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Chemisches Wettrüsten zwischen Pflanze und Motte  
  Trotz ihrer Unbeweglichkeit haben Pflanzen eine Reihe von Abwehrmaßnahmen entwickelt, um gegen Krankheitserreger und Fraßfeinde vorzugehen. Neben mechanischen "Waffen" - wie etwa Dornen oder Stacheln - greifen die grünen Gewächse vor allem auf die chemische Kriegsführung zurück. Ein besonders bekanntes Beispiel ist die "Senfölbombe" der Kreuzblütler, mit der Schädlinge vergiftet werden. Deutsche Forscher konnten nun nachweisen, dass es zwischen Pflanzen und ihren Schädlingen zu einer Art Wettrüsten kommt. Die Kohlmotte entwickelte ihrerseits chemische Abwehrmaßnahmen, die die "Senfölbombe" gleichsam entschärfen.  
Bei der Kohlmotte Plutella xylostella, die weltweit große Schäden an Nutzpflanzen wie Kohl, Raps oder Senf anrichtet, haben Wissenschaftler der Abteilung Genetik und Evolution des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena jetzt ein Enzym entdeckt, mit dem diese Raupen die ausgeklügelte chemische Abwehr ihrer Wirtspflanzen umgehen.
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"Disarming the mustard oil bomb"
Die Studie "Disarming the mustard oil bomb" von Andreas Ratzka, Heiko Vogel und Mitarbeitern erschien als Online-Vorabpubliaktion der Wissenschaftszeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America" und wird in einer der folgenden Printausgaben abgedruckt.
->   Zum Abstract des Artikels
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Verteidigung ohne Fluchtmöglichkeit
Pflanzen sind einer Vielzahl von Schädlingen ausgesetzt, ihnen aber nicht wehrlos ausgeliefert. Im Gegensatz zu vielen Tieren, die vor ihren Feinden einfach davonlaufen können, benutzen Pflanzen zu ihrer Verteidigung neben mechanischen Barrieren - wie rutschigen Wachsen oder stachligen Dornen - auch abschreckende und giftige Substanzen.

Pflanzen sind geradezu Spezialisten in der chemischen Kriegsführung. Zu den besonders "schlagkräftigen" Erfindungen auf diesem Gebiet gehört das so genannte Glucosinolat-Myrosinase-System der Kreuzblütler.
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Glucosinolate und Myrosinasen
Glucosinolate, auch bekannt unter dem Namen Senföl-Glycoside, sind Pflanzenstoffe, die als solche keine giftige Wirkung auf Schädlinge haben. Insgesamt sind heute etwa 120 verschiedene Glucosinolate bekannt, die im Prinzip die gleiche chemische Grundstruktur besitzen und sich vor allem durch ihre Seitenketten unterscheiden. Myrosinasen wiederum sind pflanzliche Enzyme, die Glucosereste von Glucosinolaten abspalten können. Dabei entsteht eine Reihe toxischer Substanzen.
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Die Zündung der "Bombe"
In intaktem Pflanzengewebe werden Myrosinasen getrennt von Glucosinolaten aufbewahrt, so dass sie ihre Wirkung nicht entfalten können.

Beginnen jedoch Schädlinge an der Pflanze zu fressen, erhalten die Enzyme Zugang zu den Glucosinolaten: Glucose wird von den Glucosinolaten abgespalten, und ein instabiles Zwischenprodukt entsteht, das spontan in eine Reihe von Abbauprodukten mit giftiger Wirkung zerfällt - die "Senföl-Bombe" explodiert.
Der Schädling
 
Bild: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Larve und Motte von Plutella xylostella (Kohlmotte) auf Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand).
Wieso kann die Kohlmotte überleben?
In Laborversuchen konnte gezeigt werden, dass die Abbauprodukte der "Senföl-Bombe" für eine Vielzahl von Schädlingen giftig sind. Dies gilt auch für ein auf Kreuzblütler spezialisiertes Insekt, die Kohlmotte Plutella xylostella.

Dennoch richten die Raupen der Kohlmotte weltweit großen Schaden an wichtigen Kulturpflanzen aus der Familie der Kreuzblütler, wie Blumenkohl, Broccoli, Senf oder Raps an.

Diesen Widerspruch haben die Wissenschaftler der Abteilung Genetik und Evolution vom Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena versucht aufzulösen: Was ermöglicht es der Kohlmotte, das Verteidigungssystem der Kreuzblütler, die "Senföl-Bombe", zu umgehen und sie als ihre Wirtspflanzen zu nutzen?
Die Entschärfung der chemischen Abwehr
Den Schlüssel zur Erklärung dieser paradoxen Situation entdeckten die Wissenschaftler in der Hinterlassenschaft der Raupen, in ihrem Kot. Darin fanden sie modifizierte Glucosinolate, die eine veränderte Grundstruktur aufwiesen - die "Senföl-Bombe" war quasi entschärft worden.
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Die Entschärfung im Detail: Enzym setzt Abwehr außer Kraft
Die durch die Raupe modifizierten Glucosinolate reagierten nicht mehr mit Myrosinase, wodurch der Abwehrmechanismus der Pflanze außer Kraft gesetzt wurde.

Tatsächlich gelang es den Forschern, im Darm der Raupen ein entsprechendes Enzym, eine so genannte Glucosinolat-Sulfatase (GSS), nachzuweisen, die sehr effektiv die Sulfatgruppe von Glucosinolaten abspaltet.

Auch das dem Enzym zugrunde liegende Gen wurde identifiziert und isoliert - es ist nur in den Raupen und konkret in deren Darm aktiv. Nicht abgelesen wird das Gen im Ei, in der Puppe und im voll entwickelten Insekt.
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Gegenmittel nur in Raupen vorhanden
Diese entwicklungs- und gewebsspezifische Genaktivierung stellt sicher, dass das Gegenmittel GSS genau in dem Entwicklungsstadium und an dem Ort zur Verfügung steht, an dem es gebraucht wird: im Darm der Raupen. Denn nur die Raupen fressen an Kreuzblütlern.
Gentechnik könnte Entschärfung entschärfen
Heiko Vogel, einer der Autoren der Studie, sagt dazu: "Den Schädlingen genügt also ein einziges Enzym, um ein sehr trickreich angelegtes pflanzliches Verteidigungssystem auszuschalten.

Doch gerade deshalb bieten sich nach Ansicht von Vogel nun Möglichkeiten, den gefürchteten Kohlmotten wirklich auf den Leib zu rücken. "Gelänge es, die Bildung dieses Enzyms im Magen der Kohlmotte zu blockieren, könnte die Senföl-Bombe der Kreuzblütler doch noch wirksam werden."
->   Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
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01.01.2010