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"Weltethos" und Dialog der Kulturen  
  In seiner Programmschrift "Projekt Weltethos" aus dem Jahr 1990 forderte der Tübinger Religionswissenschaftler Hans Küng die Besinnung aller Religionen auf einen Grundkonsens verbindender Werte und Maßstäbe als Voraussetzung für eine friedliche Entwicklung der Menschheit. Eine international gezeigte Ausstellung, die heute beim Brucknerfest in Linz eröffnet wird, stellt die Frage nach der aktuellen Gültigkeit dieser ethischen Botschaft. Der Kulturhistoriker Manfred Wagner hat dazu für science.ORF.at einen Gastbeitrag verfasst, in dem die Umsetzungsmöglichkeiten des "Projektes Welthos" analysiert werden.  
Weltreligionen - Weltfrieden - Weltethos
von Manfred Wagner

Eine globalisierte Welt braucht ein globalisiertes Ethos. Dieser Kernsatz, vom unermüdlichen Kämpfer für eine Weltethik Hans Küng immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt, ist logisch, einsichtig und bedurfte keiner näheren Erläuterung.

Dass wir davon weit entfernt sind, ja nicht einmal in unserer eigenen Gesellschaft eine gemeinsame Grundlage für menschliches oder politisches Handeln entwickeln können, beweist uns der tägliche Blick in die Realität und nicht nur jene Südostasiens, Amerikas, sondern auch in die lokale Dimension hierzulande.
In den Werthaltungen disparat
Unsere Gesellschaft, rural geprägt, wenn auch in Richtung Urbanisierung unterwegs, wobei aufgrund der Kleinheit unserer Städte das Flair von Weltmetropolen sich nur bedingt einstellt, ist auch in den Wertehaltungen disparat, irritiert an der Bedeutung der Tradition, misstrauisch gegenüber unvorhergesehenen Geschehnissen, schwankend in ihren politischen Haltungen und wenn überhaupt dann nur kapitalistisch verklammert.
Der Geldwert zählt
Der Geldwert ist derzeit der wohl einzige, der quer durch alle Schichten und die alten Klassen, die sich längst aufgelöst haben, verbindlich ist. Wir sind besitzorientiert, pekuniär vorteilsbewusst, und mit Ausnahme der großherzigen Spendenaktionen, über deren Motive sich nachzudenken lohnte, darauf konzentriert, einmal erworbene oder geschenkte Besitzstände mit "rattenhafter Wut" (Heinrich Böll) zu verteidigen.
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Das Strafgesetzbuch als "Klammer"
Das Strafgesetzbuch ist eine weitere gemeinsame Klammer für uns, das kavaliersmäßig eher dort verletzt wird, wo es um Geld und Zeitbudgets geht, also im Steuerwesen und im Verkehr. Geblieben sind Mischreste vormals ethikverdächtiger Ideologien: der christlichen, vor allem im Formalkontext von Taufe, Eheschließung und Beerdigung; der nationalen, ja völkischen mit ihrer Fremdenfeindlichkeit und einem nach wie vor unausgesprochenen Rassen=Stammesbewusstsein; der sozialistischen mit ihrem Gleichheits- respektive Nivellierungsdrang, zwar dem Schutz für die sozial Schwachen, zu denen sich aber bald jeder zumindest aus der Mittelstandsgesellschaft zugehörig fühlt.
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Das Besitzstreben dominiert
Die ökologische Nische erschöpft sich in Vordergründigkeit und Kurzfristdenken, das schnell zu sinnloser Wut gegenüber Gemeinschaften mit anderen Energievorbildern aufschaukelbar ist (Tschechien).

