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"Optische Zunge" zur Qualitätsbestimmung von Rotwein  
  Forscher der Technischen Universität Wien haben eine "optische Zunge" zur Qualitätsbestimmung von Rotweinen entwickelt: Die Methode arbeitet mit infrarotem Licht und kann in einem eigens konstruierten Sensor die chemischen Reaktionen, die beim Weinkosten im Mund ablaufen, direkt beobachten und auswerten.  
Damit sei es unter anderem möglich, die Unterschiede zwischen Barrique - also im Holzfass gelagertem Wein - oder "klassisch ausgebauten" Weinen zu erkennen, wie Bernhard Lendl vom Institut für Chemische Technologien und Analytik der TU Wien gegenüber science.ORF.at erklärt.
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Toward the Optical Tongue: Sensing of Tannin-Protein Interactions
Die Ergebnisse der TU-Forscher sind im Fachmagazin "Journal of the American Chemical Society" (JACS) erschienen: Der Artikel "Toward the Optical Tongue: Flow-Through Sensing of Tannin-Protein Interactions Based on FTIR Spectroscopy" von Bernhard Lendl und Andrea Edelmann.
->   "Journal of the American Chemical Society"
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Tannine: Qualitätskriterium und "trockener Mund"
Tannine - so genannte sekundäre Pflanzenstoffe (Polyphenole) - sind die wesentlichen Bestandteile von Rotwein und gelten zudem als wichtiges Qualitätskriterium. Sie sind sowohl für die rote Farbe als auch für die beim Rotwein typischen Geschmackseindrücke wie etwa die Adstringenz - das Gefühl von Trockenheit im Mund - verantwortlich.
Was passiert beim Weinkosten im Mund?
Wie Bernhard Lendl erklärt, laufen im Mund beim Weintrinken chemische Reaktionen ab - so zum Beispiel zwischen Komponenten des Weines und Proteinen, die im Speichel vorhanden sind: Bestimmte Eiweißmoleküle aus dem Speichel reagieren mit den Tanninen im Rotwein und bilden Tannin-Eiweißverbindungen.

Dadurch wird die so genannte "Lubrikationsfähigkeit" des Speichels vermindert: Man nimmt ein austrocknendes oder "adstringierendes" und pelziges Gefühl am Gaumen wahr. Diese Wechselwirkung wird durch die Methode der Chemiker nachgeahmt.
Sensor ahmt Wechselwirkung nach
Der neu entwickelte Sensor macht sich die Reaktion von Proteinen und Tanninen zunutze: Eiweißmoleküle so wie sie im Mund vorkommen, werden auf einer porösen Oberfläche ähnlich der Zunge chemisch gebunden und mit Rotwein "beschickt".

Während des Experiments wird infrarotes Licht durch die poröse Oberfläche - und somit durch die Proteine - geschickt, um die Reaktion zwischen den Proteinen und den Tanninen des Weins verfolgen zu können.

Die TU-Forscher messen die unterschiedliche Abschwächung bei einzelnen Wellenlängen einzelner Molekülverbindungen - und können so die stattfindenden Reaktionen genau verfolgen.
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Infrarot-Spektroskopie misst Schwingungen von Molekülen
"Mit der Spektroskopie im mittleren Infrarot-Bereich (MIR; Wellenlänge von 2,5 - 25 µm) können Schwingungen von Molekülen gemessen werden. Dazu wird die Probe mit Licht im mittleren Infrarot durchstrahlt und die Schwächung der Lichtintensität als Funktion der Wellenlänge gemessen", erläutert Lendl die Methode.

Zu einer Schwächung der Lichtintensität (Absorption) komme es, wenn die Energie der jeweiligen Lichtwellenlänge mit der Energiedifferenz zwischen Schwingungszuständen innerhalb des Moleküls zusammenfällt. "Die Energie der Schwingungen ist durch die beteiligten Atome sowie durch die Bindungen zwischen ihnen bestimmt und somit für jedes Molekül charakteristisch. Es ist durch diese Technik daher möglich 'Fingerabdrücke' von Molekülen aufzunehmen und so Rückschlüsse über ihre Identität bzw. Zugehörigkeit zu bestimmten Substanzklassen zu machen."
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Ein charakteristischer "Fingerprint" der Tannine
Je nach ihrer adstringierenden Wirkung reagieren die Tannine des Weins unterschiedlich stark mit den Eiweißmolekülen. Die erhaltenen Infrarot-Spektren der beobachteten Reaktion liefern somit Information über das Ausmaß der Reaktion sowie einen charakteristischen "Fingerprint" der Tannine.

So erhalten die Chemiker beispielsweise Hinweise auf die Struktur und somit auf die Herkunft der Tannine - denn diese können beim Barrique sowohl aus dem Holz stammen, wie auch aus Traubenkern und Traubenschale. Ihr chemischer Aufbau unterscheidet sich allerdings je nach Herkunft leicht voneinander.

Letztendlich gebe es aber keine absoluten Qualitätskriterien, meint Bernhard Lendl. Der persönliche Geschmack sei schließlich bei jedem Menschen unterschiedlich und die "optische Zunge" könne zwar unterstützen, den Weinkoster allerdings nicht ersetzen.
->   TU Wien Arbeitsgruppe für Chemical Analysis & Vibrational Spectroscopy
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01.01.2010