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Freediver tauchen wie die Wale  
  Bei 162 Metern liegt der aktuelle Weltrekord im Freediving, dem Extremtauchen ohne Atemgerät. Die Tauchzeit liegt bei rund vier Minuten - mit nur einem Atemzug. In Ruhe schaffen es Freediver gar, den Atem mehr als acht Minuten anzuhalten - ohne dass bleibende Schäden festzustellen wären. Wie das möglich ist, und wie die Taucher die extreme Druckbelastung in der Tiefe unbeschadet überstehen, war für die Medizin bis zuletzt ein ungelöstes Rätsel. Erst seit wenigen Jahren beschäftigt sich die seriöse Forschung mit diesen Phänomenen und kam zu überraschenden Ergebnissen: Freediver tauchen wie die Wale.  
Rekordhalter Moby Dick ...
Bei 3.000 Metern liegt der absolute Tiefenrekord für Säugetiere, gehalten von Pottwalen, die dabei ohne Konkurrenz sind. Diese Wale können beim Tauchgang den Sauerstoff für die lebenswichtigen Körperfunktionen und Organe reservieren.

Große Teile der Muskulatur werden nicht mehr durchblutet und mit Sauerstoff versorgt. Außerdem senken die Tiere die Herzfrequenz beim Tauchgang auf ein Minimum - auch das spart Luft.
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Druckbelastung, nur für Menschen problematisch
Kein Problem für die Wale ist die enorme Druckbelastung: Körperflüssigkeiten, Knochen und Gewebe sind kaum komprimierbar, der hohe Druck bedroht vor allem die Hohlräume im Körper - im besonderen die Lunge. Beim Wal kann die nicht von starren Rippen geschützte Lunge beim Tauchgang unbeschadet völlig kollabieren. Beim Menschen, ein Freediver muss bis zu 16 Atmosphären an Druckbelastung, das sind 16 Kilogramm pro Quadratzentimeter aushalten - verkleinert sich die Lunge zwar auch - im starren Brustkorb entsteht dadurch aber ein gewisser Unterdruck, der zu tödlichen Schäden führen kann.
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Atemtechnik aus Fernost
Der Mensch muss seine organischen Defizite gegenüber den tieftauchenden Säugetieren durch intensives Training ausgleichen, was freilich nur bis zu einem gewissen Maß möglich ist.

Die aktuellen Rekordhalter haben für ihre Atemtechnik Anleihen beim indischen Paranyama genommen. Dabei geht es um die Intensivierung der Bauchatmung und die bewusste Steuerung der Herzfrequenz durch Meditation.

So beginnt jeder Tauchgang mit einer längeren Phase der Konzentration: Dabei füllt der Taucher seine Lungen mit möglichst viel Sauerstoff. Das Fassungsvermögen der Sportlerlungen liegt weit über dem Durchschnitt: Bei einem deutschen Rekordtaucher wurde eine Lungenkapazität von 14 Litern gemessen, der Durchschnitt liegt bei fünf bis sechs Litern.
Der Vorstoß in die Tiefe
Mit dem Abtauchen setzt der Tauchreflex ein - die Herzfrequenz wird quasi automatisch weiter verlangsamt. Dieses Phänomen war ursprünglich nur bei Tieren bekannt, beim Menschen wurde der Reflex erst entdeckt, als sich die Wissenschaft mit Tauchern zu beschäftigen begann.

Die Extremtaucher müssen freilich auch hier durch Training nachhelfen. Sie schaffen es, die Pulsfrequenz auf sechs bis sieben Schläge zu reduzieren, und schalten so auf ein Sauerstoffprogramm, das minutenlange Tauchgänge ermöglich.
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Tauchreflex: Verlangsamung der Herztätigkeit
Dieser Reflex, der eine Verlangsamung der Herztätigkeit um sechs bis 15 Prozent auslöst, wurde zuerst 1870 von Paul Bert bei Enten entdeckt, Irving wies ihn 1941 auch beim Menschen nach. Die Bradycardie (langsamer Herzschlag) setzt beim Eintauchen des Gesichts in das Wasser ein. Gleichzeitig kommt es zu einer Verminderung der Durchblutung in beiden Unterarmen.

