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Künstliche Hirnsignale verhindern Angstgefühle  
  Forscher haben im Gehirn von Ratten ein Signal entdeckt, dessen Funktion umgangssprachlich mit "Keine Angst!" beschrieben werden kann: Es hilft den Tieren, Angst einflößende Erinnerungen zu vergessen. Der Clou an dieser Studie: Die Wissenschaftler waren auch imstande, dieses Entwarnungssignal künstlich herzustellen und damit die betreffenden Hirnregionen zu reizen. Daraus erhofft man sich medizinische Anwendungen für Patienten, die unter gewissen traumatischen Störungen leiden.  
Mohammed R. Milad und Gregory J. Quirk von der Ponce School of Medicine in Puerto Rico ist im Rahmen einer neurologischen Studie an Ratten zweierlei gelungen:

Sie konnten zeigen, dass die Aktivität bestimmter Zellen in der Hirnregion des so genannten präfrontalen Cortex an das "Vergessen von Angst" gebunden ist. Diese Funktion konnte zudem durch künstliche elektrische Stimulationen ausgelöst werden.
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Neurons signal for fear extinction
Die Arbeit "Neurons in medial prefrontal cortex signal memory for fear extinction" von Mohammed R. Milad und Gregory J. Quirk erschien in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Nature" (Band 420, auf den Seiten 70 - 74).
->   Nature
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Pawlow - Pionier der Neurophysiologie
Der russische Physiologe Iwan Petrowitsch Pawlow erhielt im Jahr 1904 den Nobelpreis für Experimente über die Verdauung von Hunden, die ihm einen Platz in der Ehrengalerie der Biowissenschaften sicherten. Pawlow konnte zeigen, dass gewisse automatisierte Reaktionen, so genannte Reflexe, durch äußere Reize modulierbar sind.

So gelang es ihm etwa, den Speichelflussreflex von Hunden allein durch einen Glockenton auszulösen, obwohl dieser "natürlicherweise" nur durch das Fressen ausgelöst wird. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem "bedingten Reflex".
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Konditionierung: Der bedingte Reflex
Als "bedingten Reflex" bezeichnet man die Koppelung eines angeborenen, so genannten unbedingten Reflexes (z.B. Speichelfluss) mit einem Außenreiz (z.B. Glockenton vor dem Fressen). Die Überführung des unbedingten in den bedingten Reflex geschieht dann, wenn der Außenreiz den ursprünglichen Auslöser ersetzt, nachdem beide einige Male gleichzeitig präsentiert wurden und somit vom Nervensystem als "zusammengehörig" verrechnet wurden. Man bezeichnet diesen Vorgang auch als Konditionierung.
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Angst als bedingte Reaktion ...
Eine ähnliche Strategie verfolgten auch Mohammed R. Milad und Gregory J. Quirk. Statt eines Reflexes untersuchten sie eine Angstreaktion bei Ratten. Diese lösten sie aus, indem sie den Nagern einen elektrischen Schock verabreichten. Damit wurde ein Ton gekoppelt, der nach einer Konditionierung die Angstreaktion auch eigenständig auslösen konnte.
... und die Auslöschung der Konditionierung
Als Maß für die Ängstigung der Tier verwendeten die amerikanischen Forscher das körperliche Verhalten der Ratten - denn diese erstarren im wahrsten Sinne wenn sie von Angstgefühlen heimgesucht werden.

In einer weiteren Testphase wurden die solcherart konditionierten Ratten dem Hörsignal ausgesetzt - und zwar diesmal ohne den zuvor verabreichten Elektroschock. Daraufhin verblasste die Assoziation zwischen Ton und Schockerlebnis wieder. So weit entsprachen die Ergebnisse der bekannten Theorie der Konditionierung.
Das Signal: "Don't panic!"
Doch dabei beließen es die findigen Physiologen nicht: Während dieser Auslöschungsphase wurden Aktivitätsmessungen in der Hirnrinde der Nager vorgenommen.

Diese ergaben, dass Zellen des so genannten medialen präfrontalen Cortex ein Signal aussenden, das mit den Worten "Keine Angst!" umschrieben werden kann. Dieses Signal bedingt die Auslöschung (bzw. Überlagerung) der unangenehmen Verknüpfung von Ton und Schock.
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Präfrontaler Cortex
Der präfrontale Cortex empfaengt bereits vorbearbeitete visuelle (Sehen), auditorische (Hören) und somatosensorische (Körperwahrnehmung) Informationen und führt diese laufend in Hinblick auf die aktuelle Situation, in der sich der Mensch gerade befindet, zusammen. Dabei berücksichtigt diese Hirnregion auch den Zustand des limbischen Systems bezueglich der "inneren" Stimmung bzw. Befindlichkeit. Das limbische System ist wiederum mit der Bearbeitung von Emotionen befasst.
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Künstliches Signal hergestellt
Milad und Quirk wagten nun einen originellen Schritt: Sie konditionierten eine neue Testgruppe von Ratten und setzten dann die Zellen des präfrontalen Cortex einer künstlichen elektrischen Reizung aus.

Das Ergebnis: Auch diese Nager zeigten einen klaren Rückgang der Angstreaktion, wenn ihnen weiterhin der Ton präsentiert wurde. Die beiden Forscher bieten auch eine physiologische Erklärung für dieses Phänomen an:

Die Zellen des präfrontalen Cortex projizieren in die so genannte Amygdala - ein Zentrum, das für die Erinnerung an Furcht und Angst verantwortlich ist. Die künstliche Erregung der Zellen sollte nach Meinung der Forscher zu einer Hemmung der eingelernten Angstreaktion führen.
Medizin: Anwendung für Trauma-Patienten
Wie immer betrifft die interessanteste Frage solcher Tierstudien die potenzielle Anwendbarkeit auf den Menschen. Die beiden Forscher sind diesbezüglich optimistisch:

Sie meinen, dass mittels einer bestimmten Technik ("transcraniale magnetische Stimulation") ähnliche Effekte auch am Menschen ausgelöst werden könnten. Dies sollte Patienten zur Bewältigung von so genannten posttraumatischen Belastungsstörungen verhelfen - und zwar ohne die Einnahme von Medikamenten.
Mehr über Angst in science.ORF.at:
->   Panikattacken - das schrecklichste Gesicht der Angst
->   Die Angst und das Serotonin
->   Gegen Angst kann man sich nicht wehren
 
 
 
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01.01.2010