News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Japan: Populäre Hochkultur oder hochkultureller Pop?  
  Hayao Miyazakis "Spirited Away" lockte so viele Japaner in die Kinos wie niemals ein Film zuvor. Der Gewinner des Goldenen Bären zeigt anschaulich die japanische Synthese von traditionellen Fabeln und moderner Aufbereitung. Ein Beispiel der schwindenden Kluft zwischen Populär- und Hochkultur in der japanischen Gesellschaft des Mittelstandes? Die Ethnologin Christina Anna Baptist geht dieser Frage im Uni-Portal mnemopol.net nach, science.ORF.at bringt dazu eine Rezension.  
Januskultur von Tradition und Moderne in Japan?
Rezensiert von Oliver Gingrich

Noch in den 30er Jahren loderte im historisch abgeschotteten Japan die Angst vor US-amerikanischem "Kulturbarbarismus": Beinahe das Gegenteil darf heute konstatiert werden, wenn Toei Studio als Exportschlager am Zeichentricksektor in bestimmten Altersgruppen Warner Bros. "ausknockt" und Toho Studios "Gojira" von Roland Emmerich nach New York entführt wird.

Mit einher schreitender Hyperintellektualisierung seit den 50er Jahren hat das Land indessen nichts von seiner Traditionswurzelung eingebüßt. Dem Kulturanthropologen Richard Torrance zu Folge erfreut sich Japan auch heute noch der Scharen von etwa zehn Millionen Haiku Poeten.
...
Hybrid-Kultur
Ebenso wie die Theaterspielkunst Kabuki noch immer als anerkannte Unterhaltung für Alt und Jung gilt, knüpfen Filme wie Takeshi Kitanos "Dolls" seidene Bande zur traditionellen Buraku Puppenspielkunst auf der Biennale in Venedig und im eigenen Land. Tradition und Moderne verschmelzen in Japan nicht nur in den Kulturprodukten, sondern vielmehr zur Hybridität bei den Konsumenten - so bei der Rezeption der Manga-Comics.
...
Mangas - als Äquivalent von Krone und Farkas
Mangas spiegeln bestens die breite Diversität der Abnehmer dieser von hinten nach vorne gelesenen Taschenbücher wider, die gemeinhin als popkulturelle Paradeware gelten. Mangas erklären demnach den schmalen Grat zwischen Hoch- und Popkultur.

Tatsächlich haben sich hier einige Spuren und Motive im Abbildungsbrauch aus dem 6. Jahrhundert konserviert. Noch weniger als kulturelle Hobelspäne dürfen Mangas daher als quinkellierende (dünnstimmige) Nachahmer amerikanischer "Ziseliercomickunst" eingeordnet werden, sondern sollten hingegen als deren Vorreiter verstanden werden, sind sie doch schon seit den 20er Jahren örtliche Lektüre.
...
Mangas als Bestseller
Immense Paletten an Zielgruppenmangas lassen sich kollektivieren, und beinahe unlimitiert scheint auch deren Abnehmerzahl: Die beiden meistgekauften Magazine Japans sind Mangas, von pornographischen Hentais zu Sararimans mit prototypischen Familienvater-Charakteren, von homosexuellen Buhlschaften (Osaki's Zetsuai 1980 aut simile) bis zu Samuraihandlungen reichen deren Synopsen.
...
Shojo - das ewige Mädchen im Comic
Anders als im euroamerikanischen Kulturkreis, wo Comics seit jeher Burscheninteressen bedienten, erschließt sich das Bild in Japan: Seit den 70er Jahren hat sich in Japan bei Mangas der Trend hin zu Zeichnerinnen und einer gehobeneren Anzahl von Leserinnen etabliert.

Wobei sich als Gegenstück zu den spezifischen Männer Rolemodels "Sarariman" und "Shonen" vorwiegend zwei Typen des Frauencomic entwickelten: Careerwoman Mangas und Shojo's.
Tradition und feministischer Stolz
Wenngleich Mangas in Japan mitunter zur Umgehung lokaler Zensurgesetzgebung in Pornographisches abschlittern, kann Shojo exakt durch das Asexuelle definiert werden.

Die Kulturwissenschafterin Susan Napier behandelte in Fallstudien eine Reihe von Comic-Heldinnen mit gewisser "Jungbrunnenautomatik" - von Vampire Miyu bis Sailormoon - und fand Heldinnen in traditionellen japanischen Settings mit emanzipiertesten Agitationen überdies bar jeglicher sexueller Stigmatisierung. Sie ermittelte auch eine Verquickung von Tradition und gegenwärtigem feministischem Stolz.
Morning Dramas - Asadora
Die sukzessive Beflügelung von japanischer Hoch- und Populärkultur wiederum im Frauenbild erfährt bei den Fernsehserien, den Asadoras, eine weitere stete Exergie: Allmorgentlich werden über die beinahe in jedem Haushalt vorhandenen Bildschirme Asadoras ausgestrahlt.

Sechs Monate steuern darin Laienschauspielerinnen durch Dialoge zwischen Tradition und modernem Alltag mit reger Zuseher Interaktion auf ein Bewältigungsfinale einer Konfliktsituation zu.

Bis weit über 50 Prozent Marktanteil erreichen Asadoras als Kulmination von Bildungs-, Emanzipations- und Unterhaltungsfernsehen. Damit stellen sie noch ein Indiz für die Akklamation durch die Bevölkerung für die Benachbarung von "trashigem" Pop und kultureller Pflege dar.
Der Brückenkopf Popkultur
Ein Nebeneinander dieser Komponenten bildet dabei möglicherweise den Nährboden für den interkulturellen Siegeszug zwischen Aufbruch und Rückbesinnung. Anhand wunderschöner Beispiele illustriert Christina Baptist diese Verflechtungen in historischen wie kulturwissenschaftlichen Kontexten - zu finden auf mnemopol.net.
->   mnemopol.net
...
Die Autorin
Christina Baptist, geb.1980, studiert im 9. Semester Publizistik und Ethnologie, Kultur -und Sozialanthropologie mit den Forschungsschwerpunkten: Popular Culture, Medien -und Genderforschung sowie Cultural Studies. Diplomarbeit in Arbeit.
...
->   Mehr über das Uni-Portal mnemopol.net auf science.ORF.at
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010