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Im hohen Alter sinken die Gesundheitskosten  
  Die steigende Lebenserwartung und niedrige Geburtenraten machen die Finanzierung der Gesundheitssysteme in Zukunft immer schwieriger - so lautet ein gesundheitsökonomischer Gemeinplatz. Doch dass diese Entwicklung nicht zwangsläufig zu mehr Kosten führen muss, beweist nun eine deutsche Studie. Sie zeigt, dass Senioren meist weniger kostenintensive Therapien wahrnehmen als jüngere Menschen, die an der gleichen Krankheit leiden. Österreichische Forschungen weisen in eine ähnliche Richtung.  
Die auf den ersten Blick paradoxe Schlussfolgerung lässt sich aus einer Analyse der Krankenhausdaten von über 430.000 Patienten in zwei deutschen Bundesländern ziehen, die Hilke Brockmann vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock durchführte.

Jürgen Himmelbauer, Geschäftsführer des Instituts für Gesundheitsplanung in Linz, unterstrich gegenüber science.ORF.at, dass der Schluss auch für Österreich relevant ist: "Wir haben vor zwei Jahren eine Studie veröffentlicht, die zu ähnlichen Ergebnissen gekommen ist."
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Die Studie von Hilke Brockmann erschien unter dem Titel "Why is less money spent on health care for the elderly than for the rest of the population? Health care rationing in German hospitals" in "Social Science & Medicine" (2002, Bd. 55, S. 593-608).
->   Zum Original-Abstract
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US-Studie mit gleichem Ergebnis: Vergleichbar?
Schon vor einiger Zeit kam eine Studie der amerikanischen Health Care Financing Administration zu dem Schluss, dass ältere Kranke in Krankenhäusern der USA weniger Kosten verursachen als jüngere Menschen. Besonders gering seien demzufolge die Ausgaben für kranke Menschen jenseits des 90. Lebensjahres. Bei gleicher Krankheit kostet die Behandlung eines 90-jährigen Amerikaners nur knapp die Hälfte eines 65- bis 69-jährigen.

"Leider gibt es kaum vergleichbare Untersuchungen in anderen Ländern", wird Hilke Brockmann nun in einer MPG-Aussendung zitiert. Niemand konnte bislang sagen, ob die geringeren Kosten bei der Behandlung älterer Menschen eine Besonderheit des privat finanzierten Gesundheitssystems in den USA ist.

Und auch Jürgen Himmelbauer vom Institut für Gesundheitsplanung schränkt ein: "Bei den Vergleichen von internationalen Studien muss man immer sehr vorsichtig sein, denn die Finanzierungssysteme sind sehr unterschiedlich."
Krankenhausaufenthalte von zwei Jahren untersucht
Um die Fragen für Deutschland zu klären, startete Hilke Brockmann ein Forschungsprojekt. Als Grundlage dienten ihr Daten aller Krankenhausaufenthalte aus den Regionen Westfalen-Lippe und Thüringen der Jahre 1996 und 1997, welche die dortigen Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) zur Verfügung stellten.
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Alter, Krankheit, Verweildauer, Kosten
Die Angaben umfassten die Kosten der Krankenhausaufenthalte aller mehr als 20 Jahre alten AOK-Mitglieder, die Art der Erkrankung (ICD-Klassifizierung) und alle Todesfälle von AOK-Mitgliedern aus Westfalen-Lippe und Thüringen innerhalb des Jahres 1997. Um den Einfluss von Alter und Geschlecht der Patienten auf die Behandlungskosten zu ermitteln, nutzte die Forscherin Regressions-Modelle.

Eine genaue Aufschlüsselung der Krankheit und Mehrfacherkrankungen fanden dadurch ebenso Berücksichtigung wie die Verweildauer, die Art und der Ort der Behandlung. Patienten, die innerhalb des Jahres 1997 starben und solche, die darüber hinaus weiter lebten, analysierte die Forscherin gesondert.
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40 Prozent der Kosten für zehn Prozent der Patienten
Bei der Auswertung zeigte sich zunächst, dass nahezu 40 Prozent der Gesamtkosten für Krankenhausbehandlungen für nur zehn Prozent aller Patienten aufgewendet werden. Die teuersten Behandlungen erhalten sterbenskranke Frauen im Alter zwischen 20 und 49 Jahren in den westdeutschen Krankenhäusern.

