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Taxonomen als "Taufpaten" der Naturwissenschaft  
  Scherze, Wortspielereien, Bosheiten: Wenn es darum geht, neu entdeckte Arten zu benennen, kennt die Fantasie so mancher Wissenschaftler keine Grenzen. So finden sich heute in den Lehrbüchern der Biologen Spezies, deren wissenschaftliche Namen äußerst kurios anmuten - etwa "Aha ha", "Draculoides bramstokeri", "Strigiphilus garylarsoni" oder auch "Bufonaria borisbeckeri". Und dennoch, die Wissenschaft der Taxonomie folgt dabei strengen Regeln.  
Taxonomen - quasi die Taufpaten der Naturwissenschaften - sind ein eigenwilliges Volk. Den Großteil ihrer Karriere verbringen sie über ein Mikroskop gebeugt, wenn sie nicht gerade möglichst unzugängliche Lebensräume nach unbekannten Tier- und Pflanzenarten durchforsten.
Neue Namen für unbekannte Arten
Bestätigt sich ihr Fund als bis dato unbekannte Art, wird sie detailliert beschrieben und schließlich auf einen unaussprechlichen lateinischen Namen getauft. Meistens beschränken sich die pflichtbewussten Katalogisierer auf beschreibende Bezeichnungen: etwa longihorni (lange Antennen) oder megacephalus (mit großem Kopf).

Aber hin und wieder lässt sie ein wilder Impuls alle Fesseln der Konvention abschütteln. Dann wird ein harmloser Tintenfisch als Vampyroteuthis infernalis - als Vampirtintenfisch aus der Hölle - und eine unscheinbare Spinne als Draculoides bramstokeri in die Kartei eingetragen.
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Amouröse Verwirrungen von Taxonomen
Amouröse Verwirrungen inspirierten beispielsweise den englischen Entomologen George Kirkaldy, als er ganze Käfergattungen Peggichisme ("Peggy kiss me"), Polychisme, Dolichisme und schließlich mit Inbrunst Ochisme nannte. Ob sich die so generisch Angebeteten beeindruckt zeigten, ist nicht überliefert.

Im Gegensatz dazu ließ der amerikanische Schmetterlingsexperte Carl Heinrich die ganze Welt der Wissenschaft bis zum bitteren Ende an seiner Leidenschaft teilnehmen. 1923 nannte er eine Mottengattung Gretchena, um dann in den Artnamen seine traurige Geschichte zu erzählen: Gretchena delicatana (delikat), G. dulciana (süß), G. amatana (geliebt), G. concubitana (beisammen liegen) und G. deludana (falsch).
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Alte Richtlinien zur Benennung neuer Arten
Trotz gelegentlicher Gefühlsausbrüche ist die offizielle Benennung neuer Arten naturgemäß ein folgenschweres Unterfangen und das Regelwerk kompliziert genug, um 388 Seiten des Internationales Codes für Zoologische Nomenklatur zu füllen.

Aber die Richtlinien basieren nach wie vor auf dem wissenschaftlichen Klassifizierungssystem, das der schwedische Botaniker und Ordnungsfanatiker Carl von Linne vor 250 Jahren entwickelte. Sein erklärtes Ziel: die göttliche Ordnung der Natur auf Papier zu verewigen und dem damals vorherrschenden Chaos verwirrender Lokalnamen ein Ende zu bereiten.

Von nun an musste jede Tier- oder Pflanzenart zwei Namen tragen; einen Gattungsnamen, der die Gruppe identifizierte, zu der sie gehörte und einen hintangestellten Artnamen, der sie von anderen Mitgliedern derselben Gruppe unterschied.
Zur "Ehre" eines Kollegen
Während es unter Taxonomen als ungeschriebenes Gesetz gilt, eine neue Art niemals nach sich selber zu benennen, kann man immer noch darauf hoffen, dass einem Kollegen diese Ehre zukommen lassen.

Der Aufstieg in die Ränke wissenschaftlicher Unsterblichkeit kann sich jedoch als zweischneidiges Schwert herausstellen. Hin und wieder nutzen nämlich weniger wohlmeinende Zoologen die Gelegenheit, um ungeliebten Zeitgenossen eins auszuwischen.

Dinohyus hollandi ist eine kleine, ausgestorbene Art, die nach dem Schmetterlingsexperten und ehemaligen Direktor des Carnegie Museums in Pittsburgh, W. J. Holland, benannt wurde - in freier Übersetzung lautet der Name in etwa "Holland ist ein furchtbares Schwein".
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Ein Entomologe sammelt kuriose Namen
Ähnlich misanthrope Regungen bewegten vermutlich Arnold Menke, der mehrere hundert Arten benannte, als er einer Wespenart den abfälligen Namen Pison eu (englisch auszusprechen) verpasste. Meistens erheiterte er sich jedoch an komischen Kombinationen: der Genus Aha stammt von ihm, genauso wie die dazugehörige Spezies Aha ha.

