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Medien und die Macht der Kriegs- und Terrornews  
  Zum Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September sind sie wieder oft zu sehen, längst sind sie zum kollektiven Erinnerungsort geworden: Die Endlosschleifen jener TV-Bilder, die den Einschlag der Flugzeuge in das World Trade Center (WTC) von New York zeigen. Die Versuche, den Wahrheits- oder Konstruktionsgehalt dieser Bilder zu ermessen, scheinen ein Jahr danach ebenso endlos. Bei einem Symposion in Wien trafen nun journalistische Praktiker und wissenschaftliche Theoretiker aufeinander, um der Frage nach den "Medien und der Macht der Kriegs- und Terrornews" nachzugehen.  
Terrorismus braucht Medien
"War on Terror" lautete der offizielle Titel jener militärischen und zivilen Handlungen, mit denen die USA auf die Attacken des 11. September reagiert haben. Terroristen, so begann Danny Rubenstein, einer der Herausgeber der israelischen Tageszeitung Ha'aretz, seinen Vortrag, das sind immer die anderen - etwa im israelisch-palästinensischen Konflikt, den Rubenstein seit nunmehr 35 Jahren journalistisch begleitet.

Und Terrorismus, so führte Joseph Vogl, Professor für Theorie und Geschichte künstlicher Welten an der Bauhaus-Universität Weimar, aus, funktioniert nur mit Hilfe der Medien - er kalkuliert die Erschütterungen, die durch die Bilder weltweit ausgelöst werden, mit ein.
Abwendung von TV-Bildern?
Wie aber lässt sich über Anschläge wie jene vom 11. September berichten, ohne in diese Falle zu tappen? Der Politologe Claus Leggewie gab darauf - wie er sagte - "altmodische Antworten".

Er rief zu einem pädagogischen Projekt auf, zu einer Abkehr von "unserer Bildgeilheit", zur Erhöhung unserer "Kompetenz in der Entschlüsselung von Bildern" - damit verbunden eine stärkere Beachtung von Hörfunk, Print- und Neuen Medien und eine Abwendung vom Fernsehen.

TV-Bilder, so Leggewie, gelten als die glaubwürdigsten Bilder unserer Zeit, sie ließen aber weit weniger an Distanz und Reflexion zu als das geschriebene oder gesprochene Wort.
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Al-Jazira: Ambivalente TV-Station
Hazem al-Amin, Journalist der größten internationalen arabischen Tageszeitung "al-Hayat" und während der Bombardierung Berichterstatter in Afghanistan, ging in seinem Kurzreferat auf die Bedeutung des arabischen News-Senders al-Jazira ein - und erläuterte anhand eines Beispiels die ambivalente Rolle der oft als "arabisches CNN" bezeichneten TV-Station. Noch vor dem 11. September wurde ein Video des mutmaßlichen Terror-Drahtziehers Osama bin Laden ausgestrahlt, das die Hochzeit einer seiner Töchter zeigt. In der Hochzeitsrede von Bin Laden - der Teile nachdrehen ließ, da ihm seine eigene Darstellung missfiel - waren laut al-Amin geheime Botschaften für seine Anhänger versteckt, u. a. das Bekenntnis zum Terroranschlag auf das amerikanische Kriegsschiff USS Cole in Aden.

Überhaupt ist die Rolle von al-Jazeera nach Ansicht der libanesischen Journalistin Diana Moukalled (Future Television/Beirut) sehr ambivalent. Einerseits spreche der Sender viele Themen an, die in anderen arabischen TV-Stationen keinen Platz finden, andererseits sei er alles andere als objektiv. Die guten Kontakte zu Bin Laden sind bekannt, für diese Woche etwa wurde ein Al-Jazira-Video angekündigt, in dem er erstmals persönlich die Verantwortung für die Anschläge vom 11. September übernimmt.
al-Hayat
al-Jazira
Future Television
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Doppelte Evidenz des 11. Septembers
In eine ähnliche Kerbe wie Leggewie schlug auch Joseph Vogl. Auch nach Ansicht des Professors für Theorie und Geschichte künstlicher Welten sollte es die "Aufgabe der Medien sein, Komplexität darzustellen".

Eine Komplexität, die er etwa in der "doppelten Evidenz des 11. Septembers" erkennt. Einerseits zeichnen sich die Geschehnisse durch fehlende Bekennerschreiben, verschwundene Drahtzieher und lückenhafte Beweisketten aus, andererseits stehe dem ein "bildlicher, symbolischer Überschuss", die "übercodierte Bildlichkeit" der WTC-Angriffe gegenüber.
Mehr Reflexions- und Unterscheidungsfähigkeit
Um sich dieser "Bildgeilheit" oder "übercodierten Bildlichkeit" zu entziehen, da waren sich Leggewie und Vogl einig, bedürfe es eines höheren Maßes an Reflexions- und Unterscheidungsfähigkeit - gerade in Fragen des Gedenkens an die Geschehnisse des 11. September.

Als gelungene Erinnerungsform könnten etwa die intimen Nachrufe der New York Times gelten, die auf einzelne Opfer der Terroranschläge eingegangen sind, oder der eben in Venedig uraufgeführte, von elf internationalen Regisseuren zusammengestellte Episodenfilm "11/09/01", der die Geschehnisse in den Rahmen einer durch allgegenwärtige Gewalt aus den Fugen geratenen Welt stellt.
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Mehr dazu in dem Abstract von Claus Leggewie:
->   Ground Zero, ein globaler Erinnerungsort
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Journalistische Zensur
Jene, die die Bilder und Texte für die individuelle wie kollektive Erinnerung liefern, sind die Journalisten. Einer von ihnen, Danny Rubinstein von der israelischen Tageszeitung Ha'aretz, ging auf den Grund des steten Misslingens von objektiver Berichterstattung ein.

Alle Journalisten, wiewohl die meisten von ihnen "gute Menschen" seien, unterlägen einer direkten oder indirekten Form der Zensur. Entweder über den Umweg des finanziellen Interesses der Herausgeber oder über die direkte politische Einflussnahme von Seiten politischer Machthaber.
Auch ein Bild: Diskussionsverweigerung
Womit Rubinstein auch die eigene, konkrete Realität beschrieb - jene eines Journalisten, der seit dreieinhalb Jahrzehnten über den Konflikt von Israelis und Palästinensern berichten muss.

Treffend wird diese Realität beschrieben durch den Umstand, dass es seine arabischen Kollegen nicht ertragen konnten, gemeinsam mit ihm am Podium des Symposions zu sitzen.

Demonstrative Diskussionsverweigerung - das ist auch ein Bild, das zur Macht und Ohnmacht der Macher von Kriegs- und Terror-News gehört.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Ha'aretz
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Symposion: "Medien und die Macht der Kriegs- und Terror-News"
Anlässlich des ersten Jahrestags der Terroranschläge vom 11. September fand in Wien das Symposion "Medien und die Macht der Kriegs- und Terror-News" statt.
Veranstalter: Demokratiezentrum Wien, Wissenschaftsredaktion der ORF-Radios und Der Standard in Zusammenarbeit mit dem Verein für Geschichte und Gesellschaft im Rahmen der Initiative Dialog.Diskussion.Demokratie.
->   Programm
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->   Demokratiezentrum Wien
->   RadioKulturhaus
->   Der Standard
Mehr über den Jahrestag der Anschläge vom 9.11. in science.ORF.at:
->   Weltweiter Boom: Biometrie gegen Terrorismus
->   Psychische Folgen, Lebensstiländerungen
->   11. September überschattet Amerikas Forschung
 
 
 
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01.01.2010