News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Ein Jahr nach dem Lipobay-Skandal - "Nichts geändert"?  
  Die Meldung schreckte vor einem Jahr nicht nur Verbraucher und Patienten auf, sondern trat auch eine Debatte um die Arzneimittelsicherheit los: Am 8. August 2001 nahm der Pharmakonzern Bayer AG den Cholesterin-Senker Lipobay vom Markt. Zuvor war bekannt geworden, dass das Mittel in Verbindung mit einem anderen Medikament gefährliche Nebenwirkungen auslösen kann. Weltweit wurden über hundert Todesfälle mit Lipobay in Verbindung gebracht. Der Aufruhr war groß.  
Doch nach Ansicht von Pharma-Kritikern und Verbraucherschützern ist die Arzneimittelzulassung seither keineswegs sicherer geworden. Auch juristisch ist der Skandal längst nicht ausgestanden: Wegen des Skandals sind weltweit rund 2000 Klagen gegen Bayer eingereicht worden, die meisten davon in den USA. Dies berichtet die Presseagentur AFP.
"Medikamente nach wie vor zu schnell zugelassen"
"Nach wie vor werden Medikamente zu schnell und ohne ausreichende Sicherheitsprüfung zugelassen", kritisiert der Pharmakologe Peter Schönhöfer, Mitherausgeber des kritischen "arznei-telegramms".

Statt Arzneien ausreichend klinisch zu testen, würden Zulassungen im Interesse der Industrie beschleunigt und Risiken auf dem Rücken der Patienten abgeladen. Nach Angaben von Thomas Isenberg vom deutschen Verbraucherzentrale Bundesverband droht auf EU-Ebene gar eine weitere Liberalisierung der Zulassungspraxis.

Es würden Entwürfe diskutiert, wonach die Zulassung für Medikamente nicht mehr wie bisher üblich alle fünf Jahre erneuert werden müsse. "Der Lipobay-Skandal ist schon wieder in Vergessenheit geraten", kritisiert Isenberg.
...
Risikosubstanzen Statine
Unmittelbar nach dem Skandal hatten Experten die so genannten Statine unter die Lupe genommen. Der Wirkstoff Cerivastatin war dafür verantwortlich, dass Lipobay in Kombination mit dem Cholesterin-Senker Gemfibrozil zur Auflösung des Muskelgewebes führen kann.

Auch in Deutschland werden mit der Einnahme von Lipobay mehrere Todesfälle in Verbindung gebracht. Nach dem Rückzug von Lipobay sind noch fünf Statine auf dem Markt. Bei ihnen seien jedoch keine vergleichbaren Risiken festgestellt worden, sagt Jürgen Beckmann vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Bei der Zulassung werde aber heute "sehr viel mehr" auf mögliche relevante Wechselwirkungen zwischen Arzneien geachtet.
...
"Industriefreundliches System"
Beckmann ist allerdings "skeptisch", ob die Zulassung von Arzneimitteln als Konsequenz aus dem Lipobay-Skandal generell sicherer geworden ist. Vielmehr gebe es vor allem auf EU-Ebene "knallharte Fristen" etwa für Stellungnahmen von Experten.

"Das ist ein außerordentlich industriefreundliches System", räumt Beckmann ein. Die ursprünglichen Vorwürfe, Bayer habe die zuständigen Behörden zu spät über mögliche Risiken durch Lipobay informiert, nahm das Bundesinstitut inzwischen zurück.
Staatsanwaltschaft ermittelt
Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt aber nach wie vor gegen Verantwortliche des Konzerns wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz.

Auch in anderen Ländern wurden juristische Schritte eingeleitet. Im Januar brachte der Münchner Anwalt Michael Witti in den USA eine Sammelklage deutscher Opfer gegen den Bayer-Konzern auf den Weg.
Erster Lipobay-Prozess im Oktober
Angesichts drohender jahrelanger juristischer Auseinandersetzungen zeigt Bayer-Chef Werner Wenning Verhandlungsbereitschaft. Zwar habe Bayer "auf der Basis des jeweiligen Erkenntnisstandes richtig gehandelt". Deshalb sehe er keinen Grund, "warum wir uns generell auf einen Vergleich einlassen sollten".

In Einzelfällen zeigte sich Wenning aber dazu bereit. Der erste Lipobay-Prozess soll nach Informationen der "Wirtschaftswoche" im Oktober im US-Bundesstaat Texas beginnen.

Der Pharmasparte von Bayer hatte der Verkaufsstopp von Lipobay in Anbetracht der ohnehin schwierigen Konjunkturlage empfindliche Umsatzverluste beschert. Auch in den ersten sechs Monaten dieses Jahres drückte der Ausfall des umsatzstarken Medikaments die Gewinne.
Folgen weitere Skandale?
Trotz dieser dramatischen Auswirkungen für das Unternehmen ist Schönhöfer überzeugt, dass Lipobay nicht der letzte Medikamenten-Skandal gewesen ist: "Wir werden wieder so einen Fall kriegen."
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Zu den Artikeln
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010