Je tiefer die Temperatur, desto ausgeprägter ist der Reflex. Die Rezeptoren liegen dabei vorwiegend im Mund- und Nasenbereich. Auch das Luftanhalten bewirkt bereits eine Herabsetzung der Herzfrequenz. Bei dieser Art der Bradycardie erfolgt die Auslösung über Dehnungsrezeptoren in der Thoraxmuskulatur. Beide Effekte, die aus der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Menschen herrühren, werden auch bei allen tauchenden Tieren beobachtet.
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Druckausgleich durch Blut
Beim Abtauchen werden die Lungen langsam, aber stetig komprimiert. Bei zehn Metern beträgt das Lungenvolumen nur noch 50 Prozent, bei 20 Metern nur mehr ein Drittel des ursprünglichen. Der Sauerstoffanteil im Blut nimmt langsam ab.

Ab einer Tiefe von 30 Metern beginnt der Druck in den Lungen negativ zu werden, da sie aufgrund der Verankerung der Rippen im Brustbein nicht weiter zusammengedrückt werden können.

Durch den "Bloodshift" wird Blut in die Lungen verlagert, um ein Lungenbarotrauma mit nachfolgendem Lungenödem zu verhindern. Durch den hohen Druck wandert Sauerstoff aus den Lungen verstärkt ins Blut. Atemnot wird der Taucher zu diesem Zeitpunkt nicht verspüren. Bei trainierten Freitauchern ist der Herzfrequenz auf sechs bis sieben Schläge pro Minute gesunken.
Problemstoff Kohlendioxid
Die Extremtaucher haben eine weitere Fähigkeit entwickelt. Sie zeigen sich weniger empfindlich gegen die Anreicherung des Blutes mit Kohlendioxid. Auch das ist eine Eigenschaft, die sie mit den Walen teilen.

Offenbar hat sich das Atemzentrum auf eine höhere CO2-Konzentration eingestellt. Der Körper speichert dieses Kohlendioxid dann im Gewebe. Nach dem Tauchen wird das CO2 abgeatmet.

So hat man nach dem Tauchgang ungewöhnlich hohe Kohlendioxidkonzentrationen beim Ausatmen gemessen. Bei untrainierten Tauchern kann es durch Sauerstoffmangel und Kohlenstoffanreicherung zum gefährlichen Flachwasserblackout kommen.
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Flachwasserblackout
Flachwasser-Blackout ist der plötzliche Verlust des Bewusstseins und tritt schnell und ohne Vorwarnung infolge von Sauerstoff-Verarmung im Blut auf. Die typische Tiefe liegt bei ca. fünf Metern während des Auftauchens. Der Grund hierfür ist in der schnellen Expansion der Lungen in diesem Bereich und dem damit verbundenen Abfall des Sauerstoff-Partialdrucks zu suchen.

Zwischen einer Tiefe von zehn Metern und der Oberfläche verdoppelt sich das Lungenvolumen und der Sauerstoffdruck fällt auf die Hälfte ab. Dies führt gleichzeitig zu einer Verringerung des Sauerstoffgehaltes im Blut, da Sauerstoff aus dem Blut zurück in die Alveolen diffundiert. Unter bestimmten Umständen sinkt die Sauerstoff-Konzentration unter die Blackout-Schwelle, was zur plötzlichen Bewusstlosigkeit führt und - da dies in der Regel unter der Wasseroberfläche geschieht - zum Tod durch Ertrinken.
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Wo ist die Grenze?
Während man noch vor 30 Jahren annahm, dass die maximale Tiefe für Freitaucher bei 50 Metern liegt, glauben jetzt die Experten, dass auch 200 Meter zu schaffen wären. Allerdings ist der letzte Rekordversuch eines deutschen Freedivers, der im Roten Meer die Bestmarke auf 165 Meter vortreiben wollte, gescheitert.

Den aktuellen Rekord muss sich der Kubanischen Routinier Pippin Ferrars übrigens mit einer jungen Frau teilen. Die Amerikanerin Tanya Streeter hat sich heuer 162 Meter in die Tiefe katapultiert.

Gerhard Roth, Modern Times
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Mehr dazu in der Sendung "Modern Times", am 27. September 2002, um 22.35 Uhr in ORF 2
->   Modern Times
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->   freediving.at
 
 
 
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01.01.2010