur Heilserwartung endlich die Weltherrschaft an sich reißender intelligenter Maschinen, scheint Anders Zivilisationsskepsis auch hier "von gestern" zu sein.
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Biographie von Anders
Anders wurde 1902 als Günther Stern in Breslau als Sohn des Begründers der Differenzialpsychologie William Stern geboren. Er promovierte 1923 bei Edmund Husserl in Freiburg. 1936 emigrierte Anders nach Amerika, 1950 kehrte er nach Europa zurück und ließ sich in Wien nieder, wo er auch starb. 1945 hatte Anders begonnen, sich mit der atomaren Situation auseinander zu setzen. Er war Mitinitiator der internationalen Anti-Atombewegung. 1956 erschien sein einflussreiches Buch "Die Antiquiertheit des Menschen. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution".
->   Weiteres zur Biographie von Anders
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Rückkehr zur sprachlichen Nüchternheit
Liessmann allerdings warnt: Es gehöre zu den großen Paradoxien der westlichen Kultur, dass über Produkte technischer Rationalität oft nur in nichtrationalen - "quasisakralen" - Weisen kommuniziert werden könne.

Dies mache unser Verhältnis zu den Technologien anfällig für jederzeit provozierbare Hysterien - negativer wie positiver Art, mag man ergänzen. Die Rückkehr zur Sprache der distanzierten Nüchternheit eines Günther Anders tue hier mehr denn je Not, betont der Autor.
->   Günther Anders Forum
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Buchtipps
Konrad Paul Liessmann: Günther Anders. Philosophieren im Zeitalter der technologischen Revolutionen. Verlag
C.H. Beck, München 2002. 208 Seiten
Zusätzlich hat der C.H. Beck-Verlag auch eine Reihe wichtiger Publikationen neu aufgelegt, so die 1956 und 1980 erstmalig erschienenen zwei Bände der "Antiquiertheit des Menschen".
->   Günther Anders im Beck-Verlag
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->   Beiträge von Konrad Paul Liessmann in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010