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Erstmals große Mengen an Antimaterie erzeugt  
  Dass das Universum in seiner heutigen Form existiert, ist der Tatsache zu verdanken, dass es mehr Materie als Antimaterie gibt. Nach wir vor unklar bleibt allerdings, warum dies so ist - die Überprüfung von Theorien und Modellen scheiterte bislang unter anderem daran, dass ausreichende Mengen an Antimaterie fehlten. Nun ist es Physikern am europäischen Forschungszentrum CERN erstmals gelungen, größere Mengen von Antimaterie zu erzeugen - die Lösung vieler Rätsel scheint damit ein ganzes Stück näher gerückt zu sein.  
Weltweit forschen Wissenschaftler unter enormem Aufwand an der Herstellung von Antimaterie. So auch die ATHENA-Collaboration - ein internationales Team aus 39 Wissenschaftlern von neun verschiedenen Institutionen, angesiedelt am Europäischen Zentrum für Nuklearforschung CERN.

Dem ATHENA-Forscherteam gelang nun erstmals die Herstellung größerer Mengen kalter Antimaterie - insgesamt rund 50.000 Antiwasserstoffatome seien bisher erzeugt worden. Ihre Ergebnisse stellen die Wissenschaftler im Fachmagazin "Nature" vor.
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"Production and detection of cold antihydrogen atoms"
Der Artikel "Production and detection of cold antihydrogen atoms" der CERN-Forscher ist als Vorab-Onlinepublikation in "Nature" erschienen und wird in einer der kommenden Print-Ausgaben des Magazins publiziert. CERN macht allen Interessierten den Originalartikel frei zugänglich.
->   Der Originalartikel (pdf)
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Was ist nach dem Urknall passiert?
Schon 1995 machte das Forschungszentrum CERN Schlagzeilen, als dort erstmals einzelne Antiwasserstoffatome erzeugt wurden. Das Ziel dieser Forschungen: Der Vergleich zwischen normaler Materie und Antimaterie soll offene Fragen klären, was unmittelbar nach dem Urknall passiert ist.

Sind nämlich Materie und Antimaterie bis ins letzte Detail exakt gleich, dürfte es unser Universum eigentlich gar nicht geben. Denn theoretisch sollte - kurz nach dem Urknall - gleich viel Materie und Antimaterie existiert haben, die sich anschließend gegenseitig ausgelöscht hätte.
Mehr Materie als Antimaterie im Universum
Heute jedoch existiert im Universum mehr Materie als Antimaterie - eine Tatsache, der wir unsere Existenz zu verdanken haben. Warum dies so ist, können Physiker bislang nur theoretisch erklären - anhand eines Phänomens, das "CP-Verletzung" genannt wird. Auch hier könnte der Erfolg des ATHENA-Experiments neue Aufschlüsse ermöglichen.
->   Mehr dazu in science.ORF.at
Es geht letztlich um den Test des so genannten Standardmodells der Elementarteilchen, das deren Verhalten und Interaktion beschreibt. Demnach verhalten sich Materie und Antimaterie spiegelbildlich, d.h. gleich - nachweisbar etwa am Vergleich normaler Wasserstoffatome mit Antiwasserstoffatomen.
Schwierige Herstellung von Antimaterie
Die Erzeugung von Antimaterie ist allerdings mit enormem Aufwand verbunden: Für die Herstellung von Antiwasserstoff laufen am CERN gleich mehrere Versuchsanordnungen.

Die Ingredienzien für den Antiwasserstoff, Anti-Protonen und Positronen (die positiv geladenen Gegenstücke zu den Elektronen), werden dazu getrennt hergestellt und anschließend vermischt.

Schon die kurzfristige Lagerung der Antiteilchen ist eine Herausforderung für die Wissenschaftler, denn wenn Antimaterie mit Materie in Berührung kommt, gibt es postwendend die völlige Vernichtung.
Elektromagnetische Felder verhindern Interaktion
Ein Anti-Proton zerstrahlt mit einem Proton, ein Positron mit einem Elektron zu reiner Energie. Daher können die Anti-Teilchen in der Umgebung von Materie ausschließlich in elektromagnetischen Feldern eingesperrt werden.

Nach der Herstellung im Beschleuniger bei höchsten Energien werden die Anti-Protonen (Wasserstoffkerne) im CERN-Experiment "ATHENA" soweit abgekühlt bzw. verlangsamt, dass eine Mischung mit den Positronen sinnvoll wird.
Anti-Wasserstoffatome entkommen aus der Falle
Wenn sich die Anti-Protonen und Positronen nach der Mischung in einer eigenen Falle zu Antiwasserstoff vereinigen, können sie von den elektromagnetischen Wänden nicht mehr gehalten werden.

Denn im Gegensatz zu den positiv geladenen Positronen und den negativ geladenen Anti-Protonen ist der Antiwasserstoff elektrisch neutral, die Atome entkommen daher aus der Falle.
Sofortige Zerstrahlung als Folge
Die Freiheit währt allerdings nur kurz, denn rund um die Falle sind Metall-Elektroden angebracht, an denen die Anti-Atome sofort zerstrahlen. Die Vernichtung passiert wieder einzeln, ein Anti-Proton zerstrahlt mit einem Proton und das Positron mit einem Elektron aus der Oberfläche des Metalls.

Dass dabei die beiden Energieblitze zur gleichen Zeit passieren, ist für die Wissenschafter ein weiteres Indiz, dass tatsächlich Anti-Wasserstoff entstanden war. Laut Berechnungen erzeugen die Physiker derzeit pro Durchgang des Experiments einige Tausend solcher Anti-Wasserstoffatome, bisher insgesamt 50.000.
Kritiker bezweifeln Ergebnisse
Es wurden allerdings bereits kritische Stimmen laut: Wie BBC Online meldet, hat der Sprecher einer anderen CERN-Forschergruppe die Ergebnisse angezweifelt und gibt sich skeptisch, ob in den Experimenten tatsächlich Antiwasserstoff produziert worden ist.
Mögliche Anwendungen von Antimaterie
Dennoch, die Antimaterie-Forschung hat "Hochkonjunktur". Denn nicht zuletzt versprechen sich Forscher auch direkte nutzbringende Anwendungsmöglichkeiten für die "andere" Materie - eine Idee ist etwa der Antimaterie-Antrieb für Raumschiffe, NASA-Experten träumen bereits von Reisen in andere Galaxien.

Denn tatsächlich setzt die gegenseitige Vernichtung von Materie und Antimaterie riesige Energiemengen frei, die jene bei der Kernspaltung freiwerdenden Kräfte bei weitem übertreffen. Ein Kilogramm Anti-Materie und ein Kilo Materie würden eine Energie freisetzen, die dem jährlichen Output von 500 Atomkraftwerken oder der Sprengkraft von 4.200 Megatonnen TNT entspricht.

Allerdings wurden pro Jahr bislang nur wenige Nanogramm hergestellt. Für einen Antrieb wäre ein Tausendfaches dieser Menge notwendig - selbst die nun erzeugten etwa 50.000 Antiwasserstoffatome reichen noch bei weitem nicht aus.
->   European Organization for Nuclear Research (CERN)
->   ATHENA-Collaboration
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Bewiesen: Mehr Materie als Antimaterie
->   Young Science: Materie und Antimaterie (ein Gastbeitrag in zwei Teilen)
->   Kleine Unterschiede zwischen Materie und Antimaterie
 
 
 
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01.01.2010