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50. Todestag des Philosophen Benedetto Croce  
  Im deutschsprachigen Raum ist der Philosoph und Kulturhistoriker Benedetto Croce kaum bekannt. In seiner Heimat Italien gilt er hingegen als einer der wichtigsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, der sich nicht nur durch seine Gelehrsamkeit, sondern auch durch sein humanistisches Engagement auszeichnete. Am 20. November jährt sich der Todestag von Croce zum 50. Mal.  
Benedetto Croce genießt in Italien den Status eines "Gewissens der Nation". Er war Geschichtsphilosoph und Kulturtheoretiker, der u.a. den Faschismus eines Mussolini bekämpfte.
Intellektuelle Einflüsse
Im Namen einer Philosophie als Wissenschaft des Geistes wandte sich Croce vehement gegen den Positivismus, also gegen den Versuch, Geschichte als bloße Faktenwissenschaft zu verstehen. Seine philosophischen Vorbilder waren Giambattista Vico und Georg Friedrich Wilhelm Hegel.

Vico entwarf in seinem Hauptwerk "Die Neue Wissenschaft" die Theorie eines umfassenden kulturellen Gedächtnisses der Menschheit, das sich auf alle menschlichen Äußerungen bezog. Neben Vico zeigte sich Croce von der Geschichtsphilosophie Hegels beeindruckt, obwohl er mit dessen Vorstellung des Weltgeistes, der alle nationalen Kulturen zusammenfasst und dirigiert, wenig anfangen konnte.
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Biografie I
Geboren wurde Benedetto Croce am 25. 2. 1866 als Sohn wohlhabender Eltern in der Kleinstadt Pescaseroli in den Abruzzen. Nach dem Besuch einer katholischen Schule in Neapel begann er in Rom, Rechtswissenschaften zu studieren. Er besuchte jedoch kaum Vorlesungen und betrieb eigenständig literarische und philosophische Studien. Schwerpunkte dabei waren der deutsche Idealismus und der historische Materialismus. Politisch engagierte er sich für die politische Idee des "Risorgimento", also mit jenen seit 1815 bestehenden Bestrebungen, das zersplitterte Italien zu einem Nationalstaat zusammenzufassen.
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Stufenförmiges Modell des Geistes
Neben seinen politischen Tätigkeiten veröffentlichte Croce zahlreiche Werke - wie das in vier Bänden erschienen philosophische opus magnum über "Ästhetik", "Logik", "Praxis" und "Historiographie".

Darin entwickelte er ein stufenförmiges Modell des Geistes, das aus vier Tätigkeitsformen besteht: Der intuitiven Erkenntnis, dem logischen Denken, dem wirtschaftlichen und dem moralischen Handeln.

Diese Tätigkeiten sind hierarchisch aufgebaut; die höheren Geistestätigkeiten setzen die niederen voraus und werden gleichsam in der nächst höheren Stufe aufgehoben. Als wichtigste Stufe bezeichnete Croce das moralische Handeln - die Ethik - in der sich das "Wollen des Allgemeinen" ausdrückt.
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Biografie II
1910 wurde Croce zum Senator ernannt, engagierte sich für ein Wahlbündnis von Liberalen, und Katholiken bei Kommunalwahlen in Neapel. Nach dem Machtantritt von Mussolini legte er seine politischen Ämter zurück. Großes Aufsehen erregte sein 1925 veröffentlichtes "Manifest der antifaschistischen Intellektuellen", das rund 100 Persönlichkeiten unterzeichneten. Croces antifaschistische Haltung hatte Konsequenzen: So zerstörten faschistische Aktivisten seine Wohnung in Rom; die gleichgeschaltete Presse verurteilte ihn. Am 20. November 1952 starb Croce im Alter von 86 Jahren in Neapel.
->   Biografie und Werke Croces (Kirchenlexikon Verlag Traugott Bautz)
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Croces Geschichtsphilosophie
Bleibende Leistungen Croces für die italienische Kultur sind seine Überlegungen zur Geschichte. Er ging davon aus, dass das Leben und die Wirklichkeit nichts anderes als Geschichte seien.

Seiner Auffassung nach gibt es für die Geschichtsschreibung drei Kriterien: lebendiges Interesse, hinreichende Dokumentation und Erfassen des Universellen. Abgelehnt wird eine Geschichtsauffassung, die ein transzendentes Ziel angibt. Der Historiker soll das geschichtliche Faktum in seiner Eigenheit erfassen und auf emotionale Beurteilungen verzichten.
"Geschichte erzählt"
"Die Geschichte erzählt" - so lautet das Leitmotiv von Croces geschichtstheoretischen Reflexionen, die er in der philosophischen Abhandlung "Die Geschichte auf den allgemeinen Begriff der Kunst gebracht" vorlegte.

Es ging ihm in dem Buch darum zu zeigen, wie es möglich ist, individuelle Erfahrungen in einen historischen Kontext einzuordnen: Croces Geschichtsauffassung befindet sich im Gegensatz zu aktuellen historisch-soziologischen Forschungen, die versuchen, Geschichte als Struktur zu begreifen.
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Buchtipp
Croce zu lesen, wird vor allem von italienischen Intellektuellen empfohlen, die nicht verstehen können, warum Croce im deutschsprachigen Bereich so wenig bekannt ist.

Leseempfehlung: Benedetto Croce: Die Geschichte auf den allgemeinen Begriff der Kunst gebracht. Felix Meiner Verlag Band 371
->   Felix Meiner Verlag
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Croces Literaturkritik
Neben seinen historischen Studien waren es vor allem Croces Ausführungen zur Literaturwissenschaft, die seine Zeitgenossen beeindruckten. Für Croces Kunsttheorie spielte der Begriff der Intuition eine wichtige Rolle. Die ästhetische Tätigkeit ist von einem "organischen Lustgefühl" begleitet, das er als "schön" bezeichnet.

Intuition ist vom Willen unabhängig und entzieht sich moralischen Bewertungen und begrifflichen Kategorisierungen. "Was der Intuition Zusammenhang und Einheit gibt", schrieb Croce, "ist das Gefühl". Die Kunstkritik hat die Aufgabe, im Kunstwerk die reine Intuition aufzuspüren, die zu seiner Entstehung geführt hat.
Ablehnung der zeitgenössischen Literatur
Croce lehnte die zeitgenössische Literatur ab. Verständlich wird seine Ablehnung, wenn man die Annäherung von Schriftstellern wie Gabriele d'Annunzio oder Luigi Pirandello an den Faschismus betrachtet.

Croce sah die Ursache dieser politischen Blindheit, die diese Autoren mit Gottfried Benn, Ezra Pound oder Martin Heidegger teilten, in ihrer Ablehnung, sich mit historischen Gegebenheiten auseinander zu setzen.

Nikolaus Halmer, Ö1-Dimensionen
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Ein Beitrag der Ö1-Dimensionen vom 19. November 2002, 19.05 Uhr Radio Österreich 1.
->   Radio Österreich 1
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->   Benedetto Croce: Historical Materialism and the Economics of Karl Marx
->   Institut für Philosophie, Universität Neapel
 
 
 
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01.01.2010