Die Kosten lagen 1997 mit umgerechnet etwa 18.000 Euro um das Vier- bis Fünffache über denen für Frauen mit eindeutigeren Überlebenschancen. In Thüringen waren die Behandlungskosten für 55- bis 59-jährige Frauen am höchsten, die innerhalb eines Jahres dem Tod erlagen.
90-Jährige verursachen weniger Kosten als 65-Jährige
Überraschend, so die Studienautorin, ist, dass trotz der unterschiedlichen Gesundheitssysteme der USA und Deutschlands die altersabhängige Reduzierung von Therapiekosten offensichtlich sehr ähnlich ist. Ab dem 60. Lebensjahr nehmen die Ausgaben zur Behandlung von lebensbedrohlichen Erkrankungen deutlich ab.

"Ein über 90 Jahre alter Patient verursacht in Ost und West nur knapp die Hälfte der Klinikkosten eines 65- bis 69-jährigen Patienten", so Brockmann.
Erklärung: Unterschiedliche Krankheiten ...
Diese Unterschiede lassen sich nur teilweise mit unterschiedlichen Krankheiten erklären. So sind bei Frauen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren die Therapien von Brustkrebs und andere Tumoren der Hauptkostenfaktor. In späteren Jahren nimmt die Zahl der tödlichen Herzkreislauferkrankungen zu.

Bei Männern treten Krebserkrankungen im Alter von ungefähr 65 Jahren am häufigsten auf. Ältere Männer und Frauen sterben zunehmend häufiger an Herzkreislauferkrankungen und Atemwegsinfektionen.
... und Wunsch nach weniger intensiven Therapien
Ein interessantes Ergebnis lieferte der Vergleich der Krankheitsursachen nach der Art der Erkrankung (ICD-Klassifikation) und den altersabhängigen Therapiekosten.

"Hier zeigte sich, dass bei gleicher ICD-Klasse für alte Menschen von über 80 Jahren signifikant weniger ausgegeben wird", stellt die Max-Planck-Wissenschaftlerin fest. Die Krankenhauskosten lagen um 50 Prozent unter denen für Klinikpatienten, die das gesetzliche Rentenalter noch nicht erreicht bzw. erst um wenige Jahre überschritten hatten.
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Jürgen Himmelbauer vom Institut für Gesundheitsplanung in Linz hat vor zwei Jahren den Gesundheitsbericht Oberösterreich 2000 veröffentlicht. Sein Resümee bezüglich der Frage nach dem Alter gegenüber science.ORF.at: "Die entscheidenden Kosten bei Krankenhausaufenthalten richten sich nicht nach dem absoluten Lebensalter der Patienten, sondern nach ihrem letzten Lebensjahr."
->   Gesundheitsbericht Oberösterreich 2000 (pdf-Datei)
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Eine Erklärung dafür sind nach Ansicht von Hilke Brockmann die Wünsche älterer Menschen nach weniger intensiven und damit meist auch kostensparenden Therapien. Einigen Umfragen zufolge wollen die meisten älteren Menschen den Tod lieber zu Hause als im Krankenhaus erwarten. In der Realität sterben jedoch etwa 50 Prozent aller Menschen im Krankenhaus.
Übervorsichtige Ärzte?
Brockmann vermutet deshalb, dass klinische Entscheidungen eine wichtige Rolle spielen. Das medizinische Wissen über die optimale Behandlung alter Menschen ist vergleichsweise gering, denn Männer und Frauen über 65 Jahre werden ähnlich wie Babys und Kleinkinder in klinischen Studien oftmals gar nicht berücksichtigt.

Ärzte könnten deshalb glauben, dass der Tod eines älteren Menschen durch eine körperlich zu stark belastende Therapie leicht als medizinischer Fehler gewertet wird.
Scheinbar paradoxe Ergebnisse
Indirekt spricht für diese Annahme die Tatsache, dass die Zahl der Krankheiten eines älteren Menschen kaum einen Einfluss auf die Krankenhausausgaben hat.

Es scheint sogar so zu sein, dass mehrere Krankheiten bremsend auf die Kostenentwicklung wirken, weil die Betroffenen eher eine so genannte palliative - die Beschwerden einer Krankheiten lindernde, aber nicht ihre Ursachen bekämpfende - Medizin als eine aggressive medizinische Therapie erhalten.
->   Max Planck-Institut für demografische Forschung
->   Institut für Gesundheitsplanung
->   Gesundheitsministerium
 
 
 
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01.01.2010