Sie alle, die Mischreste ehemals revolutionärer Veränderungsansätze der Gesellschaft ebnen sich ein in ein kleinkapitalistisches Streben nach Besitz, beweglicher und unbeweglicher und neuerdings auch virtueller Güter, wobei der persönliche Vorteil grundsätzlich über alle gesellschaftlich relevanten respektive schadensverdächtigen Gewinnabschöpfungen reicht.
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"Weltethos"- Ausstellungseröffnung beim Brucknerfest
Am 17. September um 18.00 Uhr wird im Rahmen des Brucknerfestes, das heuer unter dem Motto "Harmonie der Kulturen" steht, die deutsche Fassung der Ausstellung "Weltreligionen-Weltfrieden-Weltethos" im Linzer
Brucknerhaus eröffnet. Die Festrede hält Manfred Wagner, Professor für Kultur- und Geistesgeschichte an der Universität für angewandte Kunst, Wien.
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Die Rolle der Familie ist in Frage gestellt
Die Familie als Grundlage menschlicher Sozialisation, also auch menschlicher Wertfestlegungen ist größtenteils in Frage gestellt, wenn nicht überhaupt aufgehoben, so doch von anderen Interessenssphären als dem Wert der Erziehung geprägt. Das Vorschulalter wird von der Spielmaschine dominiert und die Schule ist als Späterziehungsinstitution überfordert.
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Religions- oder Ethikunterricht
Religionsunterricht gleich welcher Konfession ist absetzbar und von dem an seiner Stelle oder additiv zu ihm geforderten Ethikunterricht eher keine Rede mehr, sieht man von den üblichen Schulversuchen ab, die als Alibi für den Reformwillen allenthalben apostrophiert werden.
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Europäisierung und Globalisierung
Die Kleinheit des Landes, sei es unumstrittener Wohlstand (wir liegen gesättigt unter den zehn reichsten Ländern der Welt und unter den drittreichsten Europas), aber auch die Kleinheit der Ressourcen, an Begabungen, Erfindungsreichtum und Fleiß und ein relativ lässiger Umgang, was politische Führung betrifft, die sich ohnehin mehr und mehr auf die spezifischen Wünsche ihrer Klientel popularisieren zu müssen glaubt, haben das Faktum der Europäisierung als Bürokratie und Verteuerung diagnostiziert und die Globalisierung, wenn überhaupt, dann nur im internationalen Terror wahrgenommen.
Außerhalb der Wahrnehmung
Die Krisen der Welt, die Kriege, Konflikte und die Zerstörung der Natur, die nach wie vor strikt durchgezogene Ausbeutung der Arbeitskräfte, Gewalt, Aggression und Hass, die in der Regel vom Gewinnstreben verursachte Armut liegen in der Regel außerhalb unserer Wahrnehmung.
Neue Grundlage für eine gerechtere Ordnung
Dabei haben sich längst die großen Weltreligionen geeinigt, dass sich in ihnen trotz aller Verschiedenheit ein gemeinsamer Bestand von Kernwerten findet und dieser sehr wohl als Grundlage für ein Weltethos dienen könnte, dass ein wenig Familienbewsstsein und die Achtung vor der Gemeinschaft der Lebewesen, etwas mehr Gewaltlosigkeit, Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Mitgefühl als eine brauchbare Grundlage für eine gerechtere soziale und ökonomische Ordnung ausreichte.
Der Appell von Hans Küng
Dieser Appell, von Hans Küng unermüdlich an die Welt gerichtet und in endlosen Gesprächen mit den politischen und ökonomischen Führern der Welt diskutiert, was - und auch davon wissen wir viel zuwenig - in Verträge, Abkommen und Erklärungen einfloss, ist formal gesetzt, aber nicht umgesetzt.

Vermutlich nicht einmal so sehr, weil es die politischen Führungen prinzipiell nicht wollten, sondern weil sie im Konfliktfall nach wie vor auf die Stärke ihrer Militärs oder die Finanzkraft ihrer Produktionsanteile setzen.
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Umsetzung des "Weltethos"
Das Grundproblem ist, dass die Umsetzung eines Weltethos, das, so sieht es derzeit aus, ohnehin nur aus relativ wenigen Anforderungen besteht, nicht Allgemeingut wird, solange es nicht jeder einzelne für sich als Richtschnur seines eigenen Handelns akzeptiert, als Grundkonsens bezüglich bestehender verbindender Werte, unverrückbarer Maßstäbe und persönlicher Grundhaltungen, wie es das Parlament der Weltreligionen in Chicago 1993 definierte.
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Verpflichtung zur Gewaltlosigkeit
Auch wenn es als eine Art Utopie erscheint, ist die Verpflichtung zur Gewaltlosigkeit, nebenbei bemerkt die stärkste Forderung des Christentums, ein Ansatzpunkt, der die Ehrfurcht vor dem Leben - vor allem Leben der Welt - miteinschließt.
Chance auf Interessenausgleich
Der Ruf nach Gerechtigkeit, von der französischen Revolution artikuliert und vom Sozialismus internalisiert, böte die Chance eines Interessenausgleichs aller Menschen auf ein menschenwürdiges Leben ohne Ausbeutung.
Tugend der Wahrhaftigkeit
Die alte Tugend der Wahrhaftigkeit, die - nebenbei bemerkt, mit der Anerkennung der Würde des anderen zusammenhängt und ebenso nebenbei bemerkt auch in unserer politischen und medialen Realität längst vom Wort Strategie abgelöst wurde -, wäre ein Ansatzpunkt für den Austausch von materiellen und immateriellen Dimensionen, ein Konzept für eine glaubwürdige Tauschgesellschaft ohne Übervorteilung und Betrug.
Kultur der Gleichberechtigung
Die vierte Grundregel als Verpflichtung auf einer Kultur der Gleichberechtigung und der Partnerschaft von Mann und Frau ergäbe sich streng genommen schon aus den ersten dreien, muss aber angesichts aus der nach wie vor weltweit dominanten Unterdrückung, Ausbeutung und dem schnellen Missbrauch der Frauen eigens argumentiert werden.
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"Agenda für den Dialog der Kulturen"
Es ist als Hoffnungszeichen zu werten, wenn die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 9. November 2001 eine Resolution mit einer globalen "Agenda für den Dialog der Kulturen" beschloss, wenn man so will, ein Resultat der Bemühungen um das Weltethos, das tatsächlich auch zumindest in seiner Kenntnisnahme weite Kreise der politischen Eliten umschließt.
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Internalisierung der Grundsätze
Wenn man aber davon ausgeht, dass alle Bemühungen der Vereinten Nationen, sofern sie top down erfolgt sind, in ihrem Appellcharakter versickern, muss einem klar werden, dass nur die Internalisierung der Grundsätze in das Bewusstsein jedes Einzelnen auch eine Veränderung des Weltbewusstseins herbeiführen könnte.

