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Rätselhafte Chemikalien-Unverträglichkeit  
  Chemikalien sind ständige Wegbegleiter unseres Alltags. Sie befinden sich in Putzmitteln, in der Nahrung, in der Luft. Einige wenige Menschen reagieren auf diese Stoffe mit völliger Unverträglichkeit. Obwohl die Betroffenen laut Laborbefunden völlig gesund sind, leiden sie unter Atembeschwerden, tränenden Augen oder Hautauschlägen. Experten sprechen von "multipler Chemikalien-Sensitivität".  
In Österreich relativ unbekannt
In Österreich sind von diesem relativ unbekannten Krankheitsbild Schätzungen zufolge mehrere tausend Menschen betroffen, genaue Zahlen gibt es nicht.

Das Umweltministerium und das Forschungszentrum in Seibersdorf veranstalten heute erstmals ein Expertenforum zum Thema multiple Chemikalien-Sensitivität mit Wissenschaftlern und Betroffenen.
Dauerbelastung mit Chemikalien-Cocktail
Weichspüler, Deo oder Holzbeize können für Menschen mit multipler Chemikalien-Sensitivität - kurz MCS - zum Gesundheitsproblem werden.

Wissenschafter gehen davon aus, dass es eine erworbene Erkrankung ist, die im Zusammenhang mit Chemikalienbelastung entsteht.

Bereits geringste Spuren von Chemikalien, die an sich nicht als gesundheitsschädigend gelten, aber ständig auf die Betroffenen einwirken, können die Unverträglichkeit auslösen.
Krankheitsbild: Von Depressionen bis Muskelschmerzen
Menschen mit MCS können auf unterschiedliche Chemikalien unterschiedlich reagieren, sagt Werner Maschewsky, Sozialmediziner an der Fachhochschule Hamburg.

Die Symptome reichen von Müdigkeit, Schlafstörungen über Depressionen, Kopfschmerzen und Atembeschwerden bis zu Hautauschlägen und Muskelschmerzen.
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Viele Fragen offen
Experten sind sich weltweit uneinig, ob Chemikalien-Unverträglichkeit eine psychosomatische oder eine rein körperliche Störung ist, sagt der deutsche MCS-Experte Werner Maschewsky. In Deutschland geht man von derzeit 54.000 MCS-Fällen aus.
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Patienten müssen Leben umkrempeln
Kleidung, Wohnungseinrichtung und/ oder der Kontakt zu Mitmenschen müssen der Chemikalien-Unverträglichkeit angepasst werden.

Das ist kompliziert, teuer und belastet die Psyche, weiß Susanna Stark aus Erzählungen von MCS-Patienten. Sie ist Chemikerin bei der Organisation "Umweltberatung".
Beispiel: Duftstoffe
Nicht nur in Waschmittel und Weichspüler sind Duftstoffe enthalten, auch in Shampoo und Seife und vor allem: Fast jeder verwendet ein Parfum oder Deodorant.

Für Menschen mit Geruchsstörungen aufgrund von MCS sei es folglich schwer, soziale Kontakte herzustellen, sagt die Chemikerin Susanna Stark.
"Von Pontius zu Pilatus"
Nachdem die Symptome derart unspezifisch sind, haben Menschen mit Chemikalien-Unverträglichkeit meist einen langen Weg über Ärzte, Psychologen oder Psychiater hinter sich, bis sie zu einem Spezialisten kommen. Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner in Wien: "Die sind verzweifelt. Die sind von Pontius zu Pilatus gelaufen".
Umfassende Betreuung fehlt
Mehrere tausend Österreicherinnen und Österreicher sind laut Schätzung von einer Chemikalien-Unverträglichkeit betroffen. Für sie fehlt eine umfassende Betreuung - sprich Diagnose und Therapie, sagt der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter vom Institut für Umwelthygiene der Universität Wien.

Hutter gehört auch der Organisation "Ärztinnen und Ärzte für eine gesunde Umwelt" an. Er fordert eine spezielle Einrichtung, in der Fachleute und Mediziner unterschiedlicher Richtungen zusammenarbeiten, um die Krankheit zu diagnostizieren, zu behandeln und den Betroffenen Tipps für den Alltag zu geben.
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Selbsthilfegruppen erst im Aufbau
Susanna Stark von der "Umweltberatung" ergänzt: Auch Selbsthilfegruppen seien in Österreich erst im Aufbau befindlich -so ist etwa die Suche nach einem geeigneten Raum oder Treffpunkt für Menschen mit MCS unvorstellbar schwierig.

Außerdem, so die Experten aus Österreich, gebe es noch keine Aufstellung von heimischen Ärzten, die sich mit MCS befassen.
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EU-Chemiepolitik
Das erste Expertenforum zur Chemikalien-Unverträglichkeit will das Thema auch als österreichischen Beitrag bei den Verhandlungen über die EU-weite Chemiepolitik einbringen.

EU-weit sind laut Umweltministerium derzeit schätzungsweise 50.000 bis 60.000 verschiedene Chemikalien am Markt. Bei vielen dieser Stoffe ist die langfristige Wirkung auf den Menschen nicht vollständig erforscht.
Genauere Kontrolle bei der Chemikalienzulassung
Österreich dränge daher im Rahmen der EU-Chemiepolitik darauf, dass nur mehr Stoffe zugelassen werden, deren Wirkungsweise ausreichend dokumentiert ist, heißt es vom Umweltministerium.

Chemikalien mit bestimmten negativen Eigenschaften (z. B. Hormonähnliche oder allergene Eigenschaften) oder schlecht untersuchte Stoffe sollen gar nicht mehr auf den Markt gelangen. Ein entsprechender Vorschlag soll von der EU-Kommission in den nächsten Wochen vorgelegt werden.
Weitere Experten-Workshops geplant
Dem heutigen ersten Expertenforum in Österreich mit Ärzten, Wissenschaftern, Behörden und Betroffenen sollen zwei weitere folgen.

Traurig, aber wahr: Die Organisatoren - Umweltministerium und das Forschungszentrum in Seibersdorf konnten keine Vertreter der chemischen Industrie finden, die daran teilnehmen wollten.

Barbara Daser, Ö1-Wissenschaft
->   Institut für Umwelthygiene, Universität Wien
->   Umweltberatung
->   Ärztinnen und Ärzte für eine gesunde Umwelt
->   Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
 
 
 
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01.01.2010