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Präimplantationsdiagnostik statt Fehlgeburten  
  Über die so genannte Präimplantationsdiagnostik - kurz PID - wird derzeit in Österreich heiß debattiert: Bei der Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie (ESHRE) in Wien diskutieren Experten über das Für und Wider der umstrittenen Methode - und berichten in diesem Zusammenhang auch über neue Erkenntnisse der medizinischen Forschung. So wurde am Montag eine Studie vorgestellt, der zufolge Frauen, die aus ungeklärter Ursache wiederholte Fehlgeburten erleiden, durch eine PID geholfen werden könnte.  
Die spanische Medizinerin Carmen Rubio, Koordinatorin des Präimplantationsdiagnostik-Programms am Instituto Valenciano de Infertilidad in Valencia, präsentierte bei der Jahrestagung eine entsprechende Studie. Präimplantationsdiagnostik ist allerdings in einigen Ländern - darunter Österreich und Deutschland - verboten.
Anomalien beim Embryo als Ursache für Fehlgeburten
Die Untersuchungen der Wissenschaftlerin ergaben, dass Chromosomenanomalien (Aneuploidien) der Embryonen einen wesentlichen Grund für ungeklärte wiederholte Fehlgeburten und Implantationsversagen darstellen.
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Präimplantationsdiagnostik
Präimplantationsdiagnostik (PID) bedeutet, dass nach einer im Reagenzglas erfolgten Befruchtung (in vitro) ein Test auf mögliche genetische Schädigungen des Embryos durchgeführt wird. Ist der Embryo gesund, wird er in die mütterliche Gebärmutter verpflanzt, ist er geschädigt, lässt man ihn absterben.

In Österreich ist das - je nach Auslegung des restriktiven Fortpflanzungsmedizin-Gesetzes aus dem Jahr 1992 - verboten oder nicht explizit angesprochen. In anderen Staaten wird die PID bereits ziemlich breit angewendet.
->   Österreichisches Fortpflanzungsmedizingesetz
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Normale Schwangerschaftsraten statt PID
Gemeinsam mit Kollegen erzielte die Medizinerin normale Schwangerschaftsraten und ein reduziertes Fehlgeburtsrisiko bei Frauen mit diesen Erscheinungen, indem sie die Embryonen während der IVF auf Chromosomenanomalien untersuchte und nur gesunde Embryonen in die Gebärmutter der Frauen übertrug.
30 Prozent mehr Chromosomenanomalien
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass der Anteil an Embryonen mit Chromosomenanomalien in einer Gruppe von Probandinnen mit wiederholten Aborten und Implantationsfehlern um etwa 30 Prozent über jenem der Kontrollgruppe lag.

"Diese Unterschiede waren insbesondere bei Frauen über 37 Jahren bemerkenswert. Bei diesen war die Wahrscheinlichkeit einer Anomalie doppelt so hoch wie bei jüngeren Frauen", erklärte dazu Carmen Rubio.
Natürliche Selektionsprozesse
Der Hintergrund: Beim Entstehen jeder Schwangerschaft auf natürlichem Weg laufen ganz ähnliche Selektionsprozesse ab, die ausschließen, dass sich befruchtete Eizellen mit Chromosomen-Schäden (Trisomien/z.B. Down Syndrom, Schäden an X- und Y-Chromosom etc.) einnisten bzw. weiter entwickeln.

Das wird in den meisten Fällen von der Frau gar nicht bemerkt. Gerade bei infertilen Paaren aber ist die Rate solcher Schäden hoch, wie verschiedene Experten auf dem Kongress erklärten.
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60 Prozent abnorme Embryonen bei Frauen über 37
"Laut unseren Untersuchungen haben Frauen unter 36 Jahren bei einer IVF eine Rate von abnormen Embryonen von 33 Prozent, im Alter über 37 Jahren jedoch eine Rate von 60 Prozent. Von 86 Paaren waren immerhin bei 22 Prozent der IVF-Embryonen alle geschädigt", so der spanische Experte A. Pellicer am Sonntag.
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Suche nach Chromosomen-Schäden
Wie Rubio berichtet, werden aus dem Embryo im Sechs- oder Acht-Zell-Stadium eine oder zwei Zellen gewonnen. Laut wissenschaftlichen Untersuchungen schädige dies den restlichen Embryo nicht.

"Dann untersuchen wir an den gewonnenen Zellen die Chromosomen 13, 16, 18, 21, 22 sowie das X bzw. das Y-Chromosom. Schäden an diesen Chromosomen verursachen am häufigsten einen spontanen Abortus", so die Medizinerin.
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Erbkrankheiten und Missbildungen
Eine andere mögliche Anwendung der Präimplantationsdiagnostik: Paare, die begründete Angst haben, dass sie Kinder mit schweren Erbkrankheiten oder Missbildungen - vor allem, wenn sie in der Familie bereits aufgetreten sind - haben könnten.

Sie könnten eine IVF mit einer entsprechenden vorhergehenden Diagnostik durchführen lassen und so das Risiko ausschließen. "Kranke" befruchtete Eizellen würden nicht implantiert werden. Auch laut österreichischen IVF-Experten wäre das viel schonender als eine spätere Diagnose im Mutterleib.
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Kritiker warnen vor "Menschen nach Maß"
Die PID ist allerdings etwa bei Behindertenverbänden sehr umstritten. Kritiker lehnen die Methode als "Selektion von Leben" ab und warnen vor einer Zukunft, in der mittels PID auch nach genetischen Dispositionen gesucht wird, um den "Menschen nach Maß" zu züchten.

Es geht nicht um die "Selektion" bestimmter spezifischer Eigenschaften beim Embryo, halten die Befürworter dagegen, sondern um das Sicherstellen, dass Embryonen transferiert werden, die auch eine Chance zum Anwachsen und zur Entwicklung zu einem Kind haben.
Allgemeine Freigabe oder strengere Regelung?
Generell mehren sich die Stimmen, welche auch in Österreich eine Freigabe der Präimplantationsdiagnostik fordern. Um aber die richtige bzw. korrekte Anwendung sicherzustellen, plädiert beispielsweise der Genetiker Markus Hengstschläger für eine PID-Regelung, bei der die Einzelgenemigung durch eine Komission erfolgen sollte.
->   Markus Hengstschläger: Geregelte Präimplantationsdiagnostik auch in Österreich?
->   European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE)
Weitere Artikel zum Kongress in science.ORF.at:
->   Hoden-Regeneration per Spermien-Stammzellen
->   Möglichkeiten und Grenzen der Reproduktionsmedizin
Mehr zum Thema Präimplantationsdiagnostik in science.ORF.at:
->   "Designer-Babys": Wer soll über Leben entscheiden?
->   Ulrich Körtner: Präimplantationsdiagnostik - Hilfe für Betroffene oder neue Eugenik?
 
 
 
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01.01.2010