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Skelettreste zweier Urmenschen im Neandertal entdeckt  
  Im Neandertal östlich von Düsseldorf sind Forscher auf die Überreste von zwei weiteren Urmenschen gestoßen. An der erst vor fünf Jahren wiederentdeckten Fundstelle, an der 1856 der namensgebende Neandertaler entdeckt worden war, haben die Archäologen fünf Bruchstücke von Armknochen sowie einen Milchzahn geborgen, die nun eindeutig als Neandertaler-Überreste identifiziert werden konnten.  
Die Fragmente eines rechten Oberarmes sowie beider Ellen stammten "von einem eindeutig zarter gebauten Neandertaler, als es der Fund von 1856 gewesen ist", sagte am Montag der Urgeschichtler Ralf W. Schmitz von der Universität Tübingen.
Knochenfragmente zweifelsfrei zugeordnet
Die neuen, grazileren Knochenfragmente und der Milchzahn waren im Jahr 2000 bei den jüngsten Grabungen des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege (Bonn) im Neandertal zusammen mit mehr als 60 weiteren menschlichen Knochensplittern und zahlreichen Steinwerkzeugen geborgen worden.

Die Funde hat der US-Anthropologe Fred H. Smith von der Loyola-Universität (Chicago) jetzt "zweifelsfrei" als Neandertaler-Reste bestimmen können.
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Neandertaler: Ausgestorben vor rund 30.000 Jahren
Der Neandertaler zählt zu den Altmenschen und entwickelte sich vor rund 300.000 Jahren aus dem Homo erectus - dem Stammvater der weit verzweigten Menschheitsfamilie, die ihre Wurzeln in Afrika hat. Schon vor etwa 600.000 Jahren trennten sich den jüngsten Forschungsergebnissen zufolge die Wege des Neandertalers von der Linie, aus der später der Homo sapiens als anatomisch moderner Mensch hervorgehen sollte.

In Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten lebten Homo sapiens und Neandertaler jedoch bis zu 50.000 Jahre nebeneinander. Vor etwa 30.000 Jahren starb der robust-muskulöse Altmensch aus - ob durch eine Epidemie oder die Dominanz des fortschrittlicheren Homo sapiens bleibt unklar.

Seinen Namen hat der Neandertaler von dem ersten spektakulären Fund 1856 in einem kleinen Tal zwischen Düsseldorf und Mettmann. Bisher wurden Reste von rund 300 verschiedenen Neandertalern entdeckt.
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Erstmals genaue Altersbestimmung
Erstmals haben Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich zudem das genaue Alter des "Namenspatrons" aller Neandertaler sowie der Neufunde auf rund 42.000 Jahre festlegen können, berichtete Schmitz.

Die "anrührende Erklärung", dass es sich bei den nunmehr drei in derselben Höhle ausgegrabenen Neandertalern möglicherweise um ein Elternpaar mit seinem Kind handele, sei allerdings "weder widerlegbar noch beweisbar".

Trotz der exakten Datierung mit der C14-Methode könnten zwischen den Lebzeiten der drei Urmenschen aus dem Neandertal "noch viele Jahrhunderte" gelegen haben, meinte Schmitz. Eine Verwandtschaft der drei halte er "für sehr unwahrscheinlich".
Neue Gen-Analyse: Keine Verwandtschaft zum Menschen
Eine Gen-Analyse des neu entdeckten, zierlichen Neandertalers deute wie drei frühere Untersuchungen nicht darauf hin, dass diese Urmenschenart zu den Genen der heutigen Menschen beigetragen habe. Deswegen gehöre der Neandertaler "eher nicht" zu den Ahnen der modernen Menschen, erklärte Schmitz.
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DNA-Analysen belegen keine direkte Verwandtschaft
Alle bislang vorgenommenen DNA-Analysen belegen keine direkte Verwandtschaft zwischen Homo sapiens und Neandertaler. Der Homo neanderthalensis war offenbar wie der Homo sapiens eine Art (Spezies) der Gattung Mensch (Homo), die untereinander wohl nicht fortpflanzungsfähig waren. Auch die virtuelle Rekonstruktion der Schädel von Neandertalern zeigt, dass es sich beim Homo neanderthalensis und Homo sapiens nicht um nahe Verwandte handelt.
science.ORF.at: DNA-Analyse zeigt keine Verwandtschaft
science.ORF.at: Schädel-Rekonstruktion von Neandertalern
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Weitere Gen-Analysen für Einblicke in die Evolution?
Der Leiter der rheinischen Bodendenkmalpflege, Harald Koschik, sieht in den neuen Funden einen "Ansporn, alle Fossilien bisher bekannter Neandertaler genetisch zu untersuchen". Der Vergleich mit den Gendaten früher Formen des heutigen Menschen könne dann wichtige Aussagen über die Evolution erbringen, unterstrich auch Schmitz.

Bereits 1997 hatte Schmitz die Untersuchung der Erbsubstanz an dem im Bonner Landesmuseum verwahrten ersten Neandertaler angeregt. Die Ergebnisse hatten gegen die Möglichkeit gesprochen, dass der Neandertaler zu den Ahnen heutiger Menschen gehört hat.

Stattdessen soll er vor rund 30.000 Jahren ausgestorben sein. Diese These war auch von zwei DNA-Tests an Neandertalern aus dem Kaukasus und Kroatien gestützt worden.
Wiederentdeckung des ersten Fundortes
Schmitz hatte gemeinsam mit seinem Kollegen Jürgen Thissen 1997 die Lehmfüllung der vom Kalkabbau zerstörten historischen Fund-Höhle im Neandertal nach langen Archivforschungen wiederentdeckt und ausgegraben.

Vor zwei Jahren war beiden Wissenschaftern unter anderem in dem Tal bei Mettmann der spektakuläre Fund eines knöchernen Restes der Augenhöhle geglückt, der nahtlos an die Hirnschale des vor rund 150 Jahren von Steinbrucharbeitern geborgenen Fossils passte.

Rund 60 weitere menschliche Bruchstücke von Becken, Händen, Füßen, Wirbeln und Rippen lassen sich nach Angaben der Wissenschaftler "noch nicht eindeutig" dem historischen oder den neu gefundenen Urmenschen zuweisen.
Naturglaube und Sozialgefüge ...
Der Neandertaler war als Jäger und Sammler stark von seiner Umwelt abhängig. Als Werkzeuge benutzte der Urmensch vor allem Faustkeile, Schaber und Messer aus Stein. Bestattungsriten deuten auf erste Formen von Natur- oder Götterglauben hin.

Auch einfacher Körperschmuck und die Tatsache, dass einige an den Knochen ablesbar sehr schwer verletzte Neandertaler offenbar durch Zuwendung ihrer Umgebung überlebten, lassen auf ein funktionierendes Sozialgefüge schließen.
->   Mehr Artikel zu den Neandertalern in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010