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Kommunistische Regional-Zeitungen nach 1945  
  Auch als die politische Unterstützung durch die WählerInnen versiegte, erzielten kommunistische Wochenzeitungen in der Zweiten Republik Erfolge. Die publizistische Vergangenheit kommunistischer Regionalzeitungen in Niederösterreich erforscht Roland Graf in seinem Beitrag "Anachronism or a Sting in the Flesh" im Uni-Portal www. mnemopol.net. science.ORF.at. stellt den Beitrag in einer Rezension vor.  
Für eine Minderheit verfasst, die Mehrheit erreicht
Rezensiert von Johannes Högl, mnemopol.net

Schon der erste öffentliche Auftritt nach Gründung der KPÖ betraf eine Zeitung: Es wurde versucht, die Kontrolle über die damalige "Neue Freie Presse" (heute: "Die Presse") zu erlangen.

1945 wurde das für die damaligen Verhältnisse modernst ausgestattete Verlagshaus "Globus" gegründet, welches das Zentralorgan "Österreichische Volksstimme" herausgab. Anfangs waren auch große Unternehmen wie Persil oder die Bundesbahnen Kunden, die auf sichere Versorgung mit dem damals raren Rohmaterial Papier durch das pro-sowjetische Management hofften.
Niederösterreichische Regionalzeitungen und linke Politik
Die Niederösterreichischen Regionalzeitungen wurden im Verbund des "Ring niederösterreichischer Wochenzeitungen", kurz "Ring" genannt, organisiert. Die sozioökonomische Struktur Niederösterreichs, speziell in und um das industrielle Wiener Neustadt, war besonders empfänglich für linke Politik.

Dies zeigte sich auch im hier gestarteten Generalstreik von 1918 und dem von manchen als Staatsstreich gedeuteten Oktoberstreik 1950. Die KPÖ verlor in den Nachkriegsjahren deutlich an Stimmen, die regionalen Tageszeitungen wurden in den 50ern eingestellt. Übrig blieben die Wochenzeitungen in Niederösterreich, unter anderen die "Wiener Neustädter Nachrichten" (WNN).
Politiker als "parteifreie" Publizisten
Die Zeitungen wurden von lokalen KP-Politikern geführt, die gleichzeitig als Redakteure auftraten. Diese stellten neue Wege der Distribution vor: Parteigenossen und einfache Arbeiter verkauften diese bei Touren von Tür zu Tür.

Die Zeitungen vertraten strikt die Anliegen der Arbeiterschaft und starteten konzertierte, wochenlange Kampagnen, um Politiker unter Zugzwang zu setzen. Herausgeber der WNN war die KPÖ, als rein kommunistisches Wochenblatt sah man sich aber nicht.

Mann wolle zwar die Klassengegensätze sichtbar machen, aber "keinesfalls in Form eines offiziellen Parteiorgans", so einer der damaligen Herausgeber.
Prager Frühling zeigte Doppelgleisigkeit auf
Schwierigkeiten mit dieser Doppelgleisigkeit traten erstmals während des Prager Frühlings 1968 zutage, als führende österreichische KP-Funktionäre die Partei und viele Journalisten die "Volksstimme" verließen.

Einerseits übernahm man in den WNN offizielle Meldungen, die gegen die Sowjet-Invasion Stellung nahmen, andererseits wurden große Reportagen über den folgenden KP-Parteikongress gebracht. Direkt waren Kommunisten auch davor nur als Lokalpolitiker oder in der Internationalen Berichterstattung präsent.
Busen und Bomben - am "linken Boulevard" zum Erfolg
Der "linke Boulevard", wie ihn der langjährige Chefredakteur Erich Sameck selbst charakterisierte, nahm es einerseits mit den Reichen und Mächtigen auf, bediente sich aber auch anderorts bekannter Strategien:

Die Seite der internationalen Berichte wurde zur Freude der männlichen Leserschaft immer mit einem Porträt einer bekannten Schauspielerin gepaart. So fand sich Gina Lollobrigida im Badeanzug neben dem Bombardement von Hanoi wieder.
Ein modernes Image
Nachdem man sich in den 50ern noch mit Titeln wie "Senkt den Brotpreis" an den "kleinen Mann" gewandt hatte, war dieser in den darauf folgenden Jahrzehnten versorgt. Man modernisierte das Image und wandte sich auch jüngerem Zielpublikum zu.

Wöchentliche Hitparaden und Umfragen ("Sind Jungfrauen noch gefragt?") wurden zum fixen Bestandteil der WNN. Mit Erfolg: Bei einer Umfrage deklarierten sich 56 Prozent der Wiener Neustädter als LeserInnen.
Der Erfolg in Zahlen
Mit dem Beginn der Media Analyse 1988 wurde die Strategie bestätigt: 1988 hatte der "Ring" 155 Tausend LeserInnen, was 2,5 Prozent der österreichischen Bevölkerung entsprach.

Walter Zimper, ÖVP-Politiker und selbst Regionalzeitungsherausgeber, zollte in einem Interview dem erfolgreichen Sameck Tribut: "Er schaffte das Kunststück, für eine politische Minderheit zu schreiben und die Mehrheit der Leser auf sich zu vereinen".
Vom "Female-Mud-Wrestling" zur frommen Übernahme
Die spätere Trennung zwischen Parteikomitees und Zeitung führten jedoch zu Spannungen. Nach einem als frauenverachtend empfundenen "Mudwrestling"-Cover kam es 1990 zu massiven Protesten.

Die WNN uerden repolitisiert, die Auflage brach weiter ein. Gleichzeitig hatte der Globus-Verlag seit dem Zusammenbruch der COMECON und damit verbundenen Verträgen mit wirtschaftlichen Einbußen zu kämpfen.
Ein langsamer aber stetiger Abstieg
1992 erfolgte die Neugründung in Form der Niederösterreichischen Rundschau, die zur neuen Heimat für "rote" JournalistInnen wird. Kritik an der Blattlinie seitens der KP-Politiker fand sich nun in den Leserbriefen.

Der Abstieg endete 2000 überraschend mit einem Verkauf der Blätter an den Erzrivalen, die "Niederösterreichischen Nachrichten", welche sich zu 90 Prozentz im Besitz der katholischen Kirche befinden.
->   Der Beitrag auf www.mnemopol.net
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Der Autor
Mag. Roland Graf (Jahrgang 1972) studierte Philosophie, Latein, Psychologie und Pädagogik dzt. arbeitet der langjährige Lokaljournalist u. a. als Lehrbeauftragter (Semiotik der Medien bzw. Medienphilosophie) des Lehrgangs Medienmanagement an der FH St. Pölten sowie als Marketing-Verantwortlicher der ,"Civitas Nova" Wiener Neustadt. Aktuelle Publikationen: ,"The Persistence of Austria Motifs in Wittgenstein's Later Writings" in: Edward Timms/Jon Hughes (Hg.): Intellectual Migration and Cultural Transformation, Springer, Wien/New York, 2002
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01.01.2010