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Wie virtuell kann Politik sein?  
  Wenn Politiker Modernität ausstrahlen wollen, führen sie gerne Worte wie "E-Government" und "Cyberdemocracy" im Munde. Doch wie sieht die Rolle des Internets im politischen Prozess tatsächlich aus? Im Rahmen einer Seminararbeit haben die Publizistikstudentinnen Katrin Burgstaller und Dunja Gutschelhofer nach Antworten gesucht und den virtuellen Parteitag der schleswig-holsteinischen Grünen unter die Lupe genommen. "science.ORF.at" bringt dazu eine Rezension aus dem Uni-Portal "mnemopol".  
Die Grenzen virtueller Politik
rezensiert von Thomas Müller, "mnemopol"

Wie so oft wollten auch hier die Grünen eine Vorreiterrolle spielen: Am Parteitag der Grünen Schleswig-Holsteins im März 2002 sollten alle teilnehmen können. Kurzerhand wurde der Parteitag komplett ins Internet verlegt. Die Idee war nicht neu, schon im Jahr 2000 hatten die baden-württembergische CDU und die dortigen Grünen ähnliches versucht, aber den Nicht-Delegierten war damals nur eine passive Rolle zugekommen.

Anders nun in Schleswig-Holstein: Außer den Delegierten der Partei war auch die Internetgemeinde eingeladen mitzudiskutieren, Anträge einzubringen und darüber abzustimmen, allerdings mit einer Einschränkung: Nur die 102 Delegierten und 38 Ersatzdelegierten konnten bei Abstimmungen gültige Beschlüsse fassen.
Eher symbolischer Teilnahme-Charakter
Die Stimmen der übrigen TeilnehmerInnen hatten eher symbolischen Charakter. So konnten die Delegierten zumindest sehen, wie nahe sie am Willen der Basis waren. Für den Parteitag wurde eine eigene Website mit Diskussionsforen und Abstimmungstools eingerichtet, bei der sich die TeilnehmerInnen registrieren mussten, um mitmachen zu können.
Durchblick unlimited?
Erklärtes Ziel war es, mehr Transparenz in die politische Arbeit zu bringen, und die Bevölkerung über die Parteigrenzen hinweg einzubinden. Knapp über 600 Personen waren beim Virtuellen Parteitag registriert, 242 davon waren nicht Parteimitglieder.

Dass auch "echte" Parteitage zum Teil ein öffentliches Ereignis sind, und nach amerikanischem Vorbild auch zur Repräsentation nach außen dienen, ist mittlerweile Usus, aber hier war auch ein Blick ins Detail jenseits der Medienshow möglich. Evident ist auch, dass die Delegierten hinter den Kulissen per E-mail oder Telefon kommunizierten, und für Außenstehende nach wie vor nicht alle Vorgänge sichtbar waren.
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Dokumentation nicht mehr online
Interessant ist auch das Detail, dass diese Parteitagsseite nach nur beinahe drei Monaten nicht mehr online ist, und die Diskussionsbeiträge daher nicht mehr recherchierbar sind. Auf Nachfrage erklären die Autorinnen dies mit dem Konkurs der Betreiberfirma, warum jedoch stellen die Grünen die Daten dann nicht auf ihrem eigenen Server ins Netz?
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Und? Wie war¿s? - Positive Reaktionen
Um Antworten auf die Frage "Wie war's?" zu bekommen, schickten die Autorinnen Fragebögen an die Delegierten. Die Resonanz (45 ausgefüllte Fragebögen) war überwiegend positiv, und die Delegierten konnten sich durchaus vorstellen, dass das Internet das Potential habe, politikferne Menschen für politisches Engagement zu begeistern, insbesondere die Jugend.

Positiv wurde auch die Möglichkeit für Impulse von Außen gesehen, die ein "offener" Parteitag bietet. Dass diese Aussagen zum Teil auch "sozial erwünscht" sind (Stichwort Parteilinie) ist natürlich möglich. Aber angesichts von Politikverdrossenheit und Desinteresse, werden Öffnungsprozesse als Gegenmittel mittelfristig nötig sein, ob sie nun gewollt werden oder nicht.
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Virtuelle ersetzen "echte" Parteitage nicht
Dass "echte" Parteitage nicht durch virtuelle ersetzt werden können, war für fast alle Delegierten klar. Der persönlichen Kontakt, das informelle Gespräch in der Kaffeepause, die direkte Debatte und die typische Atmosphäre gehören für sie weiterhin zur politischen Arbeit.
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Cyber-Politik für alle?
Sind diese virtuellen Parteitage nun Vorboten einer neuen politischen Kultur? Wird es bald möglich sein sich direkt in ein virtuelles Parlament einklinken zu können, und genauso mit zu diskutieren wie ein Abgeordneter? Die Vorstellung scheint genauso radikal wie undurchführbar, das Chaos wäre perfekt.

Das Konzept der Interaktion hat dort ihre Grenzen, wo die Zahl der Akteure unüberschaubar wird. Nicht umsonst klagten die Delegierten in Schleswig-Holstein über die unübersichtliche Antragsflut, und das schon bei 600 mehr oder weniger aktiven TeilnehmerInnen.
Kein virtueller Parteitag in Österreich
Wie die Autorinnen kritisch bemerken, ist derzeit ein Großteil der Bevölkerung technisch von der Online-Politik ausgeschlossen, aber auch bei Änderung dieser Tatsache wäre Skepsis angebracht. Die Erfahrung hat gezeigt, dass auch das Lesen der vielen Diskussionsbeiträge im Internet Zeit und Interesse erfordert. Dass diese nur bei einer Minderheit vorhanden sind, wird sich wohl auch in Zukunft nicht wesentlich ändern.

Die österreichischen Grünen zumindest zeigten sich den Autorinnen gegenüber enttäuscht von der geringen Beteiligung am deutschen Parteitag und werden keinen virtuellen Parteitag abhalten.
->   Nachzulesen auf mnemopol
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Über die Autorinnen
Katrin Burgstaller (Jg. 1979) studiert seit 1999 Publizistik und eine Fächerkombination aus Soziologie und Gender Studies in Wien. Sie war Mitorganisation des Filmefestivals "unboundet - filmfestival für interkulturelle Verständigung und Toleranz in Europa", und ist derzeit zuständig für die administrativen Agenden sowie für die Pressearbeit eines Jugendvereins für Alpinsport und Umweltschutz.

Dunja Gutschelhofer (Jg. 1980) studiert Publizistik und Kommunikationswissenschaft, Soziologie und Pädagogik an der Universität Wien.
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->   Weitere Beiträge in science.ORF.at über das Uni-Portal "mnemopol.net"
->   Mehr über "mnemopol"
 
 
 
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01.01.2010