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Möglichkeiten und Grenzen der Reproduktionsmedizin  
  Die medizinischen Fortschritte in der Reproduktionsmedizin haben vielen Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch neue Hoffnungen gegeben. Insgesamt tragen einige dieser neuen Möglichkeiten - Stichwort Klonen - aber auch viel Unberechenbarkeit und gesellschaftlichen Dissens in sich. In Europa sind die mehr oder weniger umstrittenen Methoden im Rahmen der künstlichen Befruchtung unterschiedlich geregelt. Österreich gehört zu jenen Ländern mit der restriktivsten Gesetzeslage.  
"Mehr Wissenschaft und eine Änderung des restriktiven Fortpflanzungsmedizingesetzes", fordert Franz Fischl, Organisator der Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie (ESHRE), die vom 30. Juni bis 3. Juli in Wien stattfindet.
Medizinische, weltanschauliche, religiöse Aspekte
Klonen - Segen oder Fluch? Sind die modernen Techniken der Reproduktionsmedizin tatsächlich sicher oder führen sie zu Missbildungen? Die Bedeutung der Stammzellen in der Reproduktionsmedizin. Eine weltweite Revolution hat begonnen, aber wohin führt sie?

So lauten einige der Fragen, mit denen sich beim diesjährigen Kongress der ESHRE rund 5.000 hauptsächlich europäische Wissenschaftler im Austria Center beschäftigen werden.

Durch intensiven Erfahrungsaustausch, auch über weltanschauliche, religiöse und ideologische Aspekte, soll der Versuch unternommen werden, eine Annäherung der unterschiedlichen Gesetzeslagen herbeizuführen. "Dabei muss ausgelotet werden, was sowohl wissenschaftlich, medizinisch und juristisch möglich ist", erklärt der Gynäkologe Franz Fischl.
Änderungen des Fortpflanzungsmedizingesetzes überfällig?
Die künstliche Befruchtung wird in Österreich durch das so genannte "Fortpflanzungsmedizingesetz" (FmedG) geregelt, das am 1. Juli 1992 in Kraft trat. In diesem zehn Jahre alten Gesetz sind moderne Entwicklungen noch nicht berücksichtigt.

"Da sind einige Dinge nicht verständlich. So ist z.B. die Fremdinsemination ohne IVF (In-vitro-Fertilisation) erlaubt, bei der IVF aber verboten. Auch die Aufbrauchfrist für kryokonservierte Embryonen von zwölf Monaten muss verlängert werden", erklärt Fischl gegenüber der APA die Situation in Österreich.
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Kryokonservierung (Einfrieren von Eizellen)
Die durch Punktion gewonnenen Eizellen, im Durchschnitt drei bis zehn, werden in einem speziellen Kulturmedium aufbewahrt und die behandelten Spermien hinzugefügt (Insemination). Eingesetzt werden durchschnittlich zwei bis drei Eizellen um das Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft zu vermindern.

Die restlichen Eizellen können dann bei minus 196 Grad in Tanks mit flüssigem Stickstoff eingefroren werden, wenn das Spermium in die Eizelle zwar eingedrungen ist, aber noch keine Verschmelzung der Erbanlagen stattgefunden hat (Vorkernstadium). Die Eizellen werden dann in späteren Zyklen aufgetaut und - wie üblich, nach der Verschmelzung, also im Embryonalstadium - in die Gebärmutter übertragen.
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Präimplantationsdiagnostik teilweise legalisieren?
Der Reproduktionsmediziner Fischl kann sich vorstellen, das vollkommene Verbot der Präimplantationsdiagnostik aufzuheben. Denn wenn es in einer Familie eine schwere Erbkrankheit gibt und die Eltern wissen wollen, ob der Embryo diese Anlage dafür habe, sei es nicht einsichtig, dass man bis zur Möglichkeit einer Fruchtwasserpunktion wartet.

"Warum man der Frau womöglich einen Schwangerschaftsabbruch aufbürdet, wenn sie das Kind gar schon im Körper spürt, ist nicht einsichtig", erklärt Fischl.
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Die Präimplantationsdiagnostik
Bei der Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, wird nach einer künstlichen Befruchtung der Embryo auf krankhaft veränderte Gene getestet. Es werden nur diejenigen Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt, die voraussichtlich keine der Krankheiten bekommen, auf die geprüft wurde.

Die Präimplantationsdiagnostik wirft auf Grund ihrer Möglichkeiten natürlich viele ethische Fragen auf und muss sich mit dem Vorwurf der Selektion, dem Bewerten von Leben, auseinandersetzen.
->   Mehr zur PID in science.ORF.at
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Erstgebärende werden immer älter
Weltweit haben bereits zwischen 35 und 70 Millionen Paare die Methoden der "unterstützten Reproduktionstechnologien" in Anspruch genommen, Tendenz stark steigend.