Es ist schwer genug - und die Realität des kleinen Österreichs führt es täglich vor Augen -, diesen Minimalkonsens im Ansatz in einer derart kleinen Gruppe von acht Millionen Einwohnern als für jeden verbindlich herzustellen.

Aber, und dies ist auch eine Botschaft, die diese Ausstellung mitgibt, es wird keine andere Chance geben, will man die Welt nicht in ihrem derzeit desaströsen Zustand belassen, als an diesem Projekt mitzuarbeiten.
Einwände und Kritik
Gewiss gibt es viele Ungeduldige, denen die wenigen Grundsätze zuwenig sind, eifersüchtige Theologen, die aus Konkurrenzneid widersprechen, ideologische Propagandisten, die ihr eigenes mühsam aufgebautes Zwangskorsett für ihre Anhänger in Gefahr sehen.

Gewiss gibt es Atheisten, die aus Prinzip nicht an die Kraft von Religionen glauben oder Anhänger von Glaubensgemeinschaften, die nirgends außer in ihrer Kirche ihr Heil sehen.

Gewiss gibt es die Zyniker und Verzweifelten, die nicht mehr an die Reparierfähigkeit der Weltgemeinschaft glauben und mit dem ihnen eigenen Masochismus der Katastrophe entgegenfiebern.
Wenn der Nachbar abhanden kommt
Gewiss gibt es aber auch, und dies scheint nach wie vor die Mehrheit in den europäischen Ländern zu betreffen, die Ignoranten, denen die Lage der Welt solange gleichgültig ist, solange sie sich nicht davon betroffen fühlen.

Es sind die, denen schon der Nachbar abhanden kommt, wenn es um ihre ureigensten Interessen geht, die, die nichts wissen wollen von den Problemen, die sich außerhalb ihrer vier Wände ereignen.

Für alle anderen, die teilhaben an der Welt und sich Gedanken machen über deren Veränderung in Richtung einer besseren, sollte die Ausstellung "Weltreligionen-Weltfrieden-Weltethos" genug Informationen und Anregungen bieten.
->   Homepage Univ.Prof. Manfred Wagner
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Plakatwettbewerb über die "Goldene Regel"
Die Initiative Weltethos Österreich startet zu Beginn des Schuljahres 2002/03 in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur an 6.000 österreichischen Schulen einen Plakatwettbewerb über die Goldene Regel in den Weltreligionen zur Förderung des interkulturellen Dialogs. Es werden Preise in der Höhe von 3.000, 2.000 und 1.000 Euro in Aussicht gestellt. Nach dem Ende der Einreichfrist am 28. Februar 2003 wird eine Fachjury die drei besten Plakate prämiieren. In einer Ausstellung sollen sämtliche Plakatentwürfe gezeigt werden.

Auskünfte:
Mag. Edith Riether
Initiative Weltethos Österreich
Hilton Office Center
Am Stadtpark 3/260
A-1030 Wien
Tel.+ Fax: +43 1 7145386
Mobil: 0676 4996038
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->   Brucknerhaus Linz
 
 
 
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01.01.2010