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ORF ON Science :  News :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit 
 
11.9.: Psychische Folgen, Lebensstiländerungen  
  In der kommenden Woche jährt sich zum ersten Mal der Anschlag auf das World Trade Center in New York. Welche psychischen oder seelischen Wunden haben die Attentate hinterlassen? Wie machen die Anschläge Menschen in Österreich betroffen? Und: Wie hat der 11. September unseren Lebensstil verändert?  
New York: Posttraumatischer Stress
Der Schock ist gewichen, Ängste, Albträume und Depressionen sind geblieben. Das gilt für die Menschen in New York: Einer Studie zufolge leiden 400.000 New Yorker unter posttraumatischem Stress: sie haben Albträume, Angstzustände, Wutausbrüche oder Magenprobleme.
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PTBS oder PTSD
Das "Posttraumatische Belastungssyndrom" wird unter dem Kürzel PTBS zusammengefasst, in Fachkreisen wird auch die Abkürzung PTSD für "Post Traumatic Stress Disorder" verwendet. 1980 wurde der Begriff in den Diagnoseschlüssel der Psychiatrie aufgenommen.
->   PTBS: Trauma mit weitreichenden Folgen
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Nervöse Grundspannung weltweit
Auch bei uns waren und sind psychische Belastungen nach den Anschlägen zu spüren. In den ersten Wochen danach sind laut heimischen Psychotherapeuten und Psychologen Patienten deshalb in die Praxen gekommen. Jetzt nicht mehr, sagt Alfred Pritz, Präsident des Weltverbandes für Psychotherapie.

Pritz spricht gegenüber dem ORF-Radio von einer nervösen Grundspannung, die sich seitdem erhöht habe. Das merke man an Äußerungen, wenn mögliche Terroranschläge Thema sind (z.B. am Wochenende in Schweden), so Pritz.
Nichts scheint mehr sicher
Die nervöse Grundspannung gehe auf das verlorene Sicherheitsgefühl zurück: Die Weltmacht USA wurde getroffen, nichts und nirgendwo scheint es mehr sicher, so der Psychotherapeut.
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Symposion: "Medien und die Macht der Kriegs- und Terror-News"
Anlässlich des ersten Jahrestags der Terroranschläge vom 11. September findet in Wien das Symposion "Medien und die Macht der Kriegs- und Terror-News" statt.
Veranstalter: Demokratiezentrum Wien, Wissenschaftsredaktion der ORF-Radios und DER STANDARD in Zusammenarbeit mit dem Verein für Geschichte und Gesellschaft im Rahmen der Initiative Dialog.Diskussion.Demokratie.
Zeit: 9. September 2002, Beginn 14.00 Uhr
Ort: RadioKulturhaus, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien
Simultanübersetzung Deutsch/Englisch
->   Mehr über das Symposion (Demokratiezentrum Wien)
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"Betroffene" in Österreich
An bestimmten Patientengruppen haben die Anschläge auch in Österreich Spuren hinterlassen oder Wunden aufgerissen. Brigitte Lueger-Schuster vom Institut für Klinische Psychologie der Universität Wien leitet die Akutbetreuung der Stadt Wien für Krisen- und Katastrophenfälle:

"Wir haben es bei jenen Patienten gemerkt, die bereits eine Traumatisierung hinter sich haben. Zum Beispiel bei jenen Menschen, die in eine politische Zwickmühle gekommen sind: Personen, die hier Asyl suchen, oder Personen, die aus dem islamischen Raum kommen und plötzlich stärker angefeindet wurden."

Flüchtlinge aus Bosnien oder aus dem Kosovo oder Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, das sind jene Menschen in Österreich, die im übertragenen Sinn schon verwundet waren, so Brigitte Lueger-Schuster.
->   Akutbetreuung Wien
Bilder als Symbole für Erlebtes
Die Bilder des Flugzeugs, das in den Turm kracht, die Bilder der in sich zusammenfallenden Gebäude oder die Bilder von Menschen mit einer grauen Staubschicht auf Gesicht und Kleidung - diese Bilder sind Symbole, meint Brigitte Lueger-Schuster:

"Man ist dann recht stark betroffen, wenn man ähnliche Erlebnisse hinter sich hat. Und alles, was verunsichert oder an die Existenz geht, ist dann so ein Bild, das wirklich wirkt. Das Fernsehen ist indirekte Realität - keine Wirklichkeit, die man spürt. Insofern haben diese Bilder nicht selbst eine Traumatisierung bewirkt, sondern das Wissen um das Gefühl, das diese Bilder vermittelt haben."

