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HESS sucht "blaue Blitze" aus dem Kosmos  
  Ein neues Fenster zum Weltall öffnet sich in Namibia. Vier so genannte Tscherenkow-Teleskope sollen mit bisher unerreichter Empfindlichkeit Strahlung von fernen Galaxien oder explodierten Sternen aufspüren, indem sie schwache Lichtblitze registrieren, die beim Eindringen kosmischer Gammaquanten innerhalb der Erdatmosphäre entstehen. Das erste Teleskop dieses "High Energy Stereoscopic System", kurz HESS, wird nun Anfang September eingeweiht.  
In zwei Jahren sollen alle vier Teleskope in Betrieb sein und die energiereiche Strahlung von Galaxien oder Supernova-Überresten ergründen.

An HESS beteiligen sich mehr als 70 Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich, England, Irland, Tschechien, Armenien, Namibia und Südafrika. Das Konzept für das Projekt stammt vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik.
Ein junger Zweig der Himmelsforschung
Beobachtungen im "Gammafenster" des Spektrums zählen zu den neuesten Errungenschaften der Himmelsforschung, denn das extrem energiereiche Licht wird einerseits von der Erdatmosphäre verschluckt, andererseits lässt es sich mit konventionellen Linsen oder Spiegeln nicht bündeln.

Nur spezielle Detektoren in Satelliten und Höhenforschungsraketen registrieren Gammastrahlen mit Energien bis zu einigen zehn Milliarden Elektronenvolt.

Für die Erfassung von Strahlung mit noch höheren Energien - bis zu einer Billion Elektronenvolt - aus den Herzen aktiver Galaxien oder von den Resten explodierter Sterne sind diese Instrumente allerdings ungeeignet.
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Gammateilchen in der Erdatmosphäre
Ein Gammateilchen aus dem Universum dringt zwar - zum Glück für das Leben - nicht bis zur Erdoberfläche vor; fliegt es aber innerhalb der irdischen Atmosphäre an einem Atomkern vorbei, kann es sich spontan in ein Elektron und in dessen Antiteilchen Positron verwandeln.

Auf seiner Reise durch die Luft gelangt das Paar in die Felder weiterer Atomkerne, wobei wieder ein Gammaquant entsteht, das dann erneut auf Atomkerne trifft. Auf diese Weise erzeugt ein einziges kosmisches Gammateilchen quasi im "Schneeballsystem" eine Kaskade von etwa tausend Sekundärpartikeln.
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Gammateilchen verursachen "blauen Blitz"
Gammateilchen aus dem Universum verursachen bei ihrem Eintritt und Flug durch die Erdatmosphäre Luftschauer, in deren Inneren die so genannte Tscherenkow-Strahlung entsteht:

Da sich das Teilchen schneller bewegt, als es der Lichtgeschwindigkeit in Luft entspricht, kommt es zu einem "optischen Überschallknall" - einer Stoßwelle, die für einige milliardstel Sekunden blaues Licht in Flugrichtung aussendet.
Mit bloßem Auge nicht sichtbar
Das geschieht in rund zehn Kilometer Höhe. Auf dem Boden beleuchtet ein solcher "Tscherenkow-Scheinwerfer" eine Fläche von ungefähr 250 Meter Durchmesser.

Das blaue Licht ähnelt einer Meteorspur, ist für die Beobachtung mit bloßem Auge allerdings viel zu schwach; dazu müsste die Netzhaut eine Million Mal empfindlicher sein.
Keine Bilder, sondern Aufzeichnungen von Luftschauern
Um das blaue Licht der Gammateilchen beobachten zu können benötigen die Wissenschaftler ein Tscherenkow-Teleskop. Denn im Gegensatz zu einem konventionellen Fernrohr liefert ein Tscherenkow-Teleskop keine direkten Bilder eines Himmelsobjekts, sondern zeichnet nur die Luftschauer in der Erdatmosphäre auf.

Um daraus das Abbild einer Gammaquelle zu erzeugen, kombiniert bei der HESS-Anlage ein Computer bis zu vier Aufnahmen und bestimmt die Position sowie die Energie des Luftschauers.

Ergebnis ist ein Punkt auf einer Himmelskarte. Aber erst viele auf diese Weise produzierte Punkte ergeben schließlich das Bild einer Galaxie oder eines Supernova-Überrests.
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High Energy Stereoscopic System - HESS
Jedes Teleskop besitzt einen Durchmesser von 12 Metern, wobei jeweils 380 runde Einzelspiegel eine Licht sammelnde Fläche von 108 Quadratmetern bilden. Im Brennpunkt des Teleskops sitzt eine elektronische Kamera mit 960 Fotoröhren, die in einem Rahmen von 1,4 Meter Durchmesser montiert sind. Die Kamera erlaubt Belichtungszeiten von nur einer hundertmillionstel Sekunde.

Das Akronym HESS spielt auf den österreichischen Physiker Viktor Franz Hess (1883 bis 1964) an, der in zehn Ballon-Aufstiegen zwischen 1911 und 1913 die Kosmische Strahlung entdeckte und dafür im Jahr 1936 den Nobelpreis für Physik erhielt.
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Das lange Warten auf Gammaquanten
Das Fischen nach Gammaquanten ist langwierig, weil sie in einer wesentlich niedrigeren Rate auf die Erde prasseln als zum Beispiel optische Photonen.

Daher müssen die Teleskope für mehrere Stunden auf ein und denselben Ort am Firmament gerichtet sein - mitunter betragen die Beobachtungszeiten einige tausend Stunden.

Um das schwache blaue Leuchten aufzeichnen zu können, wird HESS in mondlosen Nächten betrieben. Pro Nacht können die Astronomen bis zu einem Dutzend unterschiedlicher Objekte anvisieren.
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Gammastrahlung
Gammastrahlung ist nicht thermisch, das heißt, sie wird - anders als sichtbares Licht - nicht in heißen Himmelskörpern wie der Sonne erzeugt. Vielmehr entsteht sie unter außergewöhnlichen physikalischen Bedingungen, wie sie bei Sternexplosionen, in der Nachbarschaft von Schwarzen Löchern oder im Zentrum aktiver Milchstraßensysteme herrschen.
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Genauere Aufzeichnungen als bisher
HESS soll die Empfindlichkeit der bisher existierenden Tscherenkow-Teleskope verzehnfachen. Dabei steht die Anlage "im friedlichen Wettbewerb mit anderen ähnlichen Einrichtungen in Australien, in den USA und auf den Kanarischen Inseln", wie Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, betont.
"Effiziente internationale wissenschaftliche Arbeit"
HESS sei ein schönes Beispiel "effizienter internationaler wissenschaftlicher Arbeit". Das Konzept für das Projekt entstand im Jahr 1996 am Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik. Die internationale Kooperation wurde im Januar 1998 begründet.

Eineinhalb Jahre später stand die Farm Göllschau im Khomas-Hochland von Namibia als Standort fest. Dort begannen im August 2000 die Bauarbeiten. Im Mai 2002 war das erste der vier Teleskope fertig gestellt, das jetzt offiziell eingeweiht wurde. Die übrigen drei befinden sich derzeit noch im "Rohbau".

Projektpartner sind unter anderem die Universität Namibia in Windhuk und die Potchefstroom-Universität in Südafrika.
->   Max-Planck-Gesellschaft
->   Das HESS-Projekt
->   Max-Planck-Institut für Kernphysik
 
 
 
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01.01.2010