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Umweltöstrogene beeinflussen Spermien  
  Forscher konnten erstmals nachweisen, dass Östrogene aus der Umwelt ebenso wie die natürlich im menschlichen Organismus vorkommenden einen wesentlichen Einfluss auf die Befruchtungsfähigkeit der Spermien haben.  
Darüber wird seit längerer Zeit diskutiert. Beim Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie (ESHRE) im Austria Center Vienna mit rund 5.000 Teilnehmern wurden dazu nun neue Daten vorgestellt.
Stärker als bei natürlichen Östrogenen
Die britische Expertin Lynn Fraser berichtete, dass Umweltöstrogene wesentlich stärkere Auswirkungen auf die Funktionstüchtigkeit einer Samenzelle haben als natürliche Östrogene.

Obwohl solche Substanzen normalerweise 1.000 Mal weniger biologisch potent sind als die natürlichen, können sie im männlichen Samen 100 Mal stärker wirken. Daraus lässt sich schließen, dass ihre Wirkungsweise anders ist als jene des natürlich vorkommenden Östrogens.
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Östrogen im Körper und der Umwelt
Unter dem Sammelbegriff Östrogene werden die weiblichen Sexualhormone Östradiol, Östron und Östriol zusammengefasst. Östrogene kommen nicht nur natürlich im Körper des Menschen vor, so genannte östrogen wirksame Stoffe finden sich auch in Pflanzen und zahlreichen Industriechemikalien.

Die Hormone stehen nicht nur im Dienst der Fortpflanzung, vielmehr üben sie allerlei vorteilhafte "Nebenwirkungen" aus, so etwa auf das Herz-Kreislauf-System, auf den Stoffwechsel der Knochen und auch auf das Gehirn: Dort tragen Östrogene als Neurohormone und Schutzfaktoren auf vielfältige Weise zur Funktion und Erhaltung von Nervenzellen bei.
->   Mehr Informationen zu Östrogenen
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Untersuchungen im Tierversuch
Fraser, die den Lehrstuhl für reproduktive Biologie am Kings College in London innehat, untersuchte, wie drei Umweltöstrogene und ein natürliches Östrogen das letzte Entwicklungsstadium der Spermien beeinflussten, wenn diese die Fähigkeit erlangen, ein Ei zu befruchten.

Dieses Stadium wird Kapazitation genannt. Die Medizinerin und ihr Team untersuchten die Auswirkungen der Hormone an Mäusespermien im Reagenzglas.
Östrogene in Soja, Hopfen und Farben ...
Die Umweltöstrogene waren Genistein (G), das in Soja und anderen Hülsenfrüchten vorkommt, 8-Prenylnaringenin (8-PN), das aus dem Hopfen stammt, und Nonylphenol (NP), das in Industrieprodukten wie synthetischen Reinigungsmitteln, Farben, Unkraut- und Insektenvertilgungsmitteln enthalten ist.

Das natürliche Östrogen war Östradiol 17 (E2), das in der Vagina der Frau und im Spermaplasma des Mannes (der Flüssigkeit, die den Samen enthält) vorkommt.
Spermien rascher fruchtbar
Bei den Spermien, die die Kapazitation noch nicht abgeschlossen hatten, beschleunigten alle Östrogene die Entwicklung, so dass sie rascher fruchtbar wurden.

Die Östrogene regten die Beweglichkeit, Kapazitation und die Akrosomenreaktion (wenn die Kappe am Kopf der Samenzelle aufreißt und Enzyme freisetzt, die es der Samenzelle ermöglichen, die 'Rinde', die das Ei umgibt, zu durchdringen) der Spermien an.

Bei jenen Spermien, die bereits kapazitiert waren, zeigte das natürliche Östrogen keine signifikante Wirkung, während alle Umweltöstrogene die Akrosomenreaktion deutlich stimulierten.
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Akrosomenreaktion nur bei Kontakt mit Eizelle
Hierbei ist wichtig zu bemerken, dass erfolgreiche Spermien nur dann eine Akrosomenreaktion aufweisen, wenn sie mit einer Eizelle in Kontakt treten; wenn sie die Akrosomreaktion bereits vor diesem Kontakt durchlaufen, können sie die Eizelle nicht mehr befruchten.
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Langfristig negative Auswirkungen?
"Es mag auf den ersten Blick so scheinen, als würden Östrogene, insbesondere jene, die in der Umwelt vorkommen, die Fertilität fördern. Die Reaktionen, die wir beobachtet haben, könnten jedoch langfristig negative Auswirkungen haben", erklärte die Expertin.

Die Tatsache, dass die Östrogene nicht kapazitierte Zellen unreguliert stimulieren, könnte nach Ansicht von Fraser dazu führen, dass diese zu früh den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreichen - also noch bevor sie auf eine zu befruchtende Eizelle treffen.

Das bedeute, dass diese Wirkung in der natürlichen Reproduktion ein Problem darstellen könnte, in der IVF jedoch von Vorteil wäre. Weitere Forschungen an menschlichem Sperma müssten nun durchgeführt werden, so Fraser.
Gegenwirkungen möglich
Wie die Expertin ausführte, müsse etwa geklärt werden, "ob Verbindungen, die bekanntermaßen in der Samenflüssigkeit vorkommen, den Wirkungen der Umweltöstrogene entgegenwirken könnten".

Denn im wirklichen Leben sei es leicht möglich, dass man mehr als einer dieser Verbindungen ausgesetzt sei - "zum Beispiel als Bier trinkender, vegetarischer Maler oder Bauer", so Frasers Beispiel.

"Wir möchten wissen, ob die Reaktionen noch stärker sind, wenn wir mehr als eines dieser Umweltöstrogene verwenden. Ich habe den Verdacht, dass Kombinationen von Umweltöstrogenen selbst in sehr geringen Mengen eine deutliche Wirkung hervorrufen könnten."
->   European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE)
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01.01.2010