Zum Beispiel die Bilder von Feuer können bei Betroffenen oder Angehörigen von Opfern von Brandunfällen Erinnerungen wecken - auch bei uns. Man denke nur an den Zugbrand in Kaprun.
Wie geht's den Kindern?
Kinder in Österreich, meint die Psychologin Lueger-Schuster, seien durch die Bilder des Feuers oder der Trümmer nicht traumatisiert. Viele waren irritiert, haben mit den Eltern darüber gesprochen und es dann wieder vergessen.

Was für die Kinder in New York nicht gilt: Nach Angaben der New Yorker Schulbehörde braucht fast jeder dritte Schüler psychologische Betreuung.
NY: Drogenkonsum steigt
Viele New Yorker versuchen, den psychischen Stress mit Zigaretten und Hochprozentigem abzubauen: laut einer epidemiologischen Studie ist die Zahl der Raucher, Alkohol- und Marihuana-Konsumenten in New York seit dem 11. September um ein Drittel gestiegen.
Nicht mehr unbeschwert
In New York herrscht auch unterschwellige Angst vor weiteren Anschlägen: Bei einer Umfrage des Fernsehsenders CBS gaben im Sommer 41 Prozent der New Yorker an, sie würden die Umgebung bekannter Wolkenkratzer meiden.

Laut einer Umfrage einer New Yorker Tageszeitung stehen 21 Prozent der Stadtbewohner auch jetzt noch unter dem Einfluss der Anschläge, 30 Prozent glauben, die Probleme überwunden zu haben.
Cocooning und Ende der Spaßgesellschaft?
Über den neuen Lebensstil nach dem 11. September wurde viel diskutiert: Ende der Spaßgesellschaft, hieß es, und von "Cocooning" war die Rede: Couch und Videorekorder würden ein Revival erleben, mit Partner oder Familie zusammen sein, an Bedeutung gewinnen.
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Cocooning
Ein von Faith Popcorn identifizierter Trend: Immer mehr Menschen zeihen sich zurück, "hüllen sich in einen Kokon ein". Die Wohnung wird auch als Einkaufs- und Arbeitswelt genützt. Neben Geborgenheit und Gemütlichkeit spielt auch Angst eine entscheidende Rolle hierbei. Ängste sorgen dafür, dass der Mensch sich mehr und mehr abkapselt. Dieses Verhalten fördert die Informationsbeschaffung und den Konsum über elektronische Medien.
->   Cocooning (Faith Popcorn)
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Auslandsreisen gemieden
Vereinzelt seien diese Lebensstiländerungen eingetreten, meint der Markt- und Meinungsforscher Fritz Karmasin:

"In diesem Sommer sind die Leute nicht so sehr ins Ausland geflogen. Sie haben weniger nach Amerika gebucht, sondern sind in Europa geblieben. Weil sie intuitiv Angst gehabt haben, ein großes Flugzeug zu besteigen und in Gegenden zu fliegen, bei denen sie das Gefühl haben, die sind gefährdet."
Djihad Age oder Security World?
Kurz nach dem 11. September stellte der Trendforscher Matthias Horx Szenarien vor, wie sich die Welt nach den Anschlägen entwickeln könnte. Das Zeitalter des Terrors ("Djihad Age") oder der Zerfall der Welt in zwei Blöcke ("Die große Separation"), diese Szenarien seien nicht eingetreten, sagt Matthias Horx heute.

Zu spüren sei ein Hochsicherheits-Zeitalter ("Security World"): Kontrollen an Flughäfen, Sicherheitsleute bei Sportveranstaltungen, Registrier-Systeme im Internet, Investitionen in Fingerscan, Iris- oder Spracherkennung.

Die Kurzanalyse der vor einem Jahr entworfenen Szenarien liefert Matthias Horx in der aktuellen Ausgabe des "Zukunftsletters 2000x".
->   2000x
Der Tag der die Welt verändert hat ...
"Der Tag der die Welt verändert hat, ist ein Ereignis gewesen, das im Bewusstsein der Menschen lange bleibt."

Auch wenn sich die Situation wieder "normalisiert" habe, die Angst bzw. das Bewusstsein, es könnte einen weiteren Terroranschlag geben, die werden nicht so schnell vergehen, so der Meinungsforscher Karmasin.

Barbara Daser, Ö1-Wissenschaft
Mehr über den Jahrestag der Anschläge vom 9. 11. in science.ORF.at:
->   Weltweiter Boom: Biometrie gegen Terrorismus
 
 
 
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01.01.2010