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Bioethik-Handbuch: Reflexion über die Gentechnik  
  Die Hoffnungen auf medizinische Errungenschaften durch Gentechnik sind immens. Ein neues Handbuch zur Bioethik zeigt Risiken und Möglichkeiten auf und regt an zur ethischen Reflexion über umstrittene Themen.  
Schlagzeilen wie "Erste Gentherapie gegen Alzheimer" geben den auf der Gentechnik gründenden Hoffnungen regelmäßig neue Nahrung. Schnell ist der Gedanke bei der Hand "wer heilt, hat Recht".
Eine Technik und ihre Folgen

Problematisch ist, dass erste Versuchsreihen häufig voreilig als Therapie dargestellt werden. So kann ein bloßes Heilungsversprechen zur Rechtfertigung einer Technik dienen, deren Folgen nicht mehr gründlich genug geprüft werden.

Dietmar Mieth zeigt solche und andere Missstände in seinem neuen Handbuch zur "Ethik im Zeitalter der Biotechnik" auf. Der Obertitel des Buches "Was wollen wir können?" weist darauf hin, dass ethische Reflexion nicht erst dann einsetzen sollte, wenn über konkretes Können entschieden werden muss.

"Für mich ist die Frage der ethischen Bewertung eine Frage der rechtzeitigen Prioritätensetzung: Wie können wir erreichen, dass die Frage, was soll man überhaupt können? vor die Frage gestellt wird, darf man alles, was man kann? Denn was man weiß, das kann man, und was man kann, das macht man", schreibt der Autor.
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Ethik im Zeitalter der Biotechnik
Dietmar Mieth: "Was wollen wir können? Ethik im Zeitalter der Biotechnik." Herder Verlag, Freiburg, 532 Seiten, rund Euro 35, ISBN 3-451-27559-7

In Wien sprach der Sozialethiker im vergangenen Oktober auf dem Ö1-Symposion "Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?" zum Thema Präimplantationsdiagnostik.
->   science.ORF.at: Debatte um Präimplantationsdiagnostik
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Abwägen von Argumenten
Genau hier will der Wissenschaftsethiker Mieth seinen Beitrag leisten. Dazu skizziert er die aktuellen Forschungsfelder der Gentechnik von der Medizin bis zur Landwirtschaft.

Zur Genomanalyse und Stammzellenforschung, zur "grünen" Biotechnologie und zu Tierversuche werden jeweils die ethischen Fragen gestellt und Argumente abgewogen.
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Beispiel künstliche Befruchtung
Der Deutsche Ärztetag hat 1985 beschlossen, dass die Zeugung im Reagenzglas eine "Behandlungsmethode für Sterilität" sei. Wie sind dann aber Paaren zu behandeln, die auf natürlichem Weg Kinder bekommen könnten, aber - mehr oder weniger berechtigte - Angst vor Erbkrankheiten haben? Sollen sie sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden, damit das Embryo noch vor der Einpflanzung in den Mutterleib untersucht werden kann? Dürfen Embryos auch gezeugt werden, um an ihnen medizinische Techniken zu entwickeln, die möglicherweise einmal Krankheiten heilen könnten?
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Nicht nur für Gleichgesinnte
Mieth ist katholischer Moraltheologe, aber er schreibt nicht nur für Gleichgesinnte. Zur Frage nach dem moralischen Status von Embryonen referiert er in sachlichem Ton auch Positionen, die er ablehnt, beispielsweise die des australischen Ethikers Peter Singer.

Dieser vertritt die Ansicht, dass ein menschliches Wesen erst dann Anspruch auf Leben hat, wenn es ein rationales und selbstbewusstes Wesen ist.
Zwischen Vereinnahmung und Abstraktion
Wissenschaftsethiker haben es nicht leicht: Sie geraten entweder unter Verdacht, sich vor den Karren ethisch bedenklicher Forschungsvorhaben spannen zu lassen. Oder sie kommen aus der Philosophie oder Theologie und bleiben viel zu abstrakt.

Mieth hat sich dennoch eine bedeutende Position an der Schnittstelle zwischen Ethik und Biotechnik erarbeitet. Er hat das Zentrum "Ethik in den Wissenschaften" an der Universität Tübingen aufgebaut und sitzt in zahlreichen deutschen und europäischen Beratergremien.
Argumentationslinien
Das über 500 Seiten starke Buch öffnet die Augen für eine Fülle von ethischen Fragen. Es gibt keine schlichten Antworten, aber es zeigt Argumentationslinien auf.

Hilfreich sind auch die tabellarischen Übersichten über Regelungen zur Embryonenforschung in den europäischen Nachbarstaaten.

Auf Grund des umständlichen Sprachstils eignet sich das Buch allerdings eher als Nachschlagewerk denn als Einführung in die Problematik.

(Ulrike Koltermann, dpa)
->   Universität Tübingen: Zentrum "Ethik in den Wissenschaften"
 
 
 
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01.01.2010