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Neue Arbeitswelt: Risken der Flexibilität  
  Neue Medien machen nicht nur andere Formen der Kommunikation möglich, sondern auch andere Formen der Zusammenarbeit. Je flexibler die Arbeitnehmer werden müssen, umso geringer werden andererseits die langfristigen Bindungen an Unternehmen. Damit geht den Firmen auch kontinuierliches Know-how verloren. Ein Kongress in Bonn ging u.a. der Frage nach, wie sichergestellt werden kann, dass diese wichtigen "Erfahrungswerte" nicht verloren gehen.  
Bei dem Kongress "Der Einfluss Neuer Medien auf die Arbeitswelt" trafen sich Volkskundler, Soziologen, Arbeitspsychologen und Informatiker.
Telearbeit - keine "Billigarbeit"
Telearbeit verrichten momentan vor allem zwei Gruppen: Zum einen junge Mütter, die von daheim aus über Computer und Internet mit ihrer Firma verbunden sind und so neben der Kinderbetreuung auch berufstätig bleiben können. Andererseits die besonders "Kreativen", die für spezielle Aufgaben von ihrer Firma in die heimatliche Klausur geschickt werden - das sind wiederum eher Männer in gehobenen Positionen.

Telearbeit ist keine "Billigarbeit", wie man vor Jahren noch glaubte. Für Frank Kleemann von der Abteilung für Industrie- und Techniksoziologe an der TU Chemnitz beginnt sie überhaupt erst bei mittleren Qualifikationen, da sie sehr viel Selbstdisziplin und auch erhebliche Investitionen notwendig macht.
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Ist Telearbeit wirklich frauenfreundlich?
Bei den Kindern bleiben und trotzdem online für eine Firma arbeiten zu können - das klingt sehr frauenfreundlich. Birgit Huber vom Volkskundlichen Seminar in Bonn kann dem nach Untersuchungen in der Multimedia-Branche aber nur wenig abgewinnen. Wenn die Frau nämlich ohne Partner lebt, der auf das Kind aufpasst, bleibt eine ganz normale Doppelbelastung übrig.

Kleemann wiederum hat herausgefunden, dass viele Frauen - sozusagen aus Dankbarkeit für den heimatlichen Telearbeitsplatz - Pausen nicht mehr zur Arbeitszeit rechnen, während am betrieblichen Arbeitsplatz kollegialer Tratsch und Kaffee durchaus eingerechnet sind.
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Arbeitsverhältnis auf Vertrauensbasis
Betriebe sind durch Hierarchien definiert. Telearbeitsplätze brechen dieses Oben-Unten-Gefüge in gewissem Sinn auf - der Chef ist weit weg. Und deshalb braucht die Arbeit auf Distanz auch eine neue Arbeit von Führung.

Der rigide "Manager alter Schule" hat in solchen Arbeitsverhältnissen nichts mehr verloren, meint der Unternehmensberater Horst Angermeyer. Notwendig sind Führungskräfte, die "loslassen" können - ein "Management by trust", ein Arbeitsverhältnis auf Vertrauensbasis.
Das soziale Umfeld des Betriebes fehlt
In einem Betrieb zu arbeiten, heißt normalerweise auch, ein soziales Umfeld zu haben und damit auch eine Bindung an die Firma. Deswegen empfiehlt Angermeyer, dass selbst Telearbeiter mindestens einen halben Tag pro Woche in der Firma verbringen, um nicht aus dem sozialen Gefüge herauszufallen. Sonst droht das umgekehrte "Hire and Fire", dass Mitarbeiter nämlich ihre Firmen feuern, sobald sie nicht mehr zufrieden sind.
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Ende September trafen sich bei der Fachtagung ¿Der Einfluss Neuer Medien auf die Arbeitswelt¿ der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Volkskundler, Soziologen, Arbeitspsychologen und Informatiker.
->   Mehr über den Kongress
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"Virtuelle Teams" - Bürogemeinschaften und "Cluster"
Noch einen Schritt weiter gehen virtuelle Teams mit freiberuflichen Mitarbeitern aus aller Welt, die Firmen zum Beispiel zur Programmierung größerer Computerprogramme zusammenstellen.

Aber diese virtuellen Arbeitsgruppen mit einsamen Arbeitern daheim vor dem Bildschirm sind ein Mythos. Tatsächlich schließen sich die Freiberufler meist zu Bürogemeinschaften zusammen, um unter gleichgesinnten ein soziales Umfeld zu finden; die Bürogemeinschaften wiederum bündeln sich zu so genannten "Clusters".
Stabile Netzwerke statt "Outsourcing"
"Outsourcing" hieß eines der großen ökonomischen Schlagworte der letzten Jahre. Die Strategie, Freiberufler nach Bedarf zuzumieten und wieder abzubauen, kommt dem flexiblen Konzept sehr entgegen. Tatsächlich bilden sich aber in der Praxis stabile Netzwerke heraus.

Das sind "fixe freie" Zulieferer, zu denen eine Vertrauensbasis besteht und die nicht immer am besten oder billigsten sein müssen. Für Birgit Huber hat diese Entwicklung gezeigt, "dass sich weder Mitarbeiter noch Unternehmen ständig auf dem freien Markt umsehen wollen - dass dieses Prinzip der ständigen Flexibilität also nicht lebbar ist."
Problemfall betriebliche Kommunikation
Peter Hejl vom Institut für Mediensoziologie in Gießen beobachtet wiederum, dass gerade in der Kommunikationsgesellschaft mit ihren zahlreichen "neuen" Medien die betriebliche Kommunikation zum Problem geworden ist. Wenn zum Beispiel moderne papierlose Beschaffungssysteme von einsamen PC-Anwendern gefüttert werden, entfällt auch jeglicher Informationsaustausch unter Kollegen.
Fixierung auf den schriftlichen Info-Austausch
Die Fixierung auf E-Mail wiederum zwingt zum schriftlichen Informationsaustausch - selbst dann, wenn Gespräche weitaus zielführender und zeitsparender wären. Um Emotionen wieder in die Schrift einzuführen, wurden die so genannten "Emoticons" erfunden - Beispiel ;-)-, wie man sie heute in vielen E-mails findet.

"Es gehört zum größten Irrtum zu glauben, Menschen seien rationale Wesen", meint Hejl über die Kommunikationspolitik vieler Firmen. Und damit sind gleichzeitig auch die möglichen Verlierer des Tele-Zeitalters definiert: Jene, die mit Schrift und Technologie schlecht umgehen können.

Franz Zeller, Ö1-Dimensionen
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Mehr zu dem Thema in den Ö1-Dimensionen am Donnerstag, 14. November, 19.05 Uhr.
->   Österreich 1
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->   Mehr über die "neuen Arbeitswelten" in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010