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Kryptozoologie: Am Rand der Wissenschaft  
  Yeti, Bigfoot, das Ungeheuer von Loch Ness u.a. sind die Objekte der Begierde von Kryptozoologen. Am Rande und jenseits der institutionalisierten Tierkunde arbeitend, haben sie diese in den vergangenen Jahrhunderten dennoch entscheidend bereichert.  
Bereits alle Tierarten erfasst?
Carl von Linné (1707-1778), dessen Nomenklatur der Tierarten Biologie und Zoologie als wissenschaftliche Disziplinen erst ermöglichte, war noch ziemlich sicher, dass die Welt der möglichen Lebewesen begrenzt sei: "Es gibt so viele Spezies als ursprünglich erschaffen wurden", heißt es schlicht in der ersten Ausgabe der systema naturae (1735).

In diesem Sinne war die zoologische scientific community bereits Anfang des 19. Jahrhunderts überzeugt, alle existierenden Tierarten vollständig erfasst und beschrieben zu haben.
Kryptozoologie: jenseits der Wissenschaft

"Bigfoot" oder "Sasquatch", der mysteriöse US-Gorilla.
Eine Überzeugung, die von Kryptozoologen (kryptos gr. - versteckt) seitdem notorisch angezweifelt wird - mit einigem Erfolg: In den letzten zweihundert Jahren wurden etwa 1.500 weitere Tierarten entdeckt. Die Kryptozoologie bedient sich dabei jener Methoden, die die offizielle Zoologie mit ihrer Wissenschaftswerdung abgelegt hat: Sie vertraut auf den Wahrheitsgehalt volkstümlicher Legenden, auf Augenzeugenberichte von Weltenbummlern, Abenteurern und Touristen oder sie geht, wie beim Yeti, noch den flüchtigsten Spuren im Schnee nach.
->   Mehr zu Kryptozoologie
->   Überblick über die wichtigsten Forschungsobjekte der Kryptozoologie
Oral History
Der zentralafrikanische König Rumanika erzählte 1860 dem Entdecker der Nilquellen John Speke eine unglaubliche Legende aus den Virunga-Bergen: Dort lebten riesige behaarte Monster, die einheimische Frauen raubten, um sie zu Tode zu quetschen. Eine Phantasie?

Oskar von Beringe erlegte 1902 gleich mehrere dieser Ungeheuer: Heute kennen wir sie als "sanfte Riesen" - Berggorillas. Ebenso fraglos existierte für die Fischer und Perlentaucher der Sunda-Inseln ein riesiger menschenverschlingender Drache, boeaja-darat. 1912 konnte man des Fabelwesens habhaft werden und es als varanus komodoensis, Komodowaran, in die Systematik der Zoologie einfügen.

 
Es gibt eine Vielzahl solcher in Wahrheit überführten Mythen: So lebten auch Okapi, Riemenfisch und der erst 1993 in Vietnam entdeckte Spindelbock zunächst nur in der mündlichen Überlieferung.
Eine ewige Parawissenschaft
Sobald der Mythos jedoch wahr wird, das Ungeheuer in der binären Nomenklatur der exakten Wissenschaft seine Ungeheuerlichkeit eingebüßt hat, ist es für die Kryptozoologie verloren.

