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Antimaterie: Ein erster Blick in die Gegenwelt  
  Erstmals ist es einem internationalen Forscher-Team am europäischen Teilchenphysik-Zentrum CERN gelungen, einen Blick in das Innere von Antiwasserstoff-Atomen zu werfen. Die Wissenschaftler sind seit kurzem in der Lage, pro Stunde mehr Antimaterie-Bausteine zu erzeugen als jemals zuvor nachgewiesen wurden. In einer Veröffentlichung berichten sie von mehr als 1.400 kalten Antiwasserstoff-Atomen - ein erster Schritt in die unerforschte "Gegenwelt" der Antimaterie.  
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"Background-Free Observation of Cold Antihydrogen"
Die Studie "Background-Free Observation of Cold Antihydrogen with Field-Ionization Analysis of Its States" von
Gerald Gabrielse und Mitarbeitern erschien in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Physical Review Letters".
->   Physical Review Letters
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Wasserstoff und Anti-Wasserstoff
Wasserstoff ist das einfachste Atom und besteht aus einem Elektron und einem Proton. Der Antimaterie-Partner des Protons ist das Antiproton, der des Elektrons das Positron. Aus diesen Antimaterie-Bausteinen setzt sich das Antiwasserstoff-Atom zusammen.

Die elementaren Teilchen und ihre entsprechenden Antiteilchen haben dieselbe Masse und dieselbe Ladung, aber ein entgegengesetztes Ladungsvorzeichen. Wenn ein Teilchen mit seinem Antiteilchen zusammenstößt, vernichten sie sich gegenseitig. Dabei wird die Energie freigesetzt, die der Masse entspricht.

 
Bild: National Science Foundation

Wasserstoff und dessen "Spiegelbild" aus der Welt der Anti-Materie.
Theorie: Keine Unterschiede vorhergesagt
Die gegenwärtig akzeptierte Theorie besagt, dass das Antiwasserstoff-Atom und das gewöhnliche Wasserstoff-Atom identische Eigenschaften haben. Diese Vorhersage wurde allerdings noch nie experimentell überprüft.

Neuere Modelle lassen geringe Unterschiede zwischen Antiwasserstoff und Wasserstoff zu. Die Aufklärung dieser wichtigen Frage wird ein zentraler Bestandteil der zukünftigen Untersuchungen sein.

Die nun vorgestellten Forschungsergebnisse sind Teil der ATRAP-Kollaboration am europäischen Teilchenphysik-Zentrum CERN in der Nähe von Genf.
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Die ATRAP-Kollaboration
Dort arbeiten Wissenschaftler der Harvard-Universität, des Forschungszentrums Jülich, des CERN, des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München und der York-Universität in Toronto zusammen. Im Lauf des Jahres hat die ATRAP-Kollaboration mehrere Methoden zur Erzeugung von Antiwasserstoff geprüft, um optimale Voraussetzungen für physikalische Untersuchungen dieses Atoms zu schaffen.
->   Mehr zu ATRAP
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Antimaterie in "großen Mengen" hergestellt
Inzwischen können die Forscher pro Stunde nicht nur mehr Antiwasserstoff-Atome erzeugen als jemals zuvor nachgewiesen wurden - es ist ihnen sogar gelungen, erstmals einen flüchtigen Blick in das Innere jener Atome zu werfen, die ganz aus Antimaterie bestehen.

Die Temperatur der erzeugten Antiwasserstoff-Atome lag dabei nur wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt (minus 273 Grad Celsius). Walter Olert, Mitglied des Forschungsteams, erläuterte gegenüber der BBC die Vorteile von "kalten" Anti-Teilchen:

"Im Jahr 1996 hatten wir bereits einige Anti-Wasserstoffatome hergestellt, doch diese hatten eine Temperatur, die dem 100.000-Fachen jener des Sonneninneren entspricht. Dass diese Temperatur zu hoch für weitere Experimente ist, kann man sich vorstellen", so Oelert'.
"Kalte" Anti-Atome
Die Temperatur in der Nähe des Nullpunktes reicht hingegen fast aus, um die Antiatome in Magnetfeldern für Präzisionsmessungen genügend lange zu speichern. Dies wird wiederum Laserexperimente erlauben, die winzige Unterschiede zwischen Antiwasserstoff und Wasserstoff offenbaren könnten.

Mit solchen Messungen lassen sich grundlegende Theorien prüfen und vielleicht sogar das Rätsel lösen, warum unser Universum ausschließlich aus Materie besteht und nichts auf die Existenz einer Welt aus Antimaterie hindeutet.
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Die Untersuchungsmethode
Die Grundidee der angewandten Untersuchungsmethode ist einfach: Wenn man ein Antiwasserstoff-Atom zwischen die beiden Pole einer Batterie bringt, wird die positive Ladung des Positrons zum negativen Pol gezogen, während die negative Ladung des Antiprotons vom positiven Pol der Batterie angezogen wird. Ist die Batteriespannung groß genug, zerbirst das Atom. Die quantenmechanischen Zustände der Atome unterscheiden sich in dem mittleren Abstand von Antiproton und Positron. Sie verraten dem Physiker wichtige Details über die Struktur des Antiwasserstoffs.
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Novum: Keine Störsignale
Indem sie die Antiwasserstoff-Atome in der beschriebenen Weise zerlegen, können die ATRAP-Wissenschaftler Störsignale beim Nachweis der Antiatome vollkommen unterdrücken - eine Methode, die so niemals zuvor angewandt wurde.

Bei herkömmlichen Experimenten entstehen typischerweise Störereignisse, die nicht von echten Antiwasserstoff-Signalen unterschieden werden können.

Dies erlaubte lediglich eine Abschätzung des Mittelwerts der falschen Ereignisse. Einzelne Signale können nicht "wahr" oder "falsch" zugeordnet werden. In dem jetzt erreichten störungsfreien Nachweis dagegen ist jedes beobachtete Antiwasserstoff-Signal "echt".
Welt und Gegenwelt sind gleich - bisher
Erste Messungen weisen nicht darauf hin, dass sich Wasserstoff und dessen Gegenstück unterscheiden würden, meint Studienleiter Gerald Gabrielse. Um substanzielle Unterschiede festzustellen, seien allerdings Messung an Anti-Atomen in "normaleren" Zuständen notwendig, wie Gabrielse betont.

Die Ergebnisse der ATRAP-Kollaboration können auch als "Antwort" auf eine frühere Publikation verstanden werden, die im Rahmen der so genannten ATHENA-Kollaboration (ebenfalls CERN) publiziert worden war. Damals war sogar von 50.000 Antimaterieteilchen berichtet worden, manche Experten - darunter Gabrielse - hatten die Validität der Ergebnisse jedoch in Zweifel gezogen.

Siehe hierzu: Erstmals große Mengen an Antimaterie erzeugt
->   European Organization for Nuclear Research (CERN)
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Bewiesen: Mehr Materie als Antimaterie
->   Young Science: Materie und Antimaterie, Teil 1
->   Young Science: Materie und Antimaterie, Teil 2
 
 
 
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01.01.2010