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Sind Tiere musikalisch?  
  Wenn Vögel trillern, Zikadenchöre erklingen oder der Wind die Gesänge der Buckelwale übers Wasser trägt, klingt das in den Ohren der meisten Menschen wie Musik. Ob Tiere tatsächlich über einen mit jenem der Menschen vergleichbaren "musikalischen Instinkt" verfügen oder ob ihre Gesänge vornehmlich der Fortpflanzung dienen - darüber scheiden sich die Geister.  
Musikinstinkt, der Menschen und Tiere eint
Eine interdisziplinäre Gruppe von Forschern, die sich zum "Biomusikprogramm" zusammengeschlossen haben, beschäftigt sich mit der biologischen Basis von Musikerzeugung und -wertschätzung. Sie stellt eine erstaunliche Behauptung auf: Gesänge von Walen, Vögeln und Gibbons sind nicht nur Musik im herkömmlichen Sinne, sondern auf einen uralten, universalen Musikinstinkt zurückzuführen, den viele Tiere mit Menschen gemeinsam haben.

"Ich glaube, das ist der Grund dafür, warum es unmöglich ist, jemandem zu erklären, was Musik so berührend macht. Aber was immer es ist, es liegt tief im Unterbewusstsein verborgen und rührt an den Wurzeln menschlicher Emotionen", erklärt der Zoologe Roger Payne, der seit Jahrzehnten die Gesänge der Buckelwale studiert.
->   Biomusik-Programm
Lied: Wiederholte, rhythmische Lautsequenz
Die Mitglieder haben es sich zur Aufgabe gemacht, "die Rolle von Musik in allen lebenden Dingen zu erkunden" und betonen, dass Menschen keineswegs das alleinige Copyright an klanglicher Brillanz zusteht. Eine Anzahl von Tieren produziert Klangabfolgen, die zu Recht den Namen Musik verdienen, zumindest, wenn man Paynes Messlatte anlegt.

"Ich verwende die Definition eines Biologen, und die ist sehr einfach: Ein Lied ist eine wiederholte, rhythmische Lautsequenz, ganz gleich, ob sie von einer Grille, einem Vogel oder einem Wal erzeugt wird", erklärt er.
Gleiche Regeln ...
Es braucht aber mehr als nur rhythmische Klänge, um tierische Musik für menschliche Ohren ansprechend zu machen: Viele Tiere bevorzugen nicht nur dieselben Rhythmen und Harmonieabfolgen wie Menschen, sie halten sich auch an dieselben Regeln wie humane Komponisten.

Die Einsiedlerdrossel verwendet die pentatonische Tonleiter, bei der eine Oktave in fünf Töne unterteilt ist - auf ihr basiert auch die traditionelle asiatische Musik.

Fuchsdrosseln hingegen verlassen sich auf die diatonische Tonleiter westlicher Musik mit ihren zwei zusätzlichen Halbtonschritten. Schwellende Crescendi und verblassende Diminuendi gehören genauso zum Vogelrepertoire wie ausgeborgte Melodien und gesungene Duette.
... andere Instrumente
Manche Tiere verwenden sogar Instrumente: Der nordaustralische Palmkakadu sucht so lange, bis er einen hohlen Stamm findet, dessen Resonanz ihm zusagt, und verwendet dann einen abgebrochenen Ast als Trommelschlegel.

Einige Spezies komponieren sogar in Sonatenform. Die Singammer schmettert eines ihrer Themen, das Äquivalent einer Sonateneröffnung, und spielt dann damit herum: Eine kleine Änderung hier, eine neue Variation dort, und so kommt die Singammer schließlich in einer Vogelversion der finalen humanen Sonatenrekapitulation auf das ursprüngliche Thema zurück.
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Buckelwale: "Unverbesserliche Komponisten"
Auch männliche Buckelwale, die während der Paarungssaison sechs Monate pro Jahr nichts anderes tun, als singend im Ozean zu kreuzen, sind in den Worten Paynes "unverbesserliche Komponisten".

In ihren oft stundenlangen Gesängen hängen sie bis zu acht verschiedene Phrasen aneinander, die jeweils aus einem klar definierten Thema und dessen Variationen bestehen. Im Verlauf der Saison experimentieren die Männchen mit einzelnen Themen. "Es scheint keine Grenzen für ihre Kreativität zu geben. Aber neues Material entsteht nur durch Änderungen an bereits vorhandenen Songs und nie durch völlige Neukreationen wie bei Menschen", beobachtete Payne.

Obwohl es eine Weile dauern kann, bis alle den momentanen "In-Song" beherrschen, singen alle Männchen in einem Ozean im Prinzip den gleichen Song.
->   Hitradio bei den Buckelwalen
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Wale singen in Dur ¿
Der Stimmapparat von Walen umspannt mindestens sieben Oktaven, aber die Tiere arbeiten sich in harmonischen Intervallen durch ihre Lieder, statt wild zwischen den Oktaven hin und her zu springen. Besser gesagt: Sie singen in Dur. Sie mixen rhythmische und melodische Elemente im etwa gleichen Verhältnis wie westliche Symphoniemusik.
... und verwenden Refrains
Am überraschendsten war für den Zoologen aber die Entdeckung, dass Buckelwale Refrains verwenden, die sich reimen. Vermutlich funktionieren sie als Erinnerungshilfen, um während langer Konzerte nicht den Faden zu verlieren.

"Es gibt all diese faszinierenden Parallelen zwischen den Liedern von Walen und Menschen, aber auch zwischen den Tonabfolgen, die unsere Gehirne und die Gehirne von Walen unterhaltsam und ansprechend finden. Deshalb glaube ich, dass Musik etwas sehr Altes und auf einen gemeinsamen Vorfahren unter den Reptilien zurückzuführen ist", erklärt Payne.
Dienen Gesänge primär der Fortpflanzung?
Der Bioakustiker Matija Gogala ist von den Gemeinsamkeiten nicht überrascht, warnt allerdings davor, ihnen allzu viel Bedeutung beizumessen. "Wir besitzen alle ähnliche Nervensysteme und leben in derselben Umwelt mit verschiedenen Geräuschen, Klängen mit Resonanzen und Obertönen und anderen Eigenschaften der täglichen Schalllandschaft", gibt der slowenische Wissenschaftler zu bedenken.

"Ob Tiere tatsächlich so etwas wie musikalische Kreativität besitzen, ist fraglich. Ihre Gesangsmuster haben primär eine biologische Funktion und dienen meistens der Fortpflanzung", resümiert Gogala.
Genetischer Code für Musikalität?
Warum soll das nicht auch beim Menschen der Fall sein? Bereits Charles Darwin dachte daran, dass Musik unseren Vorfahren dabei geholfen haben könnte, Sexualpartner zu finden.

In seinem Buch "The Descent of Man" vermutete er, dass Menschen der Frühzeit genauso wie Vögel, "Anstrengungen unternommen haben, um sich gegenseitig mit Musiknoten und Rhythmen zu beeindrucken".

Gina Kirchweger, Universum-Magazin
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Mehr zu den Tieren mit musikalischem Instinkt lesen Sie in der aktuellen Juli/August Ausgabe des Universum-Magazins.
->   Universum Magazin
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01.01.2010