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Gentransfer erzeugt Killerbakterien  
  Ungefährliche Bakterien können zu tödlichen Krankheitserregern mutieren, wenn sie spezifische Gene aufnehmen. Wie solche genetischen Veränderungen zustande kommen, war bis dato nur unzureichend erforscht. Ein amerikanisches Forscherteam konnte nun nachweisen, dass Bakterienviren Gene von einem Bakterienstamm zum nächsten transportieren. Dadurch treiben sie die Bakterienevolution voran - und leisten damit einen indirekten Beitrag zur Entstehung neuer, hochinfektiöser Krankheiten.  
Wie Wissenschaftler des amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) herausfanden, entscheiden weniger als zehn Prozent der Gene von speziellen Mikroben, so genannten Streptokokken, ob diese für den Menschen ungefährlich oder gar tödlich sind.

Ein Großteil dieser Gene wurde von Bakterienviren eingeschleppt, die in ihrem Fortpflanzungszyklus auch genetisches Material ihrer Wirte vervielfältigen.
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"Group A Streptococcus: phage-encoded toxins"
Die Studie "Genome sequence of a serotype M3 strain of group A Streptococcus: phage-encoded toxins, the high-virulence phenotype, and clone emergence" von S.B. Beres und Mitarbeitern erscheint demnächst als Online-Vorabpublikation auf der Website der Wissenschaftszeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS).
->   PNAS
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Entdeckung der Bakterien-Parasiten
Bereits im Jahr 1917 entdeckte der kanadische Bakteriologe Felix Hubert d'Herelle, dass sich in infizierten Bakterienkulturen spontan Löcher, so genannte Plaques, bilden. Auslöser dieser Plaques sind Bakterienviren, die korrekt als "Bakteriophagen" bezeichnet werden und sich auf Kosten ihrer Wirte fortpflanzen.

Vermutlich gibt es für alle Bakterienarten solche virusartigen Parasiten. Heute weiß man, dass etwa 95 Prozent aller Phagen aus einem charakteristischen Kopf- und Schwanzteil bestehen. Letzterer dient zur Anheftung an die Bakterienmembran. Ist diese erfolgt, so injiziert der Phage sein Erbgut in die Wirtszelle und "missbraucht" den genetischen Syntheseapparat des Bakteriums für seine eigene Vermehrung.

Bei bestimmten Fortpflanzungszyklen kann es passieren, dass der Phage auch Bakterien-Gene vermehrt und in das Genom seines nächsten Wirtes integriert.
Genomforschung im Anwendungsstadium
Die Rolle dieses Phänomens bei der Entstehung neuer Infektionskrankheiten wurde nun von James Musser, Stephen Beres und deren Mitarbeitern genauer unter die - molekulargenetische - Lupe genommen.

James Musser, der Leiter des Human Bacterial Pathogenesis Laboratory des NIAID in Hamilton, kommentiert die Stoßrichtung der Studie folgendermaßen:

"Wir versuchen nun, von der technischen Phase der Genom-Forschung in die Anwendungsphase zu treten. Aufgrund des Wissens über Gensequenzen möchten wir neue Wege der Infektionsbehandlung entwickeln und genauer verstehen, wie neue virulente Bakterienstämme entstehen."
Gefährliche Krankheiten
Als Untersuchungsobjekt wählten die amerikanischen Forscher so genannte Gruppe A Streptokokken (GAS), die für eine Reihe von gefährlichen Krankheiten verantwortlich sind. So zum Beispiel Wundinfektionen, Scharlach, rheumatisches Fieber und das "streptococcal toxic shock syndrome" (STSS).
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Streptokokken
Streptokokken sind nach der Gattung "Streptococcus" benannt und stellen eine Gruppe gram-positiver, aerober (d.h. Sauerstoff verwendender) Bakterien dar, die in Ketten oder Paaren auftreten. Die Art Streptococcus agalactiae kann z.B. bei Säuglingen zu Meningitis mit hoher Letalität führen.

Die Spezies Streptococcus pneumoniae (auch Pneumococcus genannt) zeigt eine starke Kapselbildung, die für deren Virulenzeigenschaften wichtig ist. Als Arzneimittel zur Behandlung von Streptokokken-Infektionen werden Penicillin und Erythromycin eingesetzt.
->   Mehr zur Pathogenität von Streptokokken
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Gen-Analyse: Zehn Prozent entscheiden über Gefährlichkeit
In ihrer Publikation in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" berichten Stephen Beres und James Musser von der Untersuchung eines so genannten M3 GAS-Stammes, der von einem Patienten isoliert wurde, der an einem toxischen Schock-Sydrom litt.

Die genetische Analyse ergab, dass der M3-Stamm mehr als 1,9 Millionen Basenpaare enthält, von denen etwa 1,7 Millionen auch in ungefährlichen GAS-Bakterien zu finden sind. Das heißt, dass maximal zehn Prozent des Erbgutes für die spezifischen infektiösen Eigenschaften des M3-Stammes verantwortlich sind.
Gene als blinde Passagiere
Als die Forscher die Randbereiche der spezifischen Gensequenzen untersuchten, machten sie eine interessante Entdeckung. Sie fanden einige genetische Marker, die darauf hinweisen, dass Bakteriophagen eine Reihe neuer M3-Gene importiert hatten.

"Wir fanden heraus, dass bakterielle Viren entscheidende neue Toxin-Gene eingeschleust und damit neue, hochvirulente Bakterienstämme produziert haben", so James Musser.
Tödlicher Import
Unter den spezifischen Genen identifizierten die Forscher einige Sequenzen, die für bakterielle Toxine und Enzyme codieren. Diese sind, so die Interpretation der Wissenschaftler, für die hohe infektiöse Natur der M3 GAS-Bakterien verantwortlich. Erstaunlicherweise fanden sie auch ein Enzym, das in ähnlicher Form ebenfalls in potenten Schlangengiften vorkommt.
Neue Ziele der Krankheitsbekämpfung
Diese Moleküle stellen die Zielbereiche für neue Medikamente und Impfungen dar. Die Forschungen öffneten überdies die Tür zu einem Fachgebiet, das James Musser als ein "vernachlässigtes Areal der Wissenschaften" bezeichnet:

"Man erforscht Bakteriophagen schon seit vielen Jahren. Aber bis jetzt wurden sie noch nicht eingehend im Zusammenhang mit infektiösen Krankheiten untersucht. Wir konnten nun zeigen, dass sie eine entscheidende Rolle bei der bakteriellen Evolution spielen. Aber es gibt noch vieles, was wir über sie herausfinden müssen", resümiert der Leiter der Forschungsgruppe.
->   NIAID
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01.01.2010