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Die lernende Organisation: Überpüfung eines Leitbildes  
  Eine ständig wachsende Informationsflut droht uns heute beruflich und privat zu überschwemmen. Das führt zur forcierten Suche nach so genannten Wissensmanagementsystemen. Diese sollen nicht nur die Informationen im Vorfeld nach unseren Bedürfnissen auswählen. Wichtige Fakten sollen so abgespeichert werden, dass sie jederzeit leicht und vor allem schnell wieder gefunden werden können. Effektives Wissensmanagement ist auch der Schlüsselfaktor für das Leitbild der "lernenden Organisation", wie eine neue Untersuchung belegt. Die Autoren Helmut Kasper und Jürgen Mühlbacher von der WU-Wien zeigen in ihrem Gastbeitrag für science.ORF.at, dass "lernende Organisationen" in der Unternehmenskultur derzeit aber noch eher "Wunschbilder" als echte Leitbilder sind.  
Auf der Suche nach lernenden Organisationen
von Helmut Kasper und Jürgen Mühlbacher

In Unternehmen wird das Lernen und der Umgang mit der neuen Ressource "Wissen" als strategischer Wettbewerbsvorteil immer häufiger zur "Chefsache" erklärt. TopmanagerInnen beschäftigen eigens angestellte WissensmanagerInnen oder investieren hohe Eurobeträge in den Aufbau so genannter Wissensdatenbanken.

Dabei wird all zu oft übersehen, dass sich Information nicht wie jede andere Ressource verwalten lässt. So vermehrt sich beispielsweise Wissen nur dann, wenn man es teilt. Gleichzeitig behalten MitarbeiterInnen jedoch - misstrauisch - ihre mühsam gesammelten Erfahrungen für sich. Und in den meisten Betrieben gilt noch immer der Grundsatz: "Wissen ist Macht."
Lernen als Null-Summen-Spiel?
Wie kann man nun Unternehmen das Lernen beibringen, wenn doch schon in unseren Schulen gelehrt wird, dass es bessere und schlechtere Schüler gibt, ja geben muss, und man für sich, aber nicht für Andere lerne? So wird das Lernen in Organisationen konsequenterweise als Null-Summen-Spiel inszeniert, bei dem der Gewinn des Einen den Verlust des Anderen darstellt.
Positives Lernklima
In Abwandlung eines Kinderspiels ausgedrückt lautet die Devise: "Ich weiß, ich weiß, was Du nicht weißt!" Umso mehr spielt die Schaffung eines positiven Lernklimas gerade im Betrieb eine wesentliche Rolle. Dieses setzt sich aus der potenziellen Lernbereitschaft und dem Umgang mit Wissen zusammen.

Während Ersteres darüber Auskunft gibt, ob man sich in einem bestimmten Unternehmen überhaupt mit der Thematik "Wissen" auseinandersetzt, oder es lieber vorzieht nicht-wissend zu bleiben, zeigt Zweiteres auf, ob man es geschafft hat, eine gemeinsame Basis des Verstehens zu finden, oder ob man immer noch aneinander vorbeiredet und sich so bewusst oder unbewusst missversteht.
Typologie lernender Organisationen
 


1. Lernunwillige Organisation
Wenn in einem Unternehmen weder Wissen dokumentiert wird, noch eine gemeinsame Verständigungsbasis vorherrscht, handelt es sich um eine lernunwillige Organisation.

Hier werden lediglich die gesetzlich (z. B. Buchhaltung) oder technisch notwendigen Daten (z. B. computergesteuerte Fertigung) aufgezeichnet. Solche Strukturen findet man heute nur noch bei einigen wenigen Monopolisten.
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Projektteams ohne Absprache: Längere Arbeitszeiten
Bei unserer Untersuchung stießen wir beispielsweise auf einen weltweit agierenden Technologiekonzern, der seine Produkte speziell Bedürfnissen seiner Kunden anpasst und so nur geringer Konkurrenz ausgesetzt ist. Zur Adaptierung der Produkte setzt man dort mehrere Projektteams gleichzeitig ein. Leider sprechen sich diese Teams, die sich um Produktentwicklung, Installation oder Wartung kümmern, nicht untereinander ab und dokumentieren nur jenes Wissen, dass man für die Erstellung eines Bedienungshandbuches benötigt. Oft entstehen dadurch längere Arbeitszeiten, weil erst nachvollzogen werden muss, was am ursprünglichen System verändert wurde.
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2. Politisierende Organisationen
Politisierende Organisationen unterscheiden sich von lernunwilligen vor allem durch die hohe Bedeutung, die dem Wissen zugeschrieben wird. Der ständige Vergleich von Leistungen und Wissen führt zu einem ausgesprochenen Konkurrenzverhalten, schürt Ängste und verhindert interne Kooperationen.