"Dies ist auf eine gesellschaftliche Entwicklung zurückzuführen. Frauen entschließen sich immer später ein Kind zu bekommen und immer mehr Erstgebärende sind schon 30 und älter", beschreibt Fischl die Gründe gegenüber dem ORF-Radio.

Jedoch werde es mit zunehmenden Alter für eine Frau immer schwerer schwanger zu werden. "Wenn es auf natürlichem Wege nach ein bis zwei Jahren noch immer keine Schwangerschaft gibt, dann müssen die Paare über künstliche Befruchtung oder andere Alternativen nachdenken."
Gängigste Methode: Die In-Vitro-Fertilisation
Die in Österreich gängigste Variante der künstlichen Befruchtung ist die In-Vitro-Fertilisation: wörtlich übersetzt die "Befruchtung im Glas". Dabei werden - etwa zehn bis 14 Tage nach einer hormonellen Vorbehandlungsphase - der Frau Eizellen entnommen und in einem Reagenzglas mit den speziell aufbereiteten Spermien des Mannes vereinigt.

Nach der erfolgreichen Befruchtung werden nach einigen Tagen in der Regel zwei bis drei befruchtete Eizellen über einen flexiblen Schlauch in die Gebärmutterhöhle gespritzt. Die Erfolgsrate ist von mehreren Faktoren abhängig wie z.B. dem Alter der Frau und liegt weltweit bei ca. 25 Prozent pro Transfer.
Die Intracytoplasmatische Spermien-Injektion (ICSI)
Sollte die Spermienqualität des Mannes schlecht und das Mindestmaß an funktionsfähigen Spermien unterschritten sein, kann die ICSI, eine erfolgversprechende Therapieoption darstellen.

Der einzige Unterschied zur In-Vitro-Fertilisation liegt darin, dass ein einzelnes Spermium unter dem Mikroskop direkt in die Eizelle injiziert wird.
Streitpunkt Klonversuche
Aufsehenerregende Meldungen über Klonversuche menschlicher Embryonen des umstrittenen italienischen Mediziners Antinori gehören mittlerweile fast zum Alltag und lassen die Emotionen höher schlagen.
->   Mehr dazu in science.ORF.at
"Leider gibt es immer wieder Personen, die durch Klonversuche an menschlichen Embryonen in die Schlagzeilen kommen und somit berühmt werden. Ich bin der Ansicht, dass wir Reproduktionsmediziner die Finger davon lassen sollten", meint dazu Fischl.
Noch zu wenig wissenschaftlich erwiesen
Nach derzeitigem Wissensstand handle es sich dabei um reine Versuchsserien ohne Kontrolle darüber, ob es überhaupt funktioniert und welche Schäden entstehen können. Solange das so sei, könne man es nur ablehnen.

Grundsätzlich davor verschließen möchte sich der Mediziner jedoch nicht. "Sollte jedoch jemals der Zeitpunkt gekommen sein, dass dadurch gesunde Embryonen und Babys entstehen - belegt durch große wissenschaftliche Studien - dann wird man sich als Wissenschaftler nicht davor verschließen können. Derzeit sind wir jedoch noch weit weg davon."
Leihmutterschaft: Noch viele Fragen ungeklärt
In manchen Ländern wie z.B. den USA erlaubt, in Österreich verboten, ist die Möglichkeit der Leihmutterschaft. Und daran soll sich laut Fischl vorerst auch nichts ändern.

"In den USA etwa laufen Prozesse, wo geklärt werden soll, was mit einem kranken, bzw. behinderten Kind, das durch eine Leihmutter ausgetragen wurde, nach der Geburt geschehen soll, denn keine der beiden Mütter will es", schildert der Mediziner.

"Dabei vertritt die Leihmutter den Standpunkt, dass sie das Kind ja nur auf Wunsch ausgetragen hat. Die andere Frau hält dem entgegen, dass sie aber ein gesundes Kind 'bestellt und bezahlt' hat."

Martina Weigl und Christoph Leprich, Ö1-Radiodoktor
Mehr zum Thema "Reproduktionsmedizin" können Sie in der Sendung "Der Radiodoktor" am Montag, 1. Juli 2002 um 14.05 Uhr in Ö1 erfahren.
->   Ö1
->   Europäische Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie
->   Studie über Eltern-Kind-Beziehung
 
 
 
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01.01.2010