"Die meisten Taxonomen nehmen ihre Wissenschaft sehr ernst und haben für solche Scherze nichts übrig", bedauert der mittlerweile pensionierte Entomologe Menke, der kuriose und lustige wissenschaftliche Namen sammelt und selbst stolz für zirka 30 Arten Pate stand.
->   Einige Beispiele aus der Sammlung Arnold Menkes
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Eine Eulenlaus namens Gary Larson
Jene Tierarten, für die die meisten Menschen liebend gerne als Namenspatron fungieren würden - farbenprächtige Vögel oder elegante Katzen - sind größtenteils leider schon vergeben. Was übrig bleibt, kreucht oder fleucht in aller Regel.

Kein Problem für Gary Larson, der mit eigenwilligen Tiercartoons berühmt wurde und seit kurzem seinen Namen mit der Eulenlaus Strigiphilus garylarsoni teilt.

"Ich betrachte es als eine extreme Ehre. Außerdem war mir immer klar, dass niemand anfragen würde, um eine neue Schwanenart nach mir zu benennen. Man muss die Gelegenheit ergreifen, wenn sie sich bietet", kommentierte er.
Die Dire Straits und der Masiakasaurier
Mehr Glück hatte Mark Knopfler, Sänger der Dire Straits. "Immer wenn wir Dire Straits im Steinbruch spielten, fanden wir Masiakasaurier, sobald wir etwas anderes spielten, fanden wir keine", stellte der Paläontologe Scott Sampson von der Universität Utah erstaunt fest.

Nur logisch, dass der Saurier die Erinnerung an diesen kuriosen Umstand in seinem Namen tragen sollte. Er wurde kurzerhand Masiakasaurus knopfleri getauft. Mark Knopfler war angeblich hocherfreut.
Namensgebung als Denkmal für Idole
Viele Tierarten verdanken ihre Namen schlicht ergebenen Fans, die ihren Idolen ein Denkmal setzen wollen. Ein Entomologe verewigte 1987 die Rockgruppe Grateful Dead in der Fliege Dicrotendipes thanatosgratos - griechisch "thanatos" für "dead" und lateinisch "gratos" für "grateful".
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Anophthalmus hitleri: Vom Austerben bedrohter Höhlenkäfer
Der 1933 beschriebene blinde Höhlenkäfer Anophthalmus hitleri, dessen Vorkommen sich auf wenige slowenische Höhlen beschränkt, ist sogar vom Aussterben bedroht, seit er in Neonazikreisen zum Sammelobjekt avancierte.

Wissenschaftler erwägen mittlerweile die Schließung der Höhlen oder auch eine Umbenennung. Aber ein ähnliches Unterfangen scheiterte bereits bei der fossilen Fliege Roechlingia hitleri. Unbelastet von solchen Kontroversen, fristen die Wespe Mozartella beethoveni und die Motte Leonardo davincii sowie die Zikaden Baeturia laureli und B. hardyi ihr Leben ungestört.
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Kein Mangel an neuen Arten
An neu entdeckten Arten, die benannt werden wollen, mangelt es nicht. Biologen vermuten, dass überhaupt erst ein Zehntel aller Arten dieses Planeten bekannt ist. Trotzdem sind Taxonomen eine aussterbende Gattung, denn Studenten und Geld strömen zur glamouröseren Molekularbiologie.
Patenschaft und Namensgebung
Deshalb hat sich der Verein Biopat, der sich für den Erhalt der biologischen Vielfalt einsetzt, etwas Besonderes einfallen lassen. Gegen eine Spende können Interessierte die Patenschaft für eine neu entdeckte Art übernehmen und erwerben damit gleichzeitig das Privileg, die Art zu benennen.

Boris Beckers Patenkind ist eine Schnecke, die seither als Bufonaria borisbeckeri über den Meeresboden kriecht. Zurzeit steht zum Beispiel ein bananenliebender Gecko aus Neukaledonien zur Adoption bereit. Schon bald könnte er Gehyra universummagazinorum heißen.

Gina Kirchweger, Universum Magazin

Mehr zu Wortspielereien in der Wissenschaft lesen Sie im Universum Magazin (10/02)
->   Universum Magazin
->   BIOPAT - Patenschaften für biologische Vielfalt
->   International Commission on Zoological Nomenclature
->   Sämtliche Artennamen zu finden in www.all-species.org
 
 
 
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01.01.2010