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Forum Alpbach: Naturgefahren in den Alpen  
  Für den Innsbrucker Geografen und Naturgefahrenerforscher Johann Stötter sind Lawinen, Muren oder Hochwässer zunächst nichts anderes als natürliche Ereignisse ohne tiefergehende Bedeutung.  
Erst wenn der Mensch dazukommt, wenn er oder seine Güter bedroht und vernichtet werden, wird aus solchen Ereignissen eine Katastrophe, so Stötter am Sonntag beim derzeit stattfindenden Forum Alpbach.
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Risiko von Naturraum und von Kulturraum bestimmt
Das Risiko von Naturgefahren beziffert laut Stötter die Größe und Wahrscheinlichkeit eines Schadens abhängig von zwei Faktoren:
1. von Naturraum-Gegebenheiten (die Wassermenge bei Hochwasser, die Steilheit eines Lawinengeländes, etc.)
2. von Kulturraum-Gegebenheiten (welche Bauten, welche Objekte können betroffen sein, etc.)
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Von Eigenverantwortung zur Verantwortung des Staates
Stötter unterscheidet im Umgang mit Naturkatastrophen drei Entwicklungsphasen: Bis ins 19. Jahrhundert seien Naturgefahren direkt wahrgenommen worden - sie wurden als gottgewollt erlebt, es oblag jedem Einzelnen wie er mit der Gefahr umging und als Gegenmaßnahmen gab es nur Erdulden, Ausweichen oder in ganz begrenztem Schutzmaßnahmen.

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Naturgefahren zwar weiterhin direkt und als gottgewollt erlebt. Es trat aber erstmals Staatliche Vorsorge (z.B. Wildbach-, Lawinenverbauung) neben Eigenverantwortung, so Stötter, und technische Maßnahmen gingen über den reinen Objektschutz hinaus.

Seither werden Naturgefahren zunehmend indirekt erlebt, die Gefahr wird nicht hingenommen sondern negativ bewertet, dem Staat wird in weiten Bereichen die Verantwortung (etwa für die Beseitigung der Folgen) zugeordnet und großtechnische und planerische Maßnahmen sollen die Gefahren von vornherein verringern.
Nicht alle Naturgefahren nehmen zu
Langjährige Beobachtungen zeigen, dass Ausmaß und Folgen von Lawinen, Steinschlag oder Bergsturz etwa gleich bleiben. Die Wirkungen von Hochwasser, Muren und Hangrutschungen dagegen sind größer geworden und werden weiterhin größer, sagt Stötter.

Schuld daran seien Veränderungen im Natur- und im Kulturraum. Allerdings sind die Veränderungen im Kulturraum wesentlich tiefgreifender, meint Stötter: Immer mehr immer wertvollere Objekte werden immer weiter in Gefahrenzonen hineingebracht.

Gleichzeitig gebe es abnehmende Akzeptanz von Gefahrenereignissen, weniger Geld für Vorsorge in den öffentlichen Budgets und beschränkten Lebensraum, der die Menschen förmlich in die Gefahrenzonen "drängt".
Gefahrenmanagement muss umfassend sein
Oberstes Ziel muss die dauerhafte Sicherung des alpinen Lebensraumes sein, sagt Stötter. Und zwar in jeder Hinsicht, also als Siedlungsraum ebenso wie als Wirtschafts-, Freizeit- oder Verkehrsraum.

Dazu brauche es einen ganzheitlichen Ansatz von Naturgefahrenmanagement, das nicht nur die Natur- und Ingenieurwissenschaften umfasse, sondern auch die Sozial- und die Wirtschaftswissenschaften.
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Erstes Zentrum für Naturgefahrenmanagement in Innsbruck
In Innsbruck entsteht im Herbst das erste Zentrum für Naturgefahrenmanagement, in dem Wirtschaft, Wissenschaft und öffentliche Institutionen sich gemeinsam mit Naturgefahren auseinandersetzen sollen.
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Absoluter Schutz ist nicht möglich
Es bleibt immer ein Restrisiko, der Begriff Sicherheit täusche im Hinblick auf Naturgefahren etwas unmögliches vor, sagt Stötter. Die Menschen müßten daher wieder lernen, dieses Restrisiko zu akzeptieren.

Für nicht richtig hält Stötter auch die Tendenz, die Verantwortung für die Schadensbehebung dem Staat anzulasten. Als Alternative nennt Stötter das Schweizer Modell, wo jeder Immobilienbesitzer verpflichtet ist, entsprechende Versicherungen abzuschließen, die im Schadensfall solidarisch allen Betroffenen helfen.

Franz Simbürger, Ö1-Wissenschaft
->   Europäisches Forum Alpbach 2002
->   Weitere Artikel zum Forum Alpbach in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010