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"Young Science": Flussbarsche - "Piranhas" unserer Seen?  
  Die Piranhas sind für ihre gesteigerte Fresslust und Gefährlichkeit bekannt. Bei genauerer Betrachtung der in unseren Seen lebenden Fische stößt man auf eine Gruppe, die es in Bezug auf Appetit und Gefräßigkeit leicht mit den südamerikanischen Verwandten aufnehmen kann, aber für den Menschen völlig ungefährlich ist. Junge Flussbarsche besitzen während ihrer ersten Lebensmonate ein hohes Fresspotenzial. Gerhard Tischler vom Institut für Limnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erforscht im Rahmen eines DOC-Stipendiums der ÖAW das Fressverhalten dieser Fische und berichtet in seinem Beitrag in der science.ORF.at-Reihe "Young Science" über erste Ergebnisse.  
"Fressen um zu Überleben"
Von Gerhard Tischler, ÖAW

Aufgrund ihrer hohen massenspezifischen Stoffwechselraten müssen die Jungbarsche (9-40 mm Totallänge) während eines 24-Stunden Tages fast ständig Nahrung aufnehmen.

Leidtragende dieses unbändigen Hungers sind vor allem planktische Kleinkrebse (Zooplankton) wie Rädertiere (Rotatoria), Hüpferlinge (Copepoda) und insbesondere Wasserflöhe (Cladoceren), zu denen die Gattungen Daphnia und Bosmina gehören.
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Flussbarsche und ihre "Familie"
Die Ordnung der Barschartigen Fische (Perciformes) gilt als höchstentwickelte Gruppe unter den Fischen und wird in ca. 150 Familien unterteilt, von denen fast alle im Meer leben. Eine Ausnahmen ist die Familie der "Echten Barsche" (Percidae) zu denen der Flussbarsch zählt. Dieser ist ein unspezialisierter und anpassungsfähiger Fisch, der in fast ganz Europa, sowohl in fließenden als auch in stehenden Gewässern, vorkommt.
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Bild: Kosmos, Die Süsswasserfische Europas

Flussbarsch (Perca Fluviatilis)
Neue Methoden und Ansätze
Im Rahmen einer Dissertation am Institut für Limnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gelang es nun, den Fraßdruck einer ganzen Jungfischpopulation in einem österreichischen See (Wallersee, Salzburg) zu bestimmen.

Durch die Entwicklung einer innovativen Quantifizierungsstrategie, basierend auf einer Kombination von Schub- und Ringwadenfängen, konnte die Dichte der Jungbarschpopulation im Freiwasser eines Sees über den gesamten Sommer genau aufgezeichnet werden.

Zur Abschätzung der Fressrate der Barsche wurden einerseits Muster der mittleren Nahrungsmenge über 24 Stunden im See zu mehreren Untersuchungsterminen bestimmt und andererseits die Art und Dauer der Nahrungsverarbeitung untersucht.
Neues Modell für die Futteraufnahme
Für letzteres wurde wiederum ein innovativer Ansatz gewählt, indem anstatt der bisher verwendeten Darmentleerungsmodelle ein Darmpassagemodell unter konstanter Futteraufnahme entwickelt wurde.

Aus der Kombination der Fressrate eines Jungbarsches und der gesamten Anzahl aller Jungbarsche im Wallersee konnte somit auf das Fresspotential einer gesamten Kohorte geschlossen werden.
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Forschungen am Institut für Limnologie (ÖAW)
Die Wissenschaftler der Fischökologiegruppe am Institut für Limnologie beschäftigen sich unter anderem mit Räuber-Beute Beziehungen, Fressverhalten und Populationsdynamiken der Fische in österreichischen Seen.
->   Institut für Limnologie
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Fressrate bis zu 30 Prozent
Die Untersuchung zeigte, dass ein Jungbarsch in der Lage ist, innerhalb von 24 Stunden bis zu 30 Prozent seines Körpergewichtes an Nahrung aufzunehmen. Hochrechnungen ergaben damit eine Nahrungsmenge von ca. 5,8 Tonnen Zooplankton täglich für die gesamte Jungbarschpopulation.
"Top-down" und "bottom-up"
Trotz dieser unglaublich hohen Menge an Kleinkrebsen, die an einem Tag gefressen werden (ca.zehn Mrd. Krebse), sind die Jungfische nicht alleine in der Lage, die Zahl des tierischen Planktons auf jenes niedrige Niveau zu bringen, das jeden Sommer beobachtet wird.

Die Untersuchung zeigte, dass die Kleinkrebse ihrerseits eine sehr starken Fraßdruck auf die darunter liegende trophische Ebene, das pflanzliche Plankton (einzellige Algen, Phytoplankton), ausüben. Durch die starke Reduktion der Algen steuern diese ihrerseits indirekt das Wachstum und die Fortpflanzung der Krebse ("bottom-up" Effekt).

Die Kombination aus der Überweidung der eigenen Nahrungsressource und dem starkem Fraßdruck durch die räuberischen Barsche ("top-down" Effekt) führt schließlich zum Zusammenbruch der Zooplanktonpopulation.
Selbstschutz der Natur
Damit jedoch nicht alle Kleinkrebsarten mit einem Schlag völlig aus dem See verschwinden, hat die Natur Sicherheitsmaßnahmen eingerichtet. Aufgrund der unterschiedlichen Größe der Krebse werden diese von den Jungbarschen im Laufe des Sommers unterschiedlich stark bevorzugt.

Dadurch tritt eine saisonale Sukzession der Nahrungswahl auf, wobei die Fische mit zunehmender Körperlänge immer größere Beutetiere wählen.

Zu Beginn ihrer Entwicklung sind sie in der Lage, nur die kleinwüchsigen Rädertiere und Hüpferlinge, vor allem deren Jugendformen, zu fressen. Erst mit fortschreitendem Wachstum gelingt es ihnen, ihren unbändigen Hunger mit den größeren Wasserflöhen (Daphnia, Bosmina) zu stillen.
Auswirkungen auf den See
Diese "Top-Down"-Effekte der Jungbarsche und die daraus resultierenden Strukturveränderungen in der Zooplanktonzönose in heimischen Seen wirken sich wiederum indirekt auf die Algengemeinschaft aus.

Schließlich sind Veränderungen in der Sichttiefe, den Lichtverhältnissen, sowie in den thermischen Verhältnissen und dem Sauerstoffgehalt in Seen zu beobachten.
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"Young Science"
Gerhard Tischler arbeitet seit Oktober 1999 am Institut für Limnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an der Doktorarbeit mit dem Thema: "Fraßdruck von Barschbrut auf das Zooplankton eines mesotrophen Sees (Wallersee, Salzburg)". Finanziert wird die Arbeit im Rahmen eines DOC-Stipendiums der ÖAW.
Kurzbiographie: Geboren 1970 in Grieskirchen (Oberösterreich); 1991-1993 Anstellung als kaufmännischer Angestellter; 1993-1994 Studienaufenthalt am Quincy College (Boston)/USA; 1994-1999 Studium der Biologie (Zoologie, Wahlfach Ökologie) an der Paris-Lodron-Universität Salzburg.

Institut für Limnologie der ÖAW
Mondseestrasse 9, A-5310-Mondsee
Tel.: 0043-6232-3125-20
Fax: 0043-6232-3578
e-mail: Gerhard.Tischler@oeaw.ac.at
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Weitere Beiträge in der science.ORF.at-Serie "Young Science":
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->   Materie und Antimaterie, Teil 2
->   Zellulärer Transportmechanismus
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->   "Young Science" auf der Homepage der ÖAW
 
 
 
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01.01.2010