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Exzentrisches Verhalten verstärkt sich mit dem Alter  
  Eine britische Studie über die Langzeitveränderungen im Verhalten von Personen mit Persönlichkeitsstörungen kam zu einem erstaunlichen Ergebnis: Demnach verstärkt sich das Verhalten von exzentrischen und ängstlichen Personen mit dem Älterwerden, "heftiges" und antisoziales Verhalten hingegen nimmt ab. Bisher ging man davon aus, dass Persönlichkeitsstörungen sich über die Zeit kaum verändern.  
Studie umfasste 202 Patienten
Die Studie des Imperial College in London umfasste 202 Patienten, bei denen die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung vorlag. Das Alter der Patienten variierte stark - der Altersdurchschnitt betrug 35 Jahre.

Nachdem eine Klassifizierung der unterschiedlichen Persönlichkeitsstörungen in drei Gruppen vorgenommen worden war - "Exzentriker", "Heftig-Unangemessene" und "'Ängstlich-Vermeidende", nahmen die Forscher zwölf Jahre später eine weitere Bewertung der Patienten vor.

Von der ursprünglichen Teilnehmerzahl konnten 178 (88 Prozent) erneut bewertet werden - die anderen 24 waren zu diesem Zeitpunkt entweder verstorben oder verweigerten eine weitere Bewertung.
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Die Ergebnisse ihrer Studie präsentiert das Forscherteam unter dem Titel: "Change in personality status in neurotic disorders" in der aktuellen Ausgabe das Medizinjournals "The Lancet". Der Artikel ist auch online abrufbar.
->   Der Originalartikel (kostenpflichtig)
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Signifikante Veränderungen festgestellt
Die erneute Bewertung ergab signifikante Veränderungen im Laufe der Jahre hinsichtlich des Persönlichkeitsbildes der Patienten.

Während die Verhaltensmerkmale der "Heftigen" nach zwölf Jahren signifikant geringer zum Vorschein traten, hatten sich jene der "Exzentriker" und der "Ängstlich-Vermeidenden" signifikant verstärkt.
Klassifizierung des Verhaltens
Die Gruppe der "Heftigen" umfasste Patienten mit ausgeprägtem unsozialen, theatralischen und aufmerksamkeitsheischenden Verhalten.

In der Gruppe der "Ängstlich-Vermeidenden" wurden Personen mit stark zwanghaften und sorgenvollen Verhaltensmerkmalen subsumiert.

Die Gruppe "Exzentriker" bezog sich schließlich auf Patienten, die schizoide oder paranoide Störungen aufwiesen.
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Persönlichkeitsstörungen
Persönlichkeitsstörungen umfassen tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigen. Dabei findet man bei Personen mit Persönlichkeitsstörungen gegenüber der Mehrheit der betreffenden Bevölkerung deutliche Abweichungen im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in Beziehungen zu anderen. Solche Verhaltensmuster sind meistens stabil und beziehen sich auf vielfältige Bereiche von Verhalten und psychischen Funktionen. Häufig gehen sie mit persönlichem Leiden und gestörter sozialer Funktions- und Leistungsfähigkeit einher.
->   Mehr zu Persönlichkeitsstörungen
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These widerlegt
Bisher gingen die meisten Psychiater davon aus, dass Persönlichkeitsstörungen über die Zeit stabil bleiben. Die Ergebnisse der Studie beinhalten weitere Implikationen.

"Die Tendenz zu sonderbarem bzw. exzentrischem Verhalten kann bei jüngeren Menschen häufig unter Kontrolle gehalten werden, da sie ihr Verhalten entsprechend vorherrschender sozialer Normen ausrichten", erklärt Peter Tyrer, einer der Forscher.

Allerdings verändert sich die Fähigkeit der Anpassung im Laufe der Zeit: "Denn mit dem Älterwerden nimmt die Plastizität des Nervensystems ab, was bei Menschen zu weniger Anpassungsfähigkeit und zum stärkeren Auftreten ihrer spezifischen Verhaltenseigenschaften führt", so Tyrer weiter.
Kritik aus Österreich
Eva Bänninger-Huber, Institutsvorstand für Psychologie in Innsbruck, bestätigt gegenüber science.ORF.at die bisher geltende These, dass "Persönlichkeitsstörungen relativ stabil im Charakter verankert sind".

Allerdings verweist sie auf die Therapiemöglichkeiten, die sehr wohl nachhaltig zu Veränderungen führen können: "Wenn man bisher davon ausgegangen wäre, dass es keine Aussicht auf Veränderung gäbe, wären ja alle therapeutischen Bemühungen sinnlos," kommentiert die Wissenschaftlerin die britische Studie.
Mehr als drei Gruppen an Störungen
Auch warnt Bänninger-Huber vor einer Umlegung aus der Forschung von Persönlichkeitsstörungen gewonnenen Erkenntnisse auf das soziale Verhalten im Generellen.

"Es ist sehr schwierig zu unterscheiden, ob jemand beispielsweise bloß einen schlechten Charakter hat oder an einer Persönlichkeitsstörungen leidet". Hierzu bedürfe es eines exakten diagnostischen Gutachtens.

Darüber hinaus gäbe es mindestens zehn unterschiedliche Arten der Persönlichkeitsstörung, die je unterschiedliche Verhaltensmerkmale nach sich ziehen. Die Unterscheidung von drei Gruppen scheint für die Wissenschaftlerin daher doch etwas dürftig, um diese generellen Aussagen treffen zu können.
->   Imperial College
 
 
 
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01.01.2010