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Kinderlähmungs-Erreger künstlich erzeugt  
  US-Forscher haben erstmals den Erreger der Kinderlähmung künstlich hergestellt. Dazu verwendeten sie Genbausteine (DNA), die sie per Versand bestellten, und den genetischen Bauplan der Viren aus einer öffentlichen Datenbank. Das Erbgut der Polioviren ist schon seit längerem entschlüsselt. Bei vielen Forschern löst diese Nachricht neue Bedenken in Bezug auf den so genannten Bioterrorismus aus.  
Obwohl ihre Polioviren ganz ohne die Hilfe lebender Mikroorganismen im Labor entstanden seien, ließen sie sich kaum unterscheiden von der natürlichen Variante, berichten die Genetiker einer Online-Publikation des US-Fachjournals "Science".
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"Chemical Synthesis of Poliovirus cDNA"
Der Artikel "Chemical Synthesis of Poliovirus cDNA: Generation of Infectious Virus in the Absence of Natural Template" wurde online am 12. Juli 2002 publiziert und wird in einer der kommenden Print-Ausgaben des Fachmagazins erscheinen.
->   Der Originalartikel (kostenpflichtig)
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Im Tierversuch tödlich
Die Forscher hatten das künstlich geschaffene Genmaterial der Viren in einen Zellextrakt gespritzt. Daraufhin bildeten sich darin Virenproteine und infektiöse Viren. In Tierversuchen seien diese künstlichen Viren für Mäuse tödlich gewesen.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf hatte die Kinderlähmung erst im Juni in Europa für besiegt erklärt. Das stimme nun nicht mehr, kommentierte der Virologe Vincent Racaniello von der Columbia Universität in New York.
Experte: Virus wird nie mehr verschwinden
"Das Poliovirus wird nie mehr verschwinden", sagte er "Science". Ob auch andere größere und kompliziertere Erreger wie das Pockenvirus im Labor künstlich produziert werden können, bleibt allerdings umstritten.
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Poliomyelitis/ Kinderlähmung
Poliomyelitis, kurz Polio genannt, ist hoch ansteckend. Die Übertragung erfolgt über Tröpfchen- oder Schmierinfektion. Die Viren gelangen über den Mund in den Körper und dringen später in das Nervensystem ein. Sie können innerhalb von Stunden vollständige Lähmungen auslösen. Die Anfangssymptome sind Fieber, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Erbrechen sowie ein steifes Genick und Gliederschmerzen. Nach Angaben der WHO führt eine von 200 Infektionen zur Lähmung, zumeist in den Beinen. Von den gelähmten Patienten stirbt fast jeder zehnte an Störungen der Atemmuskulatur.

Vor Einführung des ersten Impfstoffes - entwickelt von dem US-Bakteriologen Jonas Edward Salk - erkrankten in Europa nach Schätzung des Kinderhilfswerkes UNICEF jährlich rund 30 000 Kinder an Polio. In Deutschland wurden nach Auskunft des Robert Koch-Instituts beispielsweise 1938 noch knapp 5.400 neue Fälle registriert. Seit 1988 die erste weltumspannende Anti-Polio-Initiative startete, sank die Zahl der Infizierten um ganze 99 Prozent.
->   Robert Koch Institut: Steckbrief Polio
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Sorge um Bioterrorismus
Dennoch stimmt der Versuch von Jeronimo Cello, Aniko Paul und Eckard Wimmer von der Staatlichen Universität New Yorks (SUNY) in Stony Brook etliche Wissenschaftler sehr nachdenklich.

"Es ist schon ernüchternd zu sehen, dass Laboranten ein Virus aus dem Nichts schaffen können", kommentiert der Direktor für virale Krankheiten bei den Gesundheitsforschungsinstituten (CDC) in Atlanta, James LeDuc in "Science".
Auch Pockenerreger in öffentlicher Datenbank
Die Nachricht stelle weltweite Konzepte zur Austilgung tödlicher Viren und damit verknüpfte Zeitpläne für den Impfstopp in Frage, warnte auch der Pocken-Spezialist Peter Jahrling vom U.S. Army Medical Research Institute in Fort Detrick (US-Staat Maryland).

Auch für den Pocken-Erreger, der als "Waffe" einer Bioterrorismus-Attacke am meisten gefürchtet wird, gebe es den Bauplan in öffentlichen Datenbanken.
->   Robert Koch Institut: Informationen zum Thema Bioterrorismus
Synthetisierung prinzipiell möglich
Allerdings ist das Pockenvirus mit 185.000 Basenpaaren - im Vergleich zu den 7741 Basenpaaren des Poliovirus - laut LeDuc weitaus schwerer herzustellen.

"Doch prinzipiell, ja, lassen sich auch Pocken sythetisieren", bestätigt der Virologe Vadim Agol von der Russischen Akademie der Medizin in Moskau in einem Begleitartikel in "Science".
Bisher keine Auflagen für Veröffentlichung
Trotz dieses möglichen Szenarios gibt es, so heißt es darin weiter, bisher keine Auflagen oder Einschränkungen für Forscher, neu entdeckte Gensequenzen im Internet vorzustellen.

Das internationale Gemeinschaftsunternehmen, das Human Genome Project (HGP), stellt beispielsweise den genetischen Bauplan des Menschen kostenlos in öffentlichen Datenbanken zur Verfügung.
->   Mehr zum Thema Polio in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010