Es entsteht ein Klima des Misstrauens und Verschweigens. Fehler werden vertuscht, anstatt die dahinter liegenden Probleme aufzuzeigen. Dieses Verhalten ist überall dort zu finden, wo individuelles Wissen das eigentliche Kapital der MitarbeiterInnen darstellt, beispielsweise im Vertrieb oder in wissensintensiven Beratungsberufen.
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Wie interne "Konkurrenz" auch schaden kann
In einem anderen untersuchten Unternehmen konkurrieren die Entwicklungs- und die Produktionsabteilung um Aufträge am Markt. Während den EntwicklerInnen sehr oft das Wissen um aktuelle Produktionsprozesse fehlt und sie so auch Entwürfe anfertigten, die gar nicht im Unternehmen produziert werden können, ist die Produktionsabteilung meist zu wenig kreativ und innovativ, um die Wünsche der Kunden befriedigen zu können.
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3. Lernfähige Organisation
Erst wenn eine gemeinsame Verständigungsbasis gefunden wurde, kann ein lernfähiges Unternehmen entstehen. Um den Sprung zur lernenden Organisation zu schaffen fehlt jedoch noch ein gemeinsamer Wissensspeicher, wie ihn z. B. Datenbanken und Wissensmanagementsysteme darstellen, in denen wichtige Informationen ausgewählt, bewertet und aufbewahrt werden.

Hierzu bedarf es auch einer höheren Fehler- und Zeittoleranz, da Lernen nicht nur Zeit kostet sondern - zumindest zu Beginn - auch Fehler auftreten. Schließlich will auch Lernen gelernt sein.
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Moderatoren im eigenen Bereich
In einem dritten Unternehmen unseres Samples setzte man daher auf die Ausbildung von Moderatoren im eigenen Bereich und schuf so eine Basis, das gesamte im Betrieb vorhandene Wissen zu sammeln, zu bewerten und dann in Workshops gemeinsam abzustimmen.

Derzeit entwickelt man dort eine EDV-Lösung, durch die dieses Wissen gespeichert und für die MitarbeiterInnen auch abrufbar sein soll. Es fehlt hier nur noch der Aufbau einer gemeinsam genutzten Datenbank, um den Sprung zur lernenden Organisation zu schaffen.
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4. Lernende Organisation
Lernende Organisationen zeichnen sich schlussendlich durch das Vorhandensein eines Wissensspeichers und einer gemeinsamen Verständigungsbasis aus.

Hier werden Informationen nicht nur aus externen und internen Quellen gesammelt und für den internen Gebrauch ausgewertet, sondern durch die Verknüpfung mit vorhandenen Erfahrungen zu neuen Erkenntnissen umgewandelt.
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Eine lernende Organisation ist kreativ
Deshalb ist eine lernende Organisation immer auch eine kreative Organisation. Solche Unternehmen sind vor allem serviceorientiert und nutzen innovative Technologien, um den Kundennutzen ihrer Produkte ständig zu erhöhen. Rasches Feedback und ein flexibles Management sind hierbei die Hauptkomponenten des Erfolgs.
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Nur wenige lernende Organisationen wurden gefunden
Die Suche nach lernenden Organisationen bleibt spannend: Abgesehen von einigen wenigen Vorzeigemodellen aus dem Bereich international tätiger Großunternehmen konnten nur wenige lernende Organisationen gefunden werden. Das hält jedoch viele Organisationen - in maßloser Selbstüberschätzung - nicht davon ab, sich als höchst lernwillig einzustufen.

Tatsächlich klaffen Selbstbild und Fremdeinschätzung weit auseinander. Eine flächendeckende Umsetzung des Konzepts lernender Organisationen scheint noch weit entfernt.
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Gastbeitrag und WU-Jahrestagung
Helmut Kasper leitet die Abteilung für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre - Personal, Führung, Organisation der WU Wien. Jürgen Mühlbacher ist als Universitätsassistent an dieser Abteilung tätig.

Die detaillierten Ergebnisse der Studie von Helmut Kasper und Jürgen Mühlbacher werden am 6. November im Rahmen der WU-Jahrestagung 2002 präsentiert. Die Tagung ist öffentlich zugänglich.
->   Informationen und Anmeldung zur WU-Jahrestagung
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Weitere Beiträge zur WU-Jahrestagung in science.ORF.at:
->   Arnold Schuh: Globalisierung als Diffusionsprozess
->   Gunter Maier: Migration in Österreich
->   Helmut Kasper und Angela Schmidt: Führungskräfte im Spannungsfeld zwischen Beruf und Privatleben
->   Gustav Neumann und Bernd Simon: E-Learning - Hype oder Evolution des Lernens?
 
 
 
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01.01.2010