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Barbaren: Kampfvokabel der Gegenwart  
  "Barbaros"- das war im antiken Griechenland der "Stotterer", der des Griechischen nicht mächtig war. Er galt als underdog, wurde ausgegrenzt und diffamiert. Unter dem Titel "Barbaren: Kampfvokabel der Gegenwart" diskutierten über diese Thematik im Rahmen des "Steirischen Herbstes" in Graz Soziologinnen, Historiker, Ethnologen und Kulturwissenschaftler.  
Barbaren sind Außenseiter
Barbarei - ein Begriff hat Konjunktur. Barbaren, das sind diejenigen, die sich der so genannten westlichen Wertegemeinschaft verweigern. "Barbaren" fungieren als dunkler Gegenpol zu der positiv besetzten Vorstellung einer Gesellschaft, die im Sinne der französischen Aufklärung von Brüderlichkeit und Solidarität als Grundprinzip humanen Umgangs träumten.
Befreiung aus der Unmündigkeit
Barbarei ist das Gegenprinzip der Moderne, aber prinzipiell überwindbar, mit vernunftgeleitetem Handeln können wir barbarische Elemente der eigenen Gesellschaft überwinden. Mit dieser optimistischen Einschätzung der Barbarei eröffnete die in Hamburg lehrende Soziologin Gabriele Klein das Symposion.

Dieser Gedankengang kommt aus der deutschen Aufklärung - etwa von Immanuel Kant, der behauptete, dass selbstbestimmte Menschen ideologische Zwänge durchbrechen können.
Gegen eurozentristische Ideen
Karl Heinz Kohl, Ethnologe und Direktor des Frobenius-Instituts der Universität Frankfurt am Main, lehnte in seinem Vortrag die Gleichsetzung von "Islam - Barbaren und Terrorismus" vehement ab.

Wenn die islamische Welt, so argumentierte er, heute für die Ereignisse am 11. September in New York verantwortlich gemacht werde, dann sei dieser Vorwurf nur vor dem Hintergrund des Selbstverständnisses Amerikas und des Westens als eigentliche Zivilisation verständlich.
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Das Symposion "Barbaren: Kampfvokabel der Gegenwart" fand im Rahmen des Steirischen Herbstes vom 14. bis 16. November in Graz statt.
->   Mehr über das Symposion
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Theweleit kritisiert Baudrillard
Klaus Theweleit, Soziologe an der Universität Freiburg, bezog sich in seinen Ausführungen auf den französischen Soziologen Jean Baudrillard, der in seinem Essay "Requiem für die Twin Towers" die vertikale Bombardierung des kapitalistischen Paradesymbols als Racheakt der "Verdammten dieser Erde" bezeichnet hatte.

Theweleit kritisierte Baudrillard und sprach von "Wortabsonderungsmaschinen, die ein verqueres Verhältnis zur Realität an den Tag legten".
->   Abstract des Theweleit-Vortrags
->   Mehr über Klaus Theweleit in science.ORF.at
Kampf den Metropolen
Philipp Sarasin, Professor für Geschichte an der Universität Zürich bezeichnete das Attentat in New York als ein Phänomen, das den verletzbaren Körper der Großstadt aufgezeigt habe. Die islamischen Terroristen verstand er als Verkörperung des unsichtbaren Feindes, der trotz seiner Maskierung als Schläfer ständig präsent ist.
"Krebszellen" des Kapitalismus
Sarasin verglich den Aktivismus von Terroristen mit Krebszellen: Normalerweise seien sie nicht sichtbar. Es sind wenige einzelne, die anarchistisch im Körper zu wuchern beginnen, so Sarasin.

Es ist zu betonen, sich dass damit eine Ähnlichkeit zur Sprache der Bakteriologie ergibt, wo gesagt wurde, dass die gefährlichen Mikroben von außen kommen, in den Körper eindringen und ihn töten.
Conclusio
Das Fazit des Symposion lautete: Schluss mit Ausgrenzungen, Schluss mit Begriffen wie Barbarei, die längst gestorben sind, aber unser Denken und Handeln weiter bestimmen.

"Barbarei" sei ein Begriff, der als ideologisches Rüstzeug dient, um eine Politik, wie sie beispielsweise von George Bush oder Ariel Sharon vertreten wird, zu legitimieren und einen Kreuzzug gegen nicht genehmes Denken zu organisieren.

Nikolaus Halmer, Ö1-Wissenschaft
->   Steirischer Herbst
->   Interview mit den Organisatoren des Symposions
 
 
 
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01.01.2010