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Studien: Neuer Wirkstoff gegen Aids  
  Auf der Welt-Aidskonferenz haben zwei Pharmafirmen den Wirkstoff einer völlig neuen Klasse von Aids-Medikamenten vorgestellt. Die Substanz soll bereits das Eindringen der Viren in die Immunzellen verhindern.  
Entsprechende Ergebnisse fortgeschrittener gemeinsamer Studien mit der "T20" genannten Substanz präsentierten die Firmen Roche (Basel/Schweiz) und Trimeris (Durham/US-Staat North Carolina) am Montag auf der 14. Welt- Aidskonferenz.
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Welt-Aids-Konferenz in Barcelona
Vom 7. bis 12. Juli 2002 nehmen mehr als 15.000 Wissenschaftler, Ärzte, Aidskranke und Politiker an der 14. Welt-Aids-Konferenz in Barcelona teil. Zentrales Thema wird der Zugang zu den wirksamen antiretroviralen Kombinationstherapien sein.
->   Welt-Aids-Konferenz 2002
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Fusions-Hemmer als neue Wirkstoff-Klasse
Weltweit arbeiten viele Firmen und Institute an diesen so genannten Fusions-Hemmern und damit an der vierten großen Klasse von Wirkstoffen gegen Aids.

Solche Moleküle sollen verhindern, dass die tödlichen Viren mit den Immunzellen des Menschen verschmelzen - und damit zugleich auch die Zerstörung der Zelle verunmöglichen.
Keine Heilung, aber Verzögerung
"T20" gilt in diesem Zusammenhang als das am weitesten entwickelte Molekül. Die bisher am Markt vertretenen drei Klassen von Aidsmedikamenten behindern die Vermehrung der Viren erst, nachdem sie bereits in die Immunzellen gelangt sind.

Auch der neue Wirkstoff kann Aids voraussichtlich nicht heilen, den Ausbruch und das Voranschreiten der Krankheit aber weiter verzögern.
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Fusions-Inhibitoren halten Viren "außen vor"
Um sich zu vermehren, muss das Aidsvirus in eine besondere Klasse von Immunzellen gelangen, die so genannten T4-Helferzellen. Diese steuern maßgeblich die Antwort des Körpers auf eingedrungene Krankheitserreger und sind für den Menschen damit lebenswichtig. Die Helferzellen werden vom Aids-Virus und zerstört.

Die neue Klasse von Medikamenten verhindert bereits das Eindringen der Viren in die T4-Helferzellen, indem es ein dafür wichtiges Molekül auf der Außenseite der Zellen blockiert. An seiner Außenseite trägt das Aidsvirus ein Molekül (gp120), zu dem es auf der Zelle ein genau passendes Gegenstück gibt (cd4). Die Folge: Viren und Zelle haften über die "Brücke" aus gp120 und cd4 aneinander wie die beiden Hälften eines Druckknopfes.

Einmal so angelagert ändert gp120 geringfügig seine Form und dockt an ein zweites Molekül (zu 90 Prozent ist es ccr5) auf der Oberfläche der Immunzelle an. Daraufhin wird der Weg für ein weiteres Viren-Protein frei (gp41). Dieses stößt wie eine Harpune durch die Membran der menschlichen Zelle und führt so zur Fusion zwischen Virus und Zelle.

Genau an dieser Stelle kommt "T20" zum Zuge. Es blockiert das Viren-Protein gp41. Computeranimationen von Molekularbiologen zeigen, dass Zelle und Virus daraufhin einander nicht mehr nahe genug kommen. Die Verschmelzung bleibt daher vielfach aus, das Virus "ist außen vor".
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Studien zur medizinischen Wirksamkeit
Trimeris und Roche stellten erstmals Ergebnisse zweier Studien vor, die Auskunft über die medizinische Wirksamkeit von "T20" zeigen sollten (Phase III-Studie).

Eines der Ergebnisse: Bei der Einnahme von "T20" verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Viren im Blut der Aids-Patienten nach drei Monaten nicht mehr nachweisen lassen.
Mehr Immunzellen, gute Verträglichkeit
Außerdem habe sich gezeigt, dass die Zahl der Immunzellen im Blut deutlich erhöhe, erklärten die beteiligten Forscher. Das Mittel sei zudem gut verträglich. Weil es nicht in die Körperzellen gelange, seien die Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten gering.

Die Mediziner hatten für ihre Untersuchungen rund 1.000 Patienten in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste erhielt den Angaben zufolge lediglich herkömmliche Aidsmedikamente, die zweite zusätzlich "T20".
Zulassung im nächsten Jahr?
Angaben zu den Kosten einer möglichen Therapie machten die Unternehmen auf Nachfrage nicht. Mit einer Zulassung des Präparates in den USA und Europa rechnen die Wissenschaftler zu Beginn des nächsten Jahres - "Wenn alles gut geht".

"T20" ist ein künstliches Protein - bestehend aus 36 chemischen Bausteinen (Aminosäuren), dass sich die Patienten morgens und abends unter die Haut injizieren müssen - wie eine Insulinspritze.
Experte: Resistenzentwicklung möglich
Ob die Aidsviren - wie bei anderen Medikamenten zu beobachten - auch gegen "T20" resistent werden können, müsse die weitere Auswertung der Daten zeigen, erklärten die Firmen.

Nach Ansicht von Osamah Hamouda, Epidemiologe am Robert Koch-Institut in Berlin, muss aber "prinzipiell" mit dieser Möglichkeit gerechnet werden.
Keine günstigen Präparate für Dritte Welt
Die beiden Firmen planen nach eigenen Angaben nicht, das Präparat günstig in den Ländern der Dritten Welt anzubieten, wo rund 95 Prozent aller HIV-Infizierten leben. Sie haben aber bereits eine Fabrik errichtet, um "T20" in großem Maßstab herzustellen.
->   UNAIDS: Joint United Nations Programme on HIV/AIDS
Mehr zur Aids-Konferenz und der aktuellen Situation in science.ORF.at:
->   Aids: Nur ein Impfstoff könnte Epidemie stoppen
->   UNO: Immer mehr, immer jüngere HIV-Neuinfizierte
 
 
 
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01.01.2010