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Kann die Wahrnehmung von "Rasse" verschwinden?  
  Das Konzept von "Rasse" gilt heute als ein soziales Konstrukt, das in Forschungsbereichen wie etwa der Genetik weitgehend ohne Folgen bleibt. Würde also der Rassenbegriff bzw. die Wahrnehmung von unterschiedlichen "Rassen" verschwinden - und damit auch die negativen Folgen, wenn man aufhört, dieses Thema zu diskutieren und ebenso die Sammlung von diesbezüglichen Daten unterlässt? In den USA wird diese These von einer wachsenden Zahl von Menschen vertreten, Kritiker jedoch warnen vor den möglichen Folgen einer solchen Politik.  
Einige Wissenschaftler glauben, dass alleine die Existenz eines Konzeptes von "Rasse" den Effekt hat, soziale Aufspaltungen zu begünstigen. In den USA hat dies nun dazu geführt, dass eine wachsende Zahl von Menschen das Einstellen von Datensammlungen zu diesem Thema fordert.
Mit Blick auf die Humanbiologie
Tatsächlich zeigt ein Blick auf den Bereich der Humanbiologie und Anthropologie - unterstützt etwa durch Ergebnisse des Human Genome Project, dass der Begriff der menschlichen "Rasse" kaum mit den Resultaten dieser Forschungsfelder zur Deckung gebracht werden kann.
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"Rassen" in den Biowissenschaften
Der Begriff der "Rasse" ist eine - an sich wertfreie - systematische Kategorie, die versucht, Individuen einer Art nach Verwandtschaftskriterien zu klassifizieren. Allerdings konnte der (veraltete) morphologische Rassenbegriff des Menschen kaum durch genetische Befunde bestätigt werden. Vielmehr konnte gezeigt werden, dass die genetischen Unterschiede innerhalb von "Rassen" oft größer waren, als zwischen denselben.

Daher entspricht der an der äußerlichen Gestalt orientierte Rassenbegriff nicht mehr den strengen Kriterien wissenschaftlicher Systematik. Im Bereich der Anthropologie verwendet man zudem aufgrund der historisch bedingten, negativen Konnotationen des Rassenbegriffs die Ausdrücke "Subspezies", "Ethnie" etc.
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Zum Sinn und Zweck der Datensammlung
Gegen die zunehmende Zahl von Befürwortern dieser Praxis wendet sich nun allerdings die American Sociological Association (ASA), deren Mitglieder kürzlich zu ihrer jährlichen Konferenz in Chicago zusammentrafen.

Die ASA hat ein offizielles 15-seitiges Statement herausgegeben, in dem sie zur Thematik Stellung nimmt - und sich selbst die Frage stellt, warum man weiter Daten zu verschiedenen Ethnien sammeln solle, wenn dies den Resultaten biologischer Forschung widerspreche.
"Rasse" als soziales Konstrukt
Die Antwort der ASA: Das soziale und wirtschaftliche Leben der Menschen sei in wesentlichen Aspekten um "Rasse" als soziales Konstrukt organisiert (Dabei beziehen sich die Forscher vor allem auf die Situation der USA).

Dieses Konstrukt diene etwa als Auswahlmechanismus für Freundschaft und Partnerschaft, sei Basis für die Verteilung sozialer Privilegien sowie ein Grund für die Organisation sozialer Bewegungen für oder gegen den gegenwärtigen Stand der Dinge.
Analyse von "Wie" und "Warum"
Für die Soziologie stellt dies ein weites Forschungsfeld dar: Die Wissenschaftler untersuchen all jene Aspekte und versuchen unter anderem zu erklären, wie und warum soziale Definitionen von "Rasse" fortbestehen bzw. sich ändern.
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Rassismus: Keine Frage der Wahrnehmung
Ein Beispiel für die wissenschaftliche Argumentation gegen das Konzept von "Rasse" ist eine vergangenen Dezember in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlichte Studie: Demnach führt die Wahrnehmung von Menschen als zu einer bestimmten "Rasse" gehörig zwar oft zu rassistischen Stereotypen - diese Wahrnehmung jedoch ist weder aus Sicht der Psychologie noch der Evolution "notwendig".

"Rasse" sei vielmehr nur eines von vielen Merkmalen, um Menschen zu unterscheiden. Denn Menschen, die ihre Mitmenschen nach ihrer Hautfarbe kategorisieren, nehmen diese unter geänderten sozialen Bedingungen innerhalb kürzester Zeit nach anderen Kriterien wahr. Rassismus sei deshalb kein unvermeidliches, in den Gehirnen verankertes Phänomen.
->   Mehr dazu in science.ORF.at
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Beispiele Frankreich und Brasilien
Das ASA-Statement stellt den Nutzen einer solchen Aktion in Frage: Soziologische Studien haben demnach gezeigt, dass diese Praxis den Gebrauch des Rassen-Konzepts im täglichen Leben - sowohl informell durch Individuen als auch formell innerhalb von Institutionen - nicht beseitigt.

Als Beispiel nennt die Stellungnahme zum einen Frankreich: Hier würden diesbezügliche Informationen kaum offiziell gesammelt, dennoch gebe es nach wie vor Hinweise auf systematische Diskriminierung.

Ähnliches sehen die US-Soziologen in Brasilien bestätigt: Dort habe die Militärjunta in der Volkszählung von 1970 die Sammlung von Daten bezüglich der "Rassen" untersagt - als Folge sei zwar weniger über das Thema diskutiert worden, Ungleichheiten zwischen den "Rassen" hätten sich allerdings kaum reduziert.
ASA: Negation ändert nichts an Konsequenzen
Das Resümee der ASA ist denn auch eindeutig. Die Weigerung, das Faktum der "rassischen Klassifikation, Gefühle und Handlungen" anzuerkennen sowie diese zu "messen", lösche deren Konsequenzen nicht aus.

Zudem würde dadurch der Zugang zu wissenschaftlich fundierten Strategien gegen soziale Ungleichheiten aufgrund von "Rasse" verhindert, so die Soziologenvereinigung

Im besten Falle, so die ASA weiter, erreiche man damit ein Bewahren des Status quo und erzeuge ein Informationsvakuum. Ein Weiterführen der Forschungen aber liege im Interesse sowohl der Wissenschaftler als auch der Öffentlichkeit.
->   American Sociological Association
Weitere Artikel zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   "Subtiler Rassismus" im US-Gesundheitssystem (26.3.2002)
->   Was ist Rassismus? (24.8.2001)
 
 
 
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01.01.2010