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IBM: Technologie für Holocaust-Daten geliefert?  
  Der US-Holocaust-Forscher Edwin Black wirft dem weltgrößten Computerkonzern IBM vor, den Nationalsozialisten Maschinen für die Erfassung und Auswahl ihrer Opfer geliefert zu haben.  
In seinem am Montag weltweit erscheinenden Buch "IBM und der Holocaust" beschreibt Black geschäftliche Verflechtungen der damaligen deutschen IBM-Tochter Dehomag mit dem Regime und inwieweit sie ihre Maschinen auf dessen Bedürfnisse angepasst haben könnte.

Am Freitag hatten fünf Holocaust-Opfer in den USA Klage gegen IBM mit der Begründung eingereicht, der Konzern habe den Nationalsozialisten die Technologie im Wissen ihrer Verwendung geliefert. IBM lehnte eine ausführliche Stellungnahme mit dem Hinweis ab, weder Buch noch Klageschrift lägen der Firma vor.
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Lochkartenmaschine Hollerith
Historikern ist seit Jahrzehnten bekannt, dass die Nationalsozialisten im großen Umfang eine von IBM hergestellte Lochkartenmaschine mit dem Namen Hollerith verwendeten. Die Maschinen wurden in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts von dem deutschstämmigen US-Bürger Hermann Hollerith für Volkszählungen in den USA entwickelt. Hollerith-Rechner waren bereits vor der Zeit der Nationalsozialisten weltweit verbreitet.
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Zahlen für Opfergruppen
Die Nationalsozialisten benutzten die Lochkartenmaschine in großen Umfang, um Querverweise zwischen Namen, Adressen, Stammbäumen und Bankkonten zu erstellen. Black beschreibt in seinem Buch, wie in den Vernichtungslagern auf den Lochkarten den einzelnen Opfergruppen Zahlen zugewiesen wurden: Homosexuelle erhielten zum Beispiel die Zahl Drei, Juden die Zahl Acht und Sinti und Roma die Zahl Zwölf.
Nazis bezogen Geräte von IBM-Tochter Dehomag
Die Nationalsozialisten bezogen Black zufolge ihre Geräte zur Datenerfassung fast ausschließlich von der IBM-Tochter Deutsche Hollerith Maschinen Gesellschaft (Dehomag). In den 30er Jahren sei Deutschland über die Dehomag der zweitgrößte Markt für IBM gewesen.

In seinem Streben nach weltweiter Marktführerschaft habe IBM das Verlangen der Nationalsozialisten nach immer mehr Möglichkeiten zur Erfassung und Klassifizierung ihrer Gegner und Opfer befriedigt. Black zufolge behielt IBM während der gesamten Zeit die Kontrolle über die Technologie für die Maschinen, Lochkarten und Einzelteile.
IBM weist auf das Buch hin
IBM wies in einer firmeninternen Mitteilung an die mehr als 307.000 Mitarbeiter auf die Veröffentlichung des Buchs hin. "Wir verstehen, dass das Thema an sich für viele IBMler, ihre Familien und der Welt wichtig und äußerst schmerzhaft ist," hieß es.

Eine Sprecherin von IBM verwies auf die Erklärung und sagte, falls in dem Buch neue Informationen über die Firmen-Geschichte enthalten sein sollten, werde IBM darauf reagieren.
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Die Klage gegen IBM
Die Klage gegen IBM wurde dem Opfer-Anwalt Michael Hausfeld zufolge vor einem Bundesgericht in New York eingereicht. In der Klageschrift heißt es, IBM habe die Nationalsozialisten wissentlich mit der Technologie versorgt, mit der die Insassen der Vernichtungslager katalogisiert worden seien. Damit habe die Firma die Verfolgung und das Leiden der Opfer sowie den Völkermord gefördert, sagte Hausfeld. "Ohne IBMs Unterstützung hätte (Adolf) Hitler die Juden und andere Minderheiten nicht so schnell und effektiv identifizieren und zusammenbringen, sie als Sklavenarbeiter verwenden und schließlich vernichten können", erklärte Hausfeld am Sonntag. Hausfeld gehört zu den Anwälten, die den Aufbau des deutschen Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter erstritten hatten.
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In der Klage wird IBM zudem vorgeworfen, Historikern und anderen Parteien den Zugang zu Firmenarchiven verweigert zu haben. In diesen Archiven sei die Mittäterschaft beim Holocaust dokumentiert, schreibt Black. Große Teile von Blacks Buch basieren jedoch auf Schriftstücken von IBM, die der Konzern nach eigenen Angaben Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt hat. Dies haben nur wenige US-Firmen getan, denen Verbindungen zu den Nationalsozialisten vorgeworfen werden.
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01.01.2010