Dementsprechend beschreibt ihr Gründervater, der französische Zoologe Bernhard Heuvelmans, ihre Objekte als "Wesen, die es fast nicht gibt".
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Der heute 85jährige ist Präsident der Internationalen Gesellschaft für Kryptozoologie (ISC) und hat alle erdenklichen Spuren dieser "fast nicht existierenden Wesen" gesammelt und katalogisiert: In dieser umfangreichen Sammlung, die er 1999 dem Lausanner Museum für Zoologie schenkte, finden sich mehr oder weniger deutliche Fotografien, Gemälde, Zeichnungen, Karten, Augenzeugenberichte, Skelette, Schädel, Kot und unzählige Fußabdrücke in Gips. Allesamt Indizien für die mögliche Existenz von Yetis, Almas, Bigfoots, tasmanischen Beutelwölfen, Riesenfaultieren, Todeswürmern oder gar der berühmten schottischen Nessie.
->   Die "offizielle Website" des Ungeheuers von Loch Ness
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->   Livebilder vom schottischen See
Nichts für echte Naturwissenschaftler
Das prinzipielle Beharren der Kryptozoologen auf der möglichen Existenz solcher Ungeheuer bringt gestandene Zoologen wohl eher zum Schmunzeln: Die körnigen Fotographien, schlechten Gipsabdrücke und wundersamen Geschichten misslungener Yetiverfolgungen, oft genug die kümmerliche Ausbeute einer jahrelanger Suche, vertragen sich schlecht mit den exakten Methoden der Naturwissenschaft.

Obschon die ISC viele Biologen, Zoologen und Anthropologen zu ihren Mitgliedern zählt und somit durchaus nicht der wissenschaftlichen Anerkennung entbehrt, ist es deshalb eines ihrer Ziele "logische, objektive und wissenschaftliche Methoden in die Kryptozoologie einzuführen".
->   Gesellschaft für Kryptozoologie
Mit Geduld und Spucke
So unerschöpflich und zahlreich die Quellen kryptozoologischer Vermutung auch sind: Der Weg in die Wissenschaft über den Beweis ist steinig und kann nur mit kriminologischem Spürsinn und Ausdauer beschritten werden.

Die englische Journalistin Deborah Martyr stellt ihre Zähigkeit seit fünf Jahren im Kerinci-Seblat-Nationalpark unter Beweis, wo sie nach den legendären Orang-Pendek, den "kurzen Menschen" Sumatras fahndet. Sie befragt Einheimische, sammelt Augenzeugenberichte und versucht durch automatische Fotofallen ein Bild der 1,20 m großen Wesen mit schwarzem Haar zu erhaschen - dies jedoch ist ihr bisher nicht gelungen, obwohl sie die Wesen bereits mit eigenen Augen gesehen haben will.
Übelriechendes Riesenfaultier?
 
Historische Zeichnung eines Riesenfaultiers


Immer wieder fallen die Kryptozoologen der Tücke ihres Objekts anheim, denn dieses ist naturgemäß nicht nur scheu, sondern mitunter auch übelriechend: 1985 erschoss der Biologe David Oren einen zwei Meter großen und 300 Kilo schweren Mapinguari im südamerikanischen Regenwald, woraufhin sich ein derart fürchterlicher Gestank breit gemacht habe, das Oren nur noch angewidert die Flucht ergreifen konnte. Es sei ihm aufgrund des Gestanks auch nicht möglich gewesen, eine abgeschnittene Tatze des Tieres, ein Riesenfaultier, mitzunehmen.
->   Mehr über das Riesenfaultier, den "Yeti Amazoniens"
->   Sonderausstellung des Zoologischen Museums Zürich: "Das Riesenfaultier und seine Verwandten"
Westliches Wahrheitsverständnis
Derartige Widrigkeiten können einem erspart bleiben, wenn man wie Reinhold Messner die Frage der Existenz oder Nicht-Existenz des Yeti zu einer des westlichen Wahrheitsverständnisses erklärt.

Für die Bewohner des Himalaja ist der Yeti Realität, schreibt er: "Er manifestierte sich in der Phantasie der Sherpa immer als Summe von Legende und Wirklichkeit: Er war Schneemensch und Dämon zugleich, die Summe aus Erzähltem, Gesehenem und Gefürchtetem."

Cathren Müller, science.ORF.at
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Buchtipp:
Lothar Frenz, Riesenkraken und Tigerwölfe. Auf der Spur mysteriöser Tiere, Berlin 2000 (Rowohlt Berlin, ISBN 3-871343900, geb., 249 Seiten, DM 29,80,-)
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01.01.2010