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"Afghanistan Zero": Architektur des Krieges  
  Mehr als ein Jahrzehnt beobachtete der britische Fotograf Simon Norfolk die politische Situation in Afghanistan und interpretierte den Alltag des Krisengebiets in Form von ungewöhnlichen Landschaftsaufnahmen. Das Ergebnis: ein Bildband über die Spuren des Krieges.  
Zwei Jahrzehnte der Zerstörung
Afghanistan - ein Land im Mittleren Osten, eingebettet zwischen Ländern wie dem Iran und Pakistan: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 rückte Afghanistan mit einem Mal in den Mittelpunkt des weltpolitischen Interesses - ein Land, das selbst seit mehr als zwei Jahrzehnten permanent von Bürgerkriegen gebeutelt wird.

Die Zerstörung der Infrastruktur nach jahrelangen Auseinandersetzungen und den jüngsten amerikanischen Bombardements ist das Thema der Fotografien von Simon Norfolk.
Landschaftliche Spuren eines Krieges

Zwischen 1979 und 2001 porträtierte der britische Fotograf die Hauptstadt Kabul und weitere, von der Verwüstung der letzten 20 Jahre betroffene Städte und Siedlungen.

Das Ergebnis seiner Recherche wird nun in einem Bildband veröffentlicht: "Afghanistan Zero" - in Anspielung auf "Ground Zero" - skizziert auf ungewöhnliche Weise die landschaftlichen Spuren eines Krieges: das Gerippe eines Teehauses, die Stahlträger des Flughafens oder die Ruine des Regierungsgebäudes.
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Der Bildband
"Afghanistan Zero" von Simon Norfolk. Edition Braus, 96 Seiten, Euro 39,90
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Zwischen Kriegs- und Landschaftsfotografie

Als krasse Gegenbilder zu den üblichen Fotografien von Kriegsschauplätzen skizziert Norfolk Momentaufnahmen der Zerstörung mit der Ästhetik der Landschaftsfotografie. Sind Sie nun ein Kriegs- oder ein Landschaftsfotograf?

Norfolk: "Ich fühle mich weder als Kriegsfotograf, noch bin ich gewöhnlicher Landschaftsporträtist, der einfach schöne Berge oder Wasserfälle darstellt. Dafür verwende ich zu viele Symbole in meiner Fotografie - zum Beispiel einen von einem Messer zerhackten Baum, der an einem Platz steht, wo ein Massaker passiert ist. Meine Arbeit liegt irgendwo zwischen diesen beiden Typen der Fotografie."
"For Most Of It, I Have No Words"
Zu Beginn seiner Karriere engagiert sich Simon Norfolk für politische Themen. 1963 in Nigeria geboren, studierte er Dokumentarfotografie und arbeitet anschließend als Fotojournalist in Bereichen wie Genozid, Rechtsextremismus oder Rassismus. Mitte der 1990er Jahre wechselt Norfolk zur Landschaftsfotografie, ohne seine ursprünglichen Themen aus den Augen zu verlieren. 1998 publiziert er das Buch "For Most Of It, I Have No Words: Genocide, Landscape, Memory": Der Bildband dokumentiert Länder und Orte wie Auschwitz, Vietnam oder Ruanda, an denen im 20. Jahrhundert Massenmorde stattgefunden haben.
Afghanistan: Ein steriler Krieg
Norfolk ist vertraut mit den Motiven von Krieg, Mord und Zerstörung. Was unterscheidet die Lage in Afghanistan von anderen Kriegsschauplätzen?

Norfolk: "Bei Kriegen wie beispielsweise im Kosovo haben wir Bilder von verschreckten Frauen gesehen, die sich vor tätlichen Übergriffen schützen. Wir haben Fotos von verletzten und verstümmelten Kindern in den Krankenhäusern vorgesetzt bekommen. Wir sind mit Leid und Schmerz konfrontiert worden. Von Afghanistan gab es wenig Bilder dieser Art. Der Krieg war für die westliche Welt weit weg - räumlich und emotional. Ein amerikanischer Soldat hat in 15.000 Metern Höhe den Knopf zum Abwurf einer Bombe gedrückt - und das war es. Sauber, steril, ohne direkte Konfrontation. Das wurde uns größtenteils durch die Medien vermittelt. Ich halte es für sehr gefährlich, wenn ein Krieg auf diese Art und Weise dargestellt wird. Es ist dann nur ein kleiner Schritt, zu sagen: 'Hey' Afghanistan war einfach, lasst uns jetzt den Irak angreifen.¿"
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Ausstellung
Vom 10. Jänner bis 30. März 2003 ist eine Auswahl der besten Fotografien von Simon Norfolk aus seinem Buch "Afghanistan Zero" in der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz zu sehen. Ein Symposium am 17. und 18. Jänner 2003 beschäftigt sich mit der aktuellen Situation Afghanistans: mit der innen- und außenpolitischen Position des Landes ebenso wie mit den Zukunftsperspektiven der Krisenregion. Neben Simon Norfolk diskutieren unter anderen der Kulturphilosoph und Kommunikationswissenschaftler Noam Chomsky, der Soziologe und Gesellschaftstheoretiker Jean Baudrillard und der Medienphilosoph Paul Virilio.
Informationen: Tel.: (0 31 6) 82 91 55
->   Neue Galerie, Graz
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Architektur des Krieges
Simon Norfolk rückt Afghanistan kunstvoll ins Licht und nimmt der Realität damit ein wenig von ihrer Härte, ohne sie zu verharmlosen. Warum haben Sie Stilmittel der Landschaftsfotografie gewählt?

Norfolk: "Ich wollte Bilder produzieren, die die Aufmerksamkeit des Betrachters länger auf den Motiven halten - auf den wunderbaren Plätzen und Landschaften, die es in Afghanistan gibt. Wenn ich den Betrachter nämlich länger an mein Bild binden kann, kann ich vielleicht mehr über den inhaltlichen Hintergrund meiner Fotos vermitteln. Man hat die Möglichkeit, sich aus der Distanz zu den grausamen Seiten des afghanischen Alltags Gedanken zu dieser "Architektur des Krieges" zu machen. In der traditionellen Kriegsfotografie passiert das wenig. Da sind die Bilder klar und direkt in ihrer Aussage - sie wollen schockieren."
Die Kriterien der Motive
Für seine Arbeit über Afghanistan wurde Simon Norfolk 2002 mit dem "European Publisher's Award for Photography" ausgezeichnet. Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Motive gewählt?

Norfolk: "Nachdem ich vor 1979 nicht in Afghanistan gewesen war, hatte ich keine Ahnung von dem Land. Die ersten Eindrücke konnte ich aus Erzählungen von Reportern gewinnen, die im Radio über ihre Erfahrungen und Erlebnisse gesprochen und das Land und die Leute als wunderschön und einzigartig beschrieben haben. Vor Ort arbeite ich dann wie ein Detektiv oder ein Archäologe. Ich mache mir ein Bild von der Situation und versuche herauszufinden, was sich abgespielt haben könnte. Ich rede mit der Bevölkerung und beobachte deren Alltag. Ich sehe mir die Gebäude an, suche nach Anhaltspunkten, wie sie zerstört worden sind. Ich überlege mir, wie der Platz ohne die Verwüstung, vor der Zerstörung durch Bomben oder Kalaschnikows ausgesehen hat. Dann versuche ich die einzelnen Puzzleteile zu einem Bild zusammenzufügen, das natürlich nur eine Momentaufnahme darstellt. Letztlich werde ich aber immer nur die halbe Wahrheit erkennen."

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
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Mehr zu Afghanistan und zum Bildband von Simon Norfolk lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Universum Magazins.
->   Universum Magazin
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->   Simon Norfolk
 
 
 
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01.01.2010