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Zweifel an Gutenberg  
  Amerikanische Forscher zweifeln daran, dass Gutenberg im 15. Jahrhundert den Druck mit beweglichen Lettern aus stabilen Metallformen entwickelt hat.  
Die Geschichte neu schreiben?
Anhand einer computergestützten Analyse der Gutenbergschen Druckerzeugnisse äußerten der Physiker Blaise Aguera y Arcas und der Bibliothekar Paul Needham in New York die Vermutung, dass seine über 500 Jahre alten Schriften nicht, wie bisher angenommen, mit beweglicher, wiederverwendbarer Typographie gedruckt wurden, sondern mit einem viel kruderen Verfahren, das mit dem heutigen Buchdruck kaum noch verwandt ist.

Der klassische Bleisatz mit Setzkasten und Kupfermatrizen wurde nach den Erkenntnissen der Princeton-Forscher in Europa erst 20 Jahre nach Erscheinen der Gutenberg-Bibel entwickelt, wahrscheinlich von heute unbekannten Handwerkern, die Gutenbergs Technik weiterentwickelten. Die ganze Geschichte der Druckerkunst müsse nun umgeschrieben werden, wie es in einem Artikel der "New York Times" heißt.
->   New York Times
Bisher galt als einwandfrei erwiesen, dass das revolutionäre Buchdruckverfahren, d.h. die Zerlegung eines Textes in seine Einzelelemente, die als seitenverkehrte Lettern in beliebiger Anzahl in Blei gegossen und dann wieder zu Wörtern, Zeilen und Seiten zusammengefügt die Druckvorlage bilden, von Gutenberg allein entwickelt wurde. Oder, wie es ein Gutenberg-Forscher auf den Punkt bringt: "Ohne Gutenberg keine Reformation, keine Schulpflicht, keine Goethe-Ausgaben, keine Aufklärung, kein Quelle-Katalog und keine Zeitungen."
->   Johannes Gutenberg
Die Gutenberg Bibel
 


Die um 1455 erschienene Gutenberg-Bibel gilt als erstes massenproduziertes Buch. Die Amerikaner Needham und Aguera y Arcas meinen nun, den Schlüssel gefunden zu haben, warum die Erstauflage des Weltbestsellers mit nur 180 Exemplaren so niedrig ausgefallen ist. Der Vergleich identischer Textseiten in verschiedenen Bibeln ergab, dass die einzelnen Buchstaben so unterschiedlich sind, dass sie nicht von derselben Druckvorlage stammen können.
->   Gutenberg-Bibel
Auf Sand gesetzt
Gutenberg verwendete zur Herstellung der Druckplatten vermutlich Sandformen, eine seinerzeit übliche Technik zur Herstellung von Metallrahmen, Kruzifixen und anderer christlicher Memorabilia. Dabei wird die gewünschte Form in sehr feinem Sand gestaltet und dann mit Blei ausgegossen.

Der Nachteil dieses Verfahrens ist, dass bei jedem Guss die Form verloren geht. Gutenberg musste die lateinischen Bibeltexte also immer wieder neu in den Sand malen - was die Abweichungen erklärt - anstatt, wie später beim Bleisatz üblich, die abgenutzten Druckbuchstaben durch neue Typen aus der gleichen Form zu ersetzen.
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Geniestreich oder Joint Venture?
Die Enthüllungen von Needham und Aguera y Arcas stoßen Gutenberg allerdings nicht völlig vom Sockel. Sie beleuchten vielmehr, dass die Erfindung des modernen Buchdrucks, wie wohl die meisten großen Entdeckungen, in Wirklichkeit ein internationales Joint Venture war, auch wenn unsere auf Daten und Köpfe fixierte westliche Geschichtsschreibung auf exklusive Zuordnungen beharrt.

Im Falle der Buchdruckkunst haben westliche Historikern lange übersehen, dass die Chinesen, die immerhin die Erfinder des Papiers waren, auch schon seit Jahrtausenden Texte mit Holz- und Steindruckplatten massenproduzierten. Bereits im 11. Jahrhundert setzen sie bewegliche Typographie aus Tonformen ein. Die Koreaner wiederum arbeiteten wahrscheinlich schon 30 Jahre vor Erscheinen des ersten Gutenberg-Buchs mit wiederverwendbaren metallenen Druckbuchstaben.
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Gutenberg-Gesellschaft bleibt gelassen
Die Gutenberg-Gesellschaft wartet zunächst die wissenschaftliche Präsentation der Forschungsergebnisse ab. Stephan Füssel, Professor am Institut für Buchwissenschaft der Mainzer Universität, weist darauf hin, dass die entscheidende wissenschaftliche Publikation der Ergebnisse von Needham und Aguera y Arcas noch aussteht.

Vehement widerspricht Füssel der Theorie, "dass erst nach 1470 das Metallgussverfahren eingesetzt wurde, da wir bereits aus dem Jahr 1468 den Abdruck einer Type bei dem Kölner Drucker Conrad Winter nachweisen können."
->   Die Gutenberg Gesellschaft
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New York Times übertreibt
Füssel, Professor für Buchwissenschaften, kommentiert die Thesen der amerikanischen Forscher allgemein skeptisch. "Sicherlich falsch ist die überzeugende Schlussfolgerung der New York Times, dass damit Gutenberg vom Sockel gestoßen werden müsste.

Wir schreiben Gutenberg eine Fülle von Entwicklungen zu, unter anderem die Blei-, Zinn- und Antimon-Legierung, die Drucktinte, den Druckerballen, vor allen Dingen die Druckpresse und das Grundkonzept der Einzelbuchstaben-Verwendung, daneben auch die Entwicklung eines Gussverfahrens, über dessen Details wir nun möglicherweise besser informiert werden." Allgemeinwissen der Forschung sei schließlich, dass Gutenberg jeweils "auf bestehende technische Verfahren aufbaute, zum Beispiel auf die Weiterentwicklung der Spindelpresse zur Druckerpresse."
->   Institut für Buchwissenschaften in Mainz
